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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kristina Vogel "Ich werde mehr von anderen behindert, als dass ich mich selbst behindere"
Zweimal Olympia-Gold und elf Weltmeistertitel sprechen für sich: Kristina Vogel ist eine der erfolgreichsten Bahnradsportlerinnen der Geschichte. Doch seit ihrem schlimmen Unfall ist sie querschnittsgelähmt – und steckt sich nun neue Ziele.
Die Geschichte von Kristina Vogel ist eine ganz besondere: Die 28-Jährige gewann als Bahnradsportlerin alles, was man nur gewinnen kann. Sie errang Titel über Titel, bis sie schließlich durch einen schrecklichen Trainingsunfall im Jahr 2018 gestoppt wurde.
Am 26. Juni kollidierte sie mit einem anderen Fahrer, stürzte und erlitt schwerste Wirbelverletzungen. Vier Wochen lag sie auf Intensivstation eines Berliner Krankenhauses. Heute sitzt sie im Rollstuhl. Doch meckern? Verzagen? Einknicken? Nicht mit Kristina Vogel.
Neue, ambitionierte Ziele
Im Interview mit t-online.de spricht sie über ihre neuen Ziele.
Frau Vogel, Ihnen wurden in den vergangenen Monaten viele Fragen gestellt. Welche Frage, die Ihnen noch nie gestellt wurde, würden Sie gerne mal beantworten?
Alltagsfragen. Heute war ich beispielsweise beim Bogenschießen. Wie gut habe ich geschossen? Sowas in der Art – und wie das Leben in meiner Situation wirklich ist.
Sind Sie zu Hause bei Ihren Freunden anders als in der Öffentlichkeit?
Ich bin immer ehrlich, das zeichnet mich aus. Ich glaube allerdings, dass viele Menschen glauben: "Ach, die lügt ja vor der Kamera und zu Hause sieht es ganz anders aus, dort ist sie ganz traurig und niedergeschlagen." Doch das ist nicht so! Natürlich gibt es Tage, an denen es mich wirklich nervt und ich mich ärgere. Doch es ist schön zu sehen, was sich gerade für Türen für mich öffnen.
Sie sind in die Politik gegangen. Welche Themen beschäftigen Sie in dieser Aufgabe besonders stark?
Was reizt Sie an der Politik?
Ich bin nicht ganz politikfremd. Schon vor meinem Unfall war ich in zwei Kommissionen des Radsportweltverbands. Die CDU kam nun auf mich zu. Und man fragte mich, ob ich für die CDU-Liste als Parteilose für den Erfurter Stadtrat kandidieren möchte.
Weshalb stimmten Sie zu?
Ich möchte meiner Heimat etwas zurückgegeben. Ich sehe die Welt total anders als früher. Ich sehe die Welt als eine im Rollstuhl sitzende Ex-Sportlerin und Polizistin. Ich möchte helfen.
Wird der Beruf des Polizisten in Deutschland aktuell ausreichend akzeptiert?
Man schimpft immer direkt über Polizeigewalt, doch wenn man selbst Hilfe braucht, heißt es schnell: "Na, wo bleiben sie denn?" Man ist als Polizist immer der Verlierer. Draußen auf der Streife diskutieren die Menschen, obwohl sie im Unrecht sind, sie diskutieren auch richtig böse. Der Job als Hoheitsträger wird überhaupt nicht mehr akzeptiert. Was ich als Polizistin schon beleidigt worden bin. Und es ist brutal, wenn meine Kollegen erzählen, was man sich noch so anhören muss.
Sicherheit ist für Sie ein großes Thema.
Sicherheit ist eines unserer größten Güter. Man will an die Luft gehen können und sich keine Gedanken darum machen, ob irgendwas passieren kann. Erfurt soll sicher bleiben. Und zudem glaube ich, dass die Welt durch Sport verändert werden kann. Ich möchte jedem den Zugang verschaffen, Sport zu machen. Sport gibt der Persönlichkeit sehr viel. Man wird erwachsen durch den Sport und akzeptiert andere Meinungen – und es passiert alles so spielerisch leicht. Zudem sehe ich seit einem Jahr im Rollstuhl die Welt mit all ihren Bordsteinkanten. Deshalb das Thema Barrierefreiheit.
Viele Sportler gehen abends nach Wettbewerben ins Bett und träumen von ihrer Leistung. Wovon träumen Sie heute?
Als Sportler war ich ein Ultra-Pessimist. Ich habe nach jedem WM-Titel gesagt, dass ich nie wieder Weltmeister werde. Ich habe die Sekunden des Wettkampfs aufgesaugt und mich darauf konzentriert. Ich habe mir eher im Vorfeld darüber Gedanken gemacht, dass ich es nicht schaffen kann, als anschließend davon zu träumen – was total blöd ist. Nun hat sich das geändert: Ich träume nicht mehr von Wettkämpfen, die ich nicht schaffe, sondern wie jeder andere auch. Manchmal träume ich sogar, dass ich laufe – und dann fahre ich wieder.
Viele tun sich schwer damit, mit behinderten Menschen ganz normal umzugehen. Wie erleben Sie das?
Ich hatte früher im Freundeskreis keine Rollstuhlfahrer. Man geht als Fußgänger durch die Welt und macht sich keine Gedanken darum. Heute finde ich, dass das Wort Behinderung bei uns negativ behaftet ist. Klar bin ich anders. Doch ich habe das Gefühl, dass ich mehr von anderen behindert werde, als dass ich mich selbst behindere.
Was meinen Sie damit genau?
Sie sagten nach Ihrem Unfall, dass Sie nun einige Dinge nachholen wollen.
Darüber habe ich im Krankenhaus mit den Schwestern philosophiert. Was möchte ich noch erleben? Das erste Thema waren dann direkt Konzerte und Festivals, weil man gratis als meine Begleitperson reinkommt. Super, dachte ich mir (lacht). So entstand die Idee der Bucketlist für mein Leben nach dem Unfall.
Was steht noch auf Ihrer Liste?
Vom Trichtersaufen bis hin zur Idee, alle europäischen Hauptstädte zu bereisen. Vieles hat mit Freiheit zu tun. Ich möchte die Liste nun nach und nach abarbeiten.
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