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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Biathlon-Stars Peiffer und Lesser "Habe keine Lust mehr, mir Beleidigungen durchzulesen"
Arnd Peiffer und Erik Lesser sind die Routiniers im DSV-Team und bei der am Mittwoch startenden WM die Hoffnungsträger. Sie beziehen auch abseits der Loipe klar Stellung – sehen besonders in sozialen Medien schwierige Entwicklungen.
Zusammen sechs Olympia-Medaillen, sieben WM-Titel und 23 Weltcupsiege: Arnd Peiffer und Erik Lesser bilden die möglicherweise erfolgreichste Kurzzeit-WG im Biathlon-Zirkus. Seit Jahren teilen sich der 33-Jährige aus dem Harz und der 32-jährige Thüringer während der Saison ein Zimmer – und haben danach sogar ihren Podcast benannt: "Das Biathlon-Doppelzimmer". Vor der am Mittwoch startenden WM im slowenischen Pokljuka gab es dort besonderen Redebedarf.
t-online: Herr Lesser, Herr Peiffer, Sie sind seit Jahren Zimmergenossen. Wer schnarcht eigentlich lauter?
Arnd Peiffer: Das Gute und ein Grund dafür, warum es zwischen uns so gut funktioniert, ist, dass keiner von uns schnarcht.
Erik Lesser: Stimmt.
Peiffer: Aber Erik schmatzt manchmal im Schlaf (lacht).
Lesser: Wie bitte?
Peiffer: Aber nur ganz kurz (beide lachen).
Wie im normalen Alltag gibt es im Biathlon-Weltcup einige Corona-Einschränkungen. Wie wirken sich diese aus und verbringen Sie jetzt noch mehr Zeit zusammen auf dem Zimmer?
Peiffer: Eher im Gegenteil, weil wir jetzt häufig in Einzelzimmern untergebracht sind. Ansonsten ist die größte Veränderung natürlich, dass keine Zuschauer bei den Rennen dabei sind. Dazu kommen die Hygieneregeln und ständige Corona-Tests. Unter dem Strich hat sich für uns aber nicht wahnsinnig viel verändert, denn unser Alltag besteht aus Training, Essen, Schlafen und wieder Training – und das bleibt auch in Corona-Zeiten so.
- Wirbel um Aussagen: Béla Réthy verteidigt Marcel Reif
Diesen Alltag beschreiben Sie in Ihrem Podcast. Dabei nehmen Sie kein Blatt vor den Mund und haben zuletzt die Shitstorms um Marcel Reif und Bodo Ramelow kritisiert. Was stört Sie daran genau?
Lesser: Gerade in sozialen Medien herrscht zunehmend ein Schwarz-Weiß-Denken. Leute, die etwas extrem gut oder extrem schlecht finden, sind überproportional laut. Die Mitte ist meistens eher leise. Deshalb bekommt man oft nur die Extreme mit. Viele Leute äußern sich am liebsten gar nicht mehr richtig oder vertreten nicht ihre Meinung, weil man sowieso immer irgendjemandem auf den Schlips tritt. Das wird dann in den Netzwerken hochgekocht und es kommen – wie in den Fällen Reif und Ramelow – irgendwelche Moralapostel, die zu Hause sitzen und nichts anderes zu tun haben, als irgendwas vom Stapel zu lassen.
Hat das im Zuge der Corona-Pandemie zugenommen?
Lesser: Das ist schwer zu sagen und letztendlich wohl erst wirklich zu bewerten, wenn man den Vergleich zur Zeit nach Corona hat. Aber die sozialen Medien sind natürlich ein Katalysator …
Peiffer: … Moment (kurze Pause). Ich habe ein wunderbares Zitat von Marc-Uwe Kling dazu, der sagt: "Das Internet und die sozialen Medien sind nicht der Samen des Übels, aber das Gewächshaus."
Lesser: Das ist gut. Viele Leute äußern sich in den Netzwerken, weil das einfach und schnell geht – natürlich auch in Form der Anonymität. Dabei würden sie uns die Sachen, die sie bei Facebook schreiben, sicher niemals ins Gesicht sagen. Das würden sie sich einerseits wohl nicht trauen und andererseits dann sicher selbst als respektlos ansehen – aber in sozialen Medien ist das alles kein Problem.
Haben Sie selbst damit negative Erfahrungen gemacht?
Peiffer: Das hält sich in Grenzen. Nach meinem Eindruck hängt es auch ein bisschen von der Plattform ab: Facebook ist sehr viel negativer als Instagram, würde ich vom Gefühl her sagen – auch wenn ich nicht auf Instagram bin.
Lesser: Ja, das sehe ich auch so.
Peiffer: In der Regel bekommt man hundert nette Kommentare und einen richtig blöden. Deswegen darf man das nicht überbewerten. Wir stehen als Biathleten nur hin und wieder in der Öffentlichkeit, aber dann bekommt man schon etwas davon mit, wie es wohl richtigen Prominenten gehen muss. Zumal man ja teilweise zur Projektionsfläche wird: Einige Leute machen einen zum Helden, andere zum Deppen der Nation. Damit umzugehen, ist nicht ganz einfach. Mir kann man deshalb beispielsweise keine E-Mails oder persönliche Nachrichten mehr schicken, weil ich einfach keine Lust darauf habe, mir Beleidigungen durchzulesen. Das muss ich mir nicht geben.
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Sie lesen sich entsprechende Kommentare offenbar noch durch, Herr Lesser. Nach der Staffel in Oberhof haben Sie ihren Kollegen Philipp Horn deshalb live im TV verteidigt und die "Bundestrainer auf der Couch" kritisiert. Sind Sie dünnhäutiger geworden oder beeinflusst Sie das gar im Wettkampf?
Nein, überhaupt nicht. Aber am Abend schaue ich schon mal auf der Facebook-Seite "DSV Biathlon" rein – das ist quasi meine abendliche Portion Humor, weil da – neben vielen sehr konstruktiven Sachen – auch Quatsch kommentiert wird. Dabei ist mir diese Schwarz-Weiß-Sichtweise zuletzt immer mehr aufgefallen. Die Kommentare unter dem Bericht zu unserem Staffelrennen in Oberhof waren dann nur der letzte Tropfen und das wollte ich einfach loswerden. Das Statement bezog sich gar nicht nur auf diese Staffel oder auf Philipps Leistungen, sondern eher auf das Gesamtbild. Seit etwa vier Jahren wird immer wieder gestänkert: "Wann kommt endlich der bessere Schießtrainer? Warum kriegen die das einfach nicht hin? Da muss man doch die Trainer austauschen!" Und offenbar meinen einige Leute wirklich, dass es mit einem Trainertausch gegessen ist – oder dass wir nach einem 50. Platz fröhlich ins Hotel fahren und Ringelpiez machen. Dabei sind wir nach so einer Leistung unsere ärgsten Kritiker und die Allerersten, die sagen: "Das war heute gar nichts. Da läuft etwas schlecht."
Peiffer: Gerade in sozialen Medien werden oft einfache Wahrheiten verbreitet. Aber vieles ist eben komplizierter, als es auf den ersten Blick erscheint. Es ist natürlich einfach, zu fordern: "Wenn die nicht treffen, sollen sie halt einfach mehr Schießen trainieren!" Oder: "Lass sie einfach mehr Trainingskilometer abspulen, dann können die beim Laufen auch mit den Norwegern mithalten!" Aber das Ganze ist komplexer. Viele Leute wissen gar nicht, was wir außerhalb der Rennen überhaupt machen. Die meisten sind überrascht, wie viel wir trainieren und was wir alles tun, um da mitzulaufen …
Lesser: … und dann trotzdem keine Chance gegen die Norweger zu haben (lacht).
Peiffer: Naja, punktuell ja schon, aber im Schnitt sind die Norweger aktuell schon besser. Das nervt uns auch und das wollen wir ändern. Aber um noch mal zum Ausgangspunkt zu kommen: Wir haben überhaupt kein Problem mit Kritik, aber wenn es ins Beleidigende geht, so à la "Der soll doch aufhören" und "Die können doch eh alle nichts", ist das für mich eben keine Kritik mehr, sondern einfach ausfällig werden. Pöbelei.
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Das beherrschende Thema ist in Deutschland aktuell die Corona-Impfung. Wissen Sie als Profisportler schon, wann Sie geimpft werden?
Lesser: Nein.
Peiffer: Da haben wir auch keine Privilegien.
Lesser: Vom Deutschen Olympischen Sportbund wird gerade eruiert, ob für Tokio 2021 Impfungen für Sportler infrage kommen. Richtung Peking 2022 gibt es noch keine Überlegungen. Aber das ist noch ein Stück hin und laut der Kanzlerin sollte bis dahin ja sowieso jeder in Deutschland ein Impfangebot erhalten haben.
Und wie sehen Sie das persönlich – sollte es bereits in diesem Sommer Impfbevorzugungen für Olympia-Athleten geben?
Peiffer: Das ist eine Frage für den Ethikrat …
… der ja bisher den Standpunkt vertritt, dass es so etwas nicht geben soll. Aber wie sehen Sie das persönlich?
Peiffer: Ich halte das für schwierig. Denn es ist einfach niemandem zu vermitteln, wenn über 80-Jährige oder Pflegekräfte später drankommen, damit die deutsche Olympiadelegation mit 600 Personen geimpft nach Tokio fliegen kann.
Lesser: Dabei wäre es aus meiner Sicht durchaus machbar, Olympische Spiele auch ohne Impfungen durchzuführen – natürlich mit vielen PCR-Tests, Maskenpflicht und strengen Hygieneregeln. Die Hygienekonzepte aus dem Wintersport könnten dafür als Vorbild dienen. Denn unsere Blase funktioniert gut. Größte Schwierigkeit ist die Anreise, weil immer die Frage ist, mit wem die Athleten zu Hause Kontakt hatten. Aber dafür gibt es vorweg ja – wie aktuell bei unserer WM in Pokljuka – mehrere Corona-Tests: einen vor der Anreise, einen ganz kurz danach und dann alle vier Tage einen weiteren.
- Biathlon-WM in Pokljuka: Die Termine im Überblick
Sie sprechen die WM an: Wie lauten Ihre persönlichen WM-Ziele?
Lesser: Mein Ziel ist, in den Einzelrennen am Ende zu wissen, dass ich mein Optimum rausgeholt habe und mir nichts vorwerfen kann – unabhängig davon, für welche Plätze es gereicht hat. Im Gesamtweltcup will ich in die Top 10. Und um dem gerecht zu werden, müssen bei der WM schon Ergebnisse unter den Top 10 oder Top 6 rauskommen.
Peiffer: In den Einzelrennen gehören wir zu einer Gruppe von etwa 20 Leuten, die alle aufs Podium laufen können. Aber das ist nicht an jedem Tag möglich, weil die Form oder das Material nicht immer passen. Es gibt Tage, da macht man für sich ein optimales Rennen und wird Zwölfter. Und es gibt Tage, da schafft man es selbst mit mehreren Fehlern aufs Podium. Deshalb mache ich das nicht so sehr an Platzierungen fest. Natürlich möchte ich mit einer WM-Medaille nach Hause fahren – und dafür sind die Chancen in der Staffel am größten. Das wird alles andere als ein Selbstläufer, aber eine Medaille ist natürlich unser Ziel.
Als große Favoriten gelten die Norweger, die im Gesamtweltcup die ersten vier Plätze belegen und den amtierenden Gesamtweltcupsieger Johannes Thingnes Bö in ihren Reihen haben. Sind die überhaupt schlagbar?
Lesser: Naja, sie haben trotzdem bisher nur eine Staffel gewonnen. Von daher sind die natürlich schlagbar.
Peiffer: Und sie sind in dieser Saison schon von Teams geschlagen worden, die im Schnitt schlechter sind als wir.
Welche Teams sehen Sie bei der WM ganz vorne?
Lesser: Natürlich ist Norwegen der Topfavorit. Und dann kommen geballt Frankreich, wir natürlich, Russland, …
Peiffer: … Schweden …
Lesser: … und als Geheimfavorit könnte man die Italiener handeln.
Und wer wird am Ende der große Star der WM?
Lesser: Johannes Thinges Bö.
Peiffer: Vermutlich, ja.
Lesser: Weil er machen kann, was er möchte: Der landet immer auf dem Podest.
Peiffer: Mein Geheimfavorit ist allerdings Quentin Fillon Maillet. Der wird auch einige Medaillen einsammeln – nur insgesamt vielleicht nicht ganz so viele wie Bö, weil der einfach in allen Wettbewerben starten wird.
Und wie viele Medaillen trauen Sie Bö zu?
Peiffer: Puh, das ist ganz schwer.
Lesser: Vier.
Peiffer: Na gut, dann sage ich fünf.
- Gespräch mit Erik Lesser und Arnd Peiffer
- Twitter-Account der Sportschau