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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Weltklasse-Tennisspieler kämpft in der Ukraine "Könnte ich es mir aussuchen, wäre ich lieber tot"
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Einst duellierte er sich mit Federer und Đoković, besiegte Nadal. Nun verteidigt Ex-Tennis-Profi Oleksandr Dolhopolow im Krieg sein Heimatland gegen Russland.
Mit seinen Gegnern lieferte er sich einst einen sportlichen Wettkampf, nun geht es für ihn jeden Tag um Leben und Tod. Der ehemalige ukrainische Tennisprofi Oleksandr Dolhopolow kämpft seit drei Jahren im Krieg gegen Russland und verteidigt sein Heimatland. Er meldete sich freiwillig.
Dem "Spiegel" gab der 36-Jährige, der es bis auf Weltranglistenposition 13 und 2011 ins Viertelfinale der Australian Open schaffte, nun ein ausführliches wie bemerkenswertes Telefon-Interview. Auf einen Videocall verzichtete er sicherheitshalber. Er wollte seinen genauen Aufenthaltsort geheim halten. Im Gespräch schildert er den bedrückenden Alltag nahe der Front und wie radikal sein Leben sich verändert hat.
Als Russland die Ukraine im Februar 2022 überfiel, war Dolhopolow gerade mit seiner Familie im Türkei-Urlaub. Für ihn stand sofort fest, dass er seinem Land helfen wollte: "Mein Gewissen trieb mich, sagte mir: Du musst das jetzt tun. Nur hatte ich keine Ahnung von Waffen. Also habe ich mir in der Nähe von Antalya den nächsten Schießstand gesucht."
"Bin froh, mein Land verteidigen zu können"
"Im Grunde bin ich froh, mein Land verteidigen zu können", sagt Dolhopolow, der sich aber gleichzeitig "nichts mehr als Frieden" wünscht. Ihm fehle die "innere Ruhe und einen Tag ohne Meldung über getötete Kinder, Zivilisten, Kameraden."
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Von seiner Familie ließ sich der fest entschlossene Ex-Tennisprofi nicht mehr von seinem Vorhaben abbringen. "Ich kaufte mir ein Gewehr vom Typ AR-15, dazu Tarnkleidung und eine Schutzweste und schloss mich ein paar Freunden an, die schon in Cherson dienten", so Dolhopolow, der als Drohnenpilot eingesetzt ist und vor eineinhalb Jahren Todesangst erlebte.
Er erinnert sich: "Im Spätsommer 2023 war meine Einheit in der Region Saporischschja unterwegs. Wir machten Drohnenaufnahmen vom Terrain, als wir plötzlich beschossen wurden. Wir sprangen in einen Schützengraben, aber die Einschläge kamen immer näher, rüttelten uns heftig durch. Dazu muss man wissen: Wenn Granaten dieser Größe weniger als acht Meter entfernt von einem einschlagen, kann es dir die Eingeweide zerfetzen."
Dolhopolow weiter: "Am Ende blieb uns nur zu hoffen, dass es uns nicht erwischt, wir hatten eine Scheißangst. Nach etwa 20 Einschlägen hörte es auf. Schon irre, wenn ich mir das im Nachhinein überlege."
"Könnte ich es mir aussuchen, wäre ich lieber tot"
Anschließend musste er für eine Woche ins Krankenhaus. Die Druckwellen der Explosionen hatten eine Gehirnerschütterung und starke Kopf- und Ohrenschmerzen verursacht.
Ergreifende Worte findet er über die Angst, verwundet oder getötet zu werden: "Ehrlicherweise habe ich größere Angst, verletzt zu werden und ein Leben als Invalide führen zu müssen. Könnte ich es mir aussuchen, wäre ich lieber tot."
Sein früheres Leben als Tennisprofi kommt ihm nach eigener Auffassung nun im Krieg zugute: "Tennis hat mich auf den Krieg vorbereitet. Die Fertigkeiten, die man als Athlet und Soldat braucht, ähneln sich: Man muss schnell reagieren, sich konzentrieren und rasch auf neue Situationen einstellen können."
Deswegen hält er Tennis und Krieg sogar für vergleichbar: "Auf dem Platz kämpfst du um Siege, auf dem Schlachtfeld um dein Leben. Du schwitzt, du verausgabst dich, du verletzt dich. Ist Krieg körperlich härter? Schwer zu sagen. Er geht mehr auf die Psyche. Dabei war ich nicht einmal direkt in Gefechte verwickelt. Ich habe nur über die Kamera der Drohne Menschen sterben sehen." "Keine 100" Kameraden habe er verloren, sagt Dolhopolow. "Aber Leute, mit denen ich eng zusammengearbeitet habe und die ich mochte."
"Ich wünsche diese Erfahrung niemandem"
Das erzeuge Rachegefühle. "Man fühlt Leere und Wut auf den Gegner. Man will besser arbeiten, sich rächen, den Feind töten. Nur bringt das die verlorenen Männer nicht zurück. Und je länger der Krieg dauert, desto mehr Menschen sterben."
Weil er sich darüber bewusst ist, dass es auch ihn treffen kann, macht er keine Zukunftspläne mehr. Sein Nachlass ist mit seiner Familie geregelt, berichtet der Ex-Profi, der einst drei ATP-Turniere gewann und zweimal Rafael Nadal besiegte: "Seit ich Soldat bin, plane ich nicht mehr viel. Ich habe gelernt, von Tag zu Tag zu leben, weil jederzeit alles passieren kann."
In seinem neuen Leben zählt für ihn lediglich eines: "Im Moment will ich nur überleben. Wenn einem Kameraden bei einer Explosion vor deinen Augen ein Bein abgerissen wird, bekommt dein Blick auf das Leben eine neue Perspektive. Ich wünsche diese Erfahrung niemandem."
- spiegel.de: "Tennis hat mich auf den Krieg vorbereitet"