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Martin Schmitt kritisiert China – Boykott? "Das ist ein schwerer Weg"


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Martin Schmitt über die Winterspiele
Boykott? "Das ist ein schwieriger Weg"

  • Melanie Muschong
InterviewVon Melanie Muschong

03.02.2022Lesedauer: 7 Min.
Martin Schmitt: Der frühere Skispringer ist heute als Experte bei Eurosport, aktuell kommentiert er die Geschehnisse rund um die Olympischen Winterspiele.Vergrößern des Bildes
Martin Schmitt: Der frühere Skispringer ist heute als Experte bei Eurosport, aktuell kommentiert er die Geschehnisse rund um die Olympischen Winterspiele. (Quelle: GEPA pictures/imago-images-bilder)

Wenn sich einer mit den Olympischen Spielen auskennt, dann er: Martin Schmitt ist einer der größten deutschen Skispringer. Inzwischen steht er aber nur noch neben der Schanze. Was hält er von dem Riesen-Event in China?

Nagano in Japan, Salt Lake City in den USA, Turin in Italien und Vancouver in Kanada: Das waren die Austragungsorte der Olympischen Winterspiele, an denen Martin Schmitt selbst als aktiver Skispringer teilnahm. Ab dem 4. Februar nun werden die Spiele in China stattfinden. Doch die Vergabe in das "Reich der Mitte" sorgte im Vorfeld für viel Aufregung.

Eurosport-Experte und Skisprung-Legende Schmitt hat im Interview mit t-online Bedenken an der Austragung der riesigen Sportveranstaltung geäußert. Aber er erklärt auch, weshalb ein Boykott des Turniers aus seiner Sicht nicht der richtige Schritt gewesen wäre.

t-online: Herr Schmitt, die Olympischen Spiele in China starten am Freitag. Wie blicken Sie auf das kommende Großereignis?

Martin Schmitt (43): Dieses Jahr ist – wie schon im letzten Jahr – alles anders. Trotzdem ist und bleibt es etwas Besonderes. Eine olympische Medaille gewinnen zu können, bleibt das Ziel jedes Sportlers. Ich habe tolle Erinnerungen an meine Winterspiele und freue mich jetzt, dass ich die zweiten Olympischen Spiele in anderer Funktion begleiten darf. Ich freue mich auf die Wettbewerbe.

Sie werden als Experte für Eurosport im Einsatz sein. Würden Sie in so einer Zeit gerne noch einmal die Rolle des aktiven Skispringers einnehmen?

Ich bin ganz zufrieden mit meiner jetzigen Rolle und fühle mich sehr wohl. Ich springe auch nicht mehr "just for fun". Ich habe 2014 meinen letzten Sprung gemacht. Natürlich denkt man ab und zu, es wäre schon ganz schön, aber es sind keine realistischen Gedanken.

Was macht die Schanze in Peking aus?

Wir haben vom Profil sehr wenig darüber gehört. Vom Bauwerk her ist sie eindrucksvoll und gewaltig. Für Nachhaltigkeit steht sie allerdings nicht, aber das war von diesen Spielen auch nicht unbedingt zu erwarten. Ich habe von Leuten, die dort waren, gehört, dass die Schanze schön zu springen sei. Die Sportler dürfen sich auf gute Wettbewerbe freuen.

Ist das Thema Nachhaltigkeit auch eines, womit Sie sich beschäftigen, wenn Sie solch eine Schanze sehen?

Skispringen in China hat keine große Tradition. Das Land hat immer mal wieder Versuche unternommen, es gab dort eine Universiade (Spiele für Studierende). Damals ist auch ein Komplex errichtet worden und im Zuge dessen gab es auch ein paar Bemühungen. Es gab auch in Norwegen ein Projekt, mit dem die Chinesen auf den letzten Drücker innerhalb von zwei, drei Jahren Medaillenanwärter kreieren wollten. Sie haben eingesehen, dass es nicht funktionieren wird.

Daher habe ich meine Zweifel, dass die Schanzen nachgenutzt werden können. Es gibt gerade im Herrenbereich wenige chinesische Sportler, bei den Damen sieht es etwas besser aus. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Anlagen im Nachgang genutzt werden. Dann tut es natürlich weh, wenn man so eine moderne teure Anlage hat, die dann zur Bauruine wird. Aber damit muss man rechnen.

Karl Geiger hat zuletzt in Titisee-Neustadt beide Springen gewonnen. Ist er nun der Titelfavorit bei den Olympischen Spielen oder ist das zu viel Druck für ihn?

Ich baue mal Druck auf ihn auf und weiß, dass er damit klarkommt. Ich würde schon sagen, dass man bei einem Wettkampftag nicht von dem einen großen Favoriten sprechen kann. Man muss sehen, wie das Training vor Ort läuft. Großereignisse entwickeln oftmals eine Eigendynamik. Jeder guckt, dass er sich auf den Tag X optimal vorbereitet.

Es kann viel passieren. Was machen die Polen? Was macht Stoch, der ja bei der Tournee unter Wert geschlagen wurde? Es gibt viele Fragezeichen. Grundsätzlich glaube ich, dass die, die im Weltcup vorne waren, die Favoriten sein werden. Egal, ob Ryoyu Kobayashi, Karl oder auch Marius Lindvik und Halvor Egner Granerud. Ich glaube ganz fest an Karl, weil es in Peking auf der kleinen Schanze losgeht.

Auch wenn er Skiflug-Weltmeister ist, ist sein Grundsprung eher ein Kleinschanzensprung. Er ist ein extrem kompletter Skispringer, der sich flugtechnisch wahnsinnig entwickelt hat. Zudem hat er seine Stärken behalten. In der Absprungdynamik ist er in meinen Augen der Beste und ich sehe auf einer kleinen Schanze keinen besseren Springer. Deswegen ist er mein Favorit dort.

Und wie ist Ihre Einschätzung für die Großschanze?

Derjenige, bei dem es auf der kleinen Schanze gut klappt, wird auch auf der großen Schanze gut springen. Man hat dann das Gefühl und ein Selbstverständnis dafür, dass der Sprung läuft und Material und Technik passen. Die richtige Absprungtechnik und -dynamik sind auch Dinge, die auf der großen Schanze gefragt sind. Da muss man halt ein bisschen mehr Geschwindigkeit reinbringen, aber das gelingt eigentlich einfach.

Welche Chancen rechnen Sie dem deutschen Team aus?

Neben Norwegen, Österreich und Deutschland waren die Slowenen zuletzt stark. Sie haben die letzten Wochenenden überzeugt. Es bleibt spannend. Der Teamwettkampf hat einen besonderen Reiz, weil man auch sieht, dass die Dominanz von Wochenende zu Wochenende wechselt.

Die Österreicher waren in Bischofshofen gut, aber zuletzt nicht so. Die Deutschen hatten eine Schwächephase nach der Tournee und waren jetzt aber wieder stark. Weil ich das Trainerteam und die Jungs gut kenne, glaube ich, dass die Deutschen top vorbereitet sind. Das deutsche Team ist eine Mannschaft, die um die Goldmedaille mitspringt.

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Warum ist es so schwer Konstanz ins Skispringen zu bringen?

Skispringen ist ein sehr technischer und feinfühliger Sport. Es gibt ständig andere Rahmenbedingungen, jede Schanze ist unterschiedlich. Man hat einen Bewegungsablauf, den man nicht so häufig trainieren kann wie in anderen Sportarten. Im Golfen hat man auch mal Leistungsunterschiede. Es kann auch sein, dass eine Person ein Turnier gewinnt und am nächsten Wochenende den Cut verpasst. Es kommt auf den Bewegungsablauf an, den man nicht ganz bewusst steuern kann.

Und im Skispringen kommen die äußeren Faktoren noch dazu und die geringe Anzahl an Übungswiederholungen im Trainingsjahr. Ein Skispringer macht 600 bis 700 Sprünge im Jahr. Das macht ein Golfer, wenn er sich anstrengt, an einem Tag. Entsprechend weniger greifen die Automatismen. Man macht aber nicht mehr Sprünge, weil das Skispringen mental einfach sehr anstrengend und belastend ist. Die Konzentrationsfähigkeit reicht nicht aus.

Andreas Wellinger ist der amtierende Olympiasieger auf der Normalschanze. Er hatte sich nach langer Verletzungspause zurückgekämpft, dann mit dem Coronavirus infiziert und wurde nicht nominiert. Wie bewerten Sie seine Lage?

Für ihn finde ich es sehr schade. Ich hätte ihn mitgenommen. Ich hätte es spannend gefunden. Auch wenn er dieses Jahr mehr schlechte als gute Wettkämpfe hatte. Er hatte wirklich nicht die Konstanz und Sicherheit. Aber er ist ein Typ, der sich für Großereignisse pushen und die Emotionen aufnehmen kann. Auf der kleinen Schanze hätte ich ihm auch mehr zugetraut als auf der Großschanze. Mit der Erfahrung der Goldmedaille aus Pyeongchang wäre er einer gewesen, der einen Vorteil daraus hätte ziehen können.

Severin Freund meinte zuletzt, dass für ihn die Skiflug-WM "höher hängt" als die Olympischen Spiele in China. Überrascht Sie so eine Aussage?

Severin ist ein Sportler, der sich viele Gedanken macht und die Dinge auch reflektiert. Er war schon mehrfach bei Olympia und hat den Luxus, auch eine Goldmedaille zu Hause hängen zu haben. Deswegen ist es einfacher, das zu sagen. Ich glaube aber, er wäre schon gerne hingefahren und hat sich auch geärgert, dass es mit seinen Ergebnissen nicht mehr zur Norm gereicht hat. Wenn er die Chance gehabt hätte, wäre er sicher hingefahren. Natürlich ist er auch ein Sportler, der die Dinge wahrnimmt und durchaus kritisch sieht, was in China passiert.

Das Land geriet zuletzt vermehrt in die Kritik wegen Menschenrechtsverletzungen. Zudem gab es den Fall Peng Shuai. Wie stehen Sie dazu?

Es ist eine schwierige Diskussion. Natürlich wäre es allen lieber, wenn die Spiele an einem Ort wie Lillehammer wären. Diese Spiele hat man noch im Kopf, auch als Beispiel für Nachhaltigkeit. Wir waren so oft zum Training in Lillehammer. Dort werden die Schanzen auch weiterhin intensiv genutzt. Die Eishockeyhalle ist eine große Mehrzweckhalle mit Sporthallen darin, wo die Kids Sport machen, die ist immer voll, der Kraftraum wird genutzt. Das war ein Musterbeispiel und es kann vielleicht nicht immer so laufen.

Aber natürlich hat man das Gefühl, dass es viel zu selten so läuft, dass es die Ausnahme ist und man so weit zurückgehen muss. Vancouver 2010 waren auch tolle Spiele, aber auch hier sah es mit der Nachnutzung schon nicht mehr ganz so gut aus. Wir können aber auch nicht sagen, Olympische Spiele dürfen nur noch im Alpenraum oder in Norwegen stattfinden.

Können Sie das konkretisieren?

Man muss sich natürlich schon ein bisschen für neue Regionen öffnen, schließlich kann man mit den Olympischen Spielen Menschen den Sport näher bringen. Aber man muss genauer hinschauen, welchen Zweck ein Gastgeber mit den Spielen verfolgt. Da muss sich das IOC viel stärker positionieren, seine eigenen, die olympischen Werte, viel stärker verteidigen und das im Vergabeprozess berücksichtigen.

Führen Sie gerne aus.

Grundsätzlich muss man sich aber mit Blick auf unsere Kleidung und die Labels ebenfalls die Frage stellen, was unterstütze ich hier, vielleicht auch indirekt? Auch die Automobilkonzerne sind extrem abhängig von China. Wenn man denen sagen würde, sie dürften nicht mehr in China verkaufen, wäre es auch schwierig. Man kann auch nicht die kompletten Geschäftsbeziehungen einfrieren.

Wir müssen uns die Frage stellen: Welche Aufgabe hat der Sport? Ich denke, die Spiele dürfen nicht der Inszenierung eines Staates dienen und deswegen ist unsere Aufgabe, auf diese Dinge hinzuweisen, damit darüber diskutiert wird. Dann ist das auch eine Chance.

Zu boykottieren ist ein schwieriger Weg, dann müsste man konsequenterweise auch andere Bereiche boykottieren und sich viel genauer überlegen, welche Kleidung man noch beruhigt kaufen kann oder welche Online-Bestellung nachhaltig ist. Aber natürlich sollte der Sport seiner Vorbildfunktion gerecht werden und da gibt es gerade bei den großen Weltsportverbänden einiges zu verbessern.

Mal abgesehen von den Olympischen Spielen: Was wünschen Sie sich für Ihre Sportart?

Was ich mir wirklich wünsche ist, dass irgendwann die Corona-Thematik wieder vom Tisch ist. Dass wir wieder Zuschauer vor Ort haben. Wir haben das auch in anderen Sportarten gemerkt, aber es ist einfach schade die tollen Wettbewerbe ohne Zuschauer erleben zu müssen. Das wäre mein seligster Wunsch, dass die Fans wieder ins Stadion können und der Funke wieder überspringt.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Martin Schmitt
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