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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tennislegende vor Gericht Triumphe, Affären, Insolvenz – Das bewegte Leben des Boris Becker
2002 entging Boris Becker knapp einer Gefängnisstrafe wegen Steuerhinterziehung. Ob er nach dem Londoner Schuldspruch wegen Insolvenzverschleppung wieder glimpflich davonkommt?
Boris Becker spricht gerne davon, dass er zweimal geboren wurde. Einmal, vor mehr als 54 Jahren, als er am 22. November 1967 in Leimen als Sohn von Elvira und Karl-Heinz Becker das Licht der Welt erblickte. Und ein weiteres Mal am 7. Juli 1985. Dem Tag seines ersten Wimbledon-Triumphes. Als sich das Scheinwerferlicht der Sport- und Medienwelt auf ihn richtete und nicht mehr erlosch. Bis heute. Der ewig "17-jährige Leimener" war "geboren".
Knapp 37 Jahre sind seither vergangen, die aktive Karriere längst beendet, doch die Schlagzeilen gehören noch immer Becker. Sportliche sind es nicht mehr. Becker musste sich dieser Tage vor einem Gericht in London gegen den Vorwurf der Insolvenzverschleppung verantworten. Am Freitag wurde er schuldig gesprochen. Im schlimmsten Fall droht ihm sogar eine Haftstrafe.
Die großen Überschriften, sie waren schon zu seinen Glanzzeiten auf dem Tenniscourt nicht auf Beckers sportliches Schaffen beschränkt. Die Hochzeit mit Schauspielerin Barbara Feltus 1993: ein Medienereignis. Die Scheidung mit anschließendem Sorgerechtsstreit um die gemeinsamen Söhne Noah und Elias: ein noch größeres. Beckers Anhörung wurde live im TV übertragen.
Bosch: "Becker brachte Zuschauer dazu, mit ihm zu weinen"
Becker mit seinem Charisma, seiner Leidenschaft, bewegte die Menschen – auf und neben dem Tennisplatz. Sein Entdecker und langjähriger Trainer Günther Bosch sagte anlässlich des Becker-Films "Der Rebell" im t-online-Interview vergangenen Dezember: "Das, was Boris geleistet hat, sind ja nicht nur die Ergebnisse und die sechs Grand-Slam-Titel, die er gewonnen hat. Sondern es ist ja die Begeisterung, die er vermitteln konnte. Er war imstande, die Zuschauer so weit zu bringen, dass sie mit ihm zusammen geweint haben – sie auf der Tribüne, er auf dem Platz."
Im Juli 1999 beendete er in seinem "Wohnzimmer" in Wimbledon seine Ausnahme-Karriere nach 49 Turniersiegen. Am Abend seines letzten Matches gegen den Australier Patrick Rafter kam es zur legendär gewordenen "Besenkammer-Affäre" mit dem russischen Model Angela Ermakova. Mit ihr betrog Boris Frau Barbara. Aus dem Seitensprung, der sich, wie Becker später erzählte, gar nicht in einer Besenkammer, sondern auf einer Treppe zwischen zwei Toiletten in einem Nobel-Restaurant ereignete, ging Tochter Anna hervor.
Die Medien suchten Storys, Becker lieferte verlässlich. Während seiner Karriere und erst recht danach. Es folgten über die Jahre zahlreiche Kurzzeitbeziehungen mit mehr oder weniger bekannten Frauen.
Becker 2002 wegen Steuerhinterziehung verurteilt
2002 kam er erstmals in Kontakt mit der Justiz. Becker wurde wegen Steuerhinterziehung in den Jahren 1991 bis 1993 zu zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von 500.000 Euro verurteilt.
Sein Verhältnis zu Deutschland kühlte ab, er ließ sich in London nieder, heiratete 2009 Freundin Lilly Kerssenberg (Scheidung 2018). Als Tennis-Kommentator bei der britischen BBC war er dann endlich wieder in seinem Metier – und hoch angesehen. Eine Wertschätzung, die Becker in der Heimat vermisste.
Die Frauengeschichten, niveauarme Twitter-Auseinandersetzungen mit Comedian Oliver Pocher, zwei zweifelhafte Autobiografien, von denen er später mindestens eine selbst bereute, anrüchige Pokerturniere – die Deutschen erkannten "ihren Boris", der er ohnehin nie sein wollte, nicht wieder. Sie wandten sich im besten Fall von ihm ab. Andere machten sich nur noch lustig über den einstmals größten Sport-Helden der Republik (viermal Sportler des Jahres). Becker polarisierte, egal war er den Leuten nie.
Sein Ansehen begann sich erst zu rehabilitieren, als er auf die große Tennisbühne zurückkehrte. Ende 2013 verpflichtete ihn Novak Djokovic als Trainer. Was sollte er dem damals schon besten Spieler der Welt noch beibringen, fragten Kritiker. Die Antwort gab ihnen Becker in Form von sechs Grand-Slam-Titeln, die der Serbe während ihrer Zusammenarbeit bis Ende 2016 gewann.
Im Anschluss war er plötzlich auch im deutschen TV ein gefragter Mann. Als Experte beim Sportsender Eurosport. Seine Meinung hat Gewicht. Und er kommt beim Publikum gut an – kompetent, witzig, selbstironisch. Der Deutsche Tennis-Bund engagierte Becker 2017 ehrenamtlich als Chef fürs Männertennis. Aus Zeitgründen, die wohl auch mit dem laufenden Verfahren zusammenhängen, trat der dreifache Wimbledonsieger von diesem Amt Ende 2020 zurück.
Becker holt die Vergangenheit ein
Aber Becker, so scheint es, hat nach langem Suchen seinen Platz im Leben nach der Tenniskarriere gefunden.
Aktuell holt ihn jedoch seine Vergangenheit ein. Denn seine finanziellen Probleme blieben immer Thema. 2017 hatte ihn ein Londoner Gericht für zahlungsunfähig erklärt. Zahlreiche seiner Trophäen wurden versteigert, um die Gläubiger zumindest geringfügig zu bedienen. Aber: 2020 warf ihm der britische Insolvenzdienst vor, nicht alle Vermögenswerte offenbart zu haben. Daher stand Becker nun vor Gericht.
Gegen 24 Anklagepunkte musste er sich verteidigen. Vor Prozessbeginn kündigte er an, persönlich zu versuchen, "die Vorwürfe bei jedem der 24 Anklagepunkte widerlegen zu können". Am Freitag wurde er in vier von den 24 Punkten schuldig gesprochen. Ob Boris Becker nun in Haft muss, oder nicht, ist noch nicht bekannt. Das Strafmaß soll am 29. April verkündet werden. Becker verfolgte die Urteilsverkündung mit hochrotem Kopf. Er kann gegen das Urteil noch Berufung einlegen.
- Eigene Recherche