Australian Open Vom "Zug überrollt": Lehrstunde für Lucky Lys
Im bislang größten Match ihrer Karriere werden Eva Lys klar die Grenzen aufgezeigt. Top-Gegnerin Iga Swiatek ist mindestens eine Nummer zu groß. Die Australian Open sind dennoch ein Riesenerfolg.
Nach einem kurzen Smalltalk am Netz mit ihrer übermächtigen Gegnerin winkte Eva Lys ein letztes Mal ins Publikum und verließ lächelnd und erhobenen Hauptes die Rod Laver Arena. Im bislang größten Match ihres Lebens hatte die Tennisspielerin zwar eine Lehrstunde erhalten - aber nicht ihren Spaß verloren. Der erste weibliche Lucky Loser, der je das Achtelfinale der Australian Open erreicht hat, durfte sich auch ohne die erhoffte Sensation als Gewinnerin fühlen.
Die märchenhafte Reise in Melbourne ist nach dem 0:6, 1:6 gegen die polnische Weltranglistenzweite Iga Swiatek zu Ende. Nach nur 59 Minuten beendete Swiatek das ungleiche Duell. "Sie hat mich überrollt wie ein Zug", sagte Lys: "Ich hatte definitiv Spaß - aber keinen Spaß mit dem Ergebnis."
Für die Weltranglisten-128. war das Turnier dennoch ein Riesenerfolg. Die Hamburgerin war in der Qualifikation gescheitert und erst 15 Minuten vor ihrem ersten Match als Nachrückerin noch ins Hauptfeld gerutscht. Dort sorgte sie mit drei Siegen für Furore und bekam den Spitznamen "Lucky Lys" verpasst.
Auch Zverev ist begeistert
Es sei die "schönste Woche" ihrer Karriere gewesen, sagte Lys: "Manchmal braucht man eben eine zweite Chance." Bundestrainer Torben Beltz sprach von einer "kleinen Cinderella-Story", die auch den Weltranglistenzweiten Alexander Zverev begeisterte: "Ich hoffe, dass sie das auch mitnimmt und die nächsten Turniere weiterhin so spielen kann und nicht, dass es ein einwöchiges Ding sein wird."
Der Erfolg zahlt sich für Lys im Ranking und auf dem Konto aus. Der Sprung in die Top 100 der Weltrangliste nach dem Turnier ist ihr ebenso sicher wie ein Preisgeld in Höhe von 252.000 Euro.
Starker Start, dann keine Chance
Es war ein Auftritt zur Primetime, in der größten Arena im Melbourne Park. "Ich war schon echt nervös vor dem Match", gab die krasse Außenseiterin zu.
An seinem spielfreien Tag drückte auch Viertelfinalist Zverev die Daumen, er riet Lys: "Das soll sie genießen."
Und das tat Lys zunächst. Gleich im ersten Returnspiel erarbeitete sie sich zwei Breakchancen - und damit mehr als die frühere US-Open-Siegerin Emma Raducanu im gesamten Match zuvor gegen Swiatek. Doch die Polin fing sich schnell und dominierte die Ballwechsel.
Für Lys, die mit dem "Lucky-Loser-Feeling" angreifen wollte, war das Tempo oft zu hoch. So kam sie kaum in die Situation, ihre Power-Schläge auf den Platz zu bringen. Beim einzigen Spielgewinn zum 1:3 im zweiten Satz brandete großer Jubel in der ansonsten mucksmäuschenstillen Rod Laver Arena auf.
Autoimmunerkrankung im Griff
Die traumhaften Tage von Melbourne wird Lys dennoch nie vergessen. Es fühle sich "tatsächlich wie ein Märchen" an, sagte Mutter Maria bei Eurosport. Ihre Tochter sei auf und neben dem Platz gehörig gereift: "Sie kommt mir deutlich erwachsener und entspannter rüber."
Früher ist Lys oft gestrauchelt, wenn sie kurz vor dem Durchbruch stand. Inzwischen hat der "absolute Kopfmensch" (Lys über Lys) Gelassenheit gelernt. Das betrifft auch den Umgang mit ihrer rheumatischen Autoimmunerkrankung, die sie im Vorjahr öffentlich gemacht hatte. "Ich muss auf meinen Körper achten, muss mich gut ernähren, mich gut erholen."
Auch für den Kopf kommt nun die Erholung wie gerufen. Lys kann den Flug Richtung Heimat, den sie für sich und ihre Familie schon zweimal umbuchen musste, trotz der Lehrstunde im Achtelfinale mit einem gehörigen Glücksgefühl antreten.
- Nachrichtenagentur dpa