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Bayer-Coach im dpa-Interview - Bosz-Traum vom Bondscoach: "Ist das Höchste"


Bayer-Coach im dpa-Interview
Bosz-Traum vom Bondscoach: "Ist das Höchste"

Von dpa
Aktualisiert am 01.08.2020Lesedauer: 8 Min.
Bestens gelaunt: Bayer-Coach Peter Bosz.Vergrößern des Bildes
Bestens gelaunt: Bayer-Coach Peter Bosz. (Quelle: Marius Becker/dpa./dpa)

Leverkusen (dpa) - Trotz der kurzen Pause von nur zwei Wochen und den beiden knapp verpassten Saisonzielen im Endspurt einer guten Saison wirkt Peter Bosz entspannt.

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der Trainer des Fußball-Bundesligisten Bayer Leverkusen über seine Sehnsucht nach einem Titel und die Zukunft von Kai Havertz und seinen verbliebenen Traum als Trainer.

Frage: Sie haben beim Trainingsstart erzählt, dass das Abschalten in der nur zweiwöchigen Pause schwer fiel. Und dann erzählten Sie, dass Sie Spiele aus England und Italien geschaut haben. Schalten Sie so ab? Indem Sie Fußball schauen, ohne ihn analysieren zu müssen?

Antwort: Absolut. Aber ich analysiere Spiele automatisch. Ganz abschalten kann man nicht. Doch es macht Spaß, andere Ligen zu sehen, andere Trainer zu beobachten, andere Systeme.

Frage: Sie können von Spielen Ihrer Mannschaften noch viele Details erzählen. Erinnern Sie sich an alle Spiele genau?

Antwort: Ja, an alle. Außer an das 4:4 mit Dortmund gegen Schalke (nach 4:0-Führung, d. Red.) Das habe ich mir danach nicht wieder angeschaut. In der Corona-Pause habe ich es durch Zufall erstmals wieder im Fernsehen gesehen und war überrascht, dass Roman Weidenfeller im Tor stand und nicht Roman Bürki.

Frage: Sie haben angesichts des bevorstehenden Programms Ihre Sorge um die Spieler geäußert. Bezog sich die Sorge eher auf den körperlichen oder den mentalen Bereich?

Antwort: Das hängt unmittelbar miteinander zusammen. Spieler werden meist verletzt, wenn sie müde sind. Wenn ein Spieler frisch ist, sieht er den Gegner in seinem Rücken kommen und kann sich eher schützen. Sind die Spieler am Anschlag, agieren sie langsamer und weniger konzentriert, sie sehen den Gegner nicht kommen.

Frage: Ihr Kapitän Lars Bender hat zuletzt darüber gesprochen, wie zermürbend seine vielen Verletzungen waren. Wird den Spielern heute zu viel zugemutet? Und ist der Druck zu hoch?

Antwort: Druck gehört dazu. Das weiß man, wenn man Profi ist und auf dem höchsten Niveau spielen will. Aber es gibt Limits. An Corona hat niemand Schuld. Aber man muss nun noch mehr aufpassen, dass man die Spieler nicht zu sehr belastet. Schon nach Welt- und Europameisterschaften häufen sich die Verletzungen. Aber dieser Rhythmus ist bekannt. Nun fängt unsere Saison wegen Corona einen Monat später an und muss wegen der EM zum selben Zeitpunkt zu Ende sein. Ich möchte den Spielern nach der Europa League noch mal Urlaub geben, aber wie viel das sein wird, hängt davon ab, wie weit wir kommen.

Frage: André Schürrle hat in der vergangenen Woche seine Karriere im Alter von nur 29 Jahren beendet. Wie beurteilen Sie das?

Antwort: Ich habe mit André in Dortmund gearbeitet. Er ist ein Super-Junge, der immer 100 Prozent gegeben hat. Und der das tun musste, weil er zwar ein hoch veranlagter Spieler war, sich aber nicht nur auf sein Talent verlassen konnte, um auf Top-Niveau zu spielen. Doch den Druck in diesem Geschäft empfindet jeder anders. Richtig Druck haben Spieler wie Messi oder Cristiano Ronaldo. Solche Spieler können kein normales Leben führen, sie können nicht einmal in Ruhe über die Straße gehen. Aber weil sie mit diesem Druck umgehen können, sind sie die Top-Top-Spieler.

Frage: Wie führen Sie junge Spieler an dieses Leben heran? Zum Beispiel einen Kai Havertz, um den mit 21 ein großer Hype herrscht?

Antwort: Ich rede viel mit Kai und versuche zu spüren, was all das mit ihm macht. Zum Beispiel diese täglichen Wechsel-Gerüchte. Und ich stelle immer wieder fest, dass Kai sehr gut mit all dem umgeht. Ich glaube nicht, dass er mit 29 aufhören wird.

Frage: Ist er so stabil, dass er ein Top-Top-Spieler werden kann?

Antwort: Das weiß man nie. Aber in Deutschland wird er so behandelt, als sei er schon einer. Deshalb versuche ich auch etwas gegenzusteuern, wenn es öffentlich immer nur um Kai geht. Wir haben viele tolle Spieler im Kader.

Frage: Man hat sowieso das Gefühl, dass Sie oft antizyklisch handeln. Dass Sie Spieler loben, wenn die Kritik von außen zunimmt. Und sie auf den Boden holen, wenn Sie allerorts gehypt werden.

Antwort: Das stimmt. Ich sehe mich als Trainer wie eine Art Pendelwaage. Wenn Dinge zu sehr ausschlagen, versuche ich sie auszubalancieren. Kai wurde oft übermäßig gelobt, obwohl er nicht überragend war. Und wurde oft sehr kritisch gesehen, obwohl er nicht so schlecht war.

Frage: Die Gerüchte über seinen Wechsel sind allgegenwärtig. Wissen Sie denn, was Havertz will?

Antwort: Ja, das weiß ich. Aber ich werde es natürlich nicht verraten, es ist ja seine Sache.

Frage: Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?

Antwort: Das kann man nicht sagen. Vielleicht kommt heute der entscheidende Anruf, vielleicht nächste Woche, vielleicht gar nicht.

Frage: Sie als Trainer stehen auch unter Druck. Nach dem verlorenen Pokalfinale gegen den FC Bayern wurde Ihre Taktik hinterfragt.

Antwort: Ich habe in meiner Laufbahn schon jede nur denkbare Kritik bekommen. In Dortmund hieß es, ich hätte nur ein System und würde zu stur an meiner Spielweise festhalten. Christoph Daum dagegen - mit dem ich mich schon mal ausgetauscht habe, weil sein Sohn Marcel zu meinem Trainerstab gehört - hat mir gesagt: "Als du begonnen hast, mit Fünferkette zu spielen, wusste ich, dass es nicht gut gehen kann. Das war nicht mehr Peter Bosz." Es gibt immer verschiedene Meinungen. Ich persönlich schätze die von Christoph Daum sehr, der selbst viele Jahre Trainer war und jede Situation schon mal erlebt hat.

Frage: Tauschen Sie sich gerne mit Kollegen aus?

Antwort: Ja, ich liebe das. Als ich bei Ajax war, habe ich meinen Spieler Heiko Westermann gebeten, einen Austausch mit Jogi Löw zu vermitteln. Auch sonst bin ich grundsätzlich für jeden Input offen, denn die Welt verändert sich ständig, auch der Fußball. Manchmal raten mir sogar meine Kinder, die gerne Manager-Spiele spielen, welchen Spieler ich holen soll. Die kannten Neymar schon vor mir, als er noch bei Santos war. (lacht)

Frage: Hat sich solch ein kurioser Input schon mal gelohnt?

Antwort: Ja. Zu meiner Zeit als Sportdirektor bei Feyenoord habe ich jeden Morgen eine E-Mail von einem Fan bekommen, der mir vorgeschlagen hat, welche Spieler ich holen soll. Das hatte er schon bei meinem Vorgänger gemacht, der ihn dann irgendwann geblockt hat. Aber die Namen waren interessant, also wollte ich den Mann kennenlernen. Ich habe einen alten Mann erwartet, der vielleicht nicht mehr viel zu tun hat und sich deswegen den ganzen Tag mit Feyenoord beschäftigt. Aber es war ein Student. Wir haben uns lange über Fußball unterhalten. Er war in Anführungszeichen "nur" ein Fan, aber er war gut. Also habe ich ihn auf eine dreiwöchige Reise nach Südamerika mitgenommen. Danach hat er drei Jahre für Feyenoord gearbeitet, dann ging er zu Juve und danach nach Liverpool.

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Frage: Nach dem frühen Aus in Dortmund haben Sie gesagt, Sie wünschen sich, dass Deutschland den wahren Peter Bosz kennenlernt. Ist das in Leverkusen gelungen?

Antwort: Ich denke ja.

Frage: Haben Sie eine Erklärung für das frühe Ende in Dortmund?

Antwort: Ich habe mich natürlich auch selbst hinterfragt. Ich war immer selbstkritisch, als Spieler sogar zu sehr. Noch heute analysiere ich jedes Spiel vier, fünf Stunden lang und frage mich nicht nur, was die Spieler, sondern auch, was ich hätte anders machen können.

Frage: Einer der Vorwürfe in Dortmund lautete, sie ließen zu wenig trainieren. In Leverkusen trainieren sie nicht mehr, erklären es aber detailliert. War das eine der Erkenntnisse aus der BVB-Zeit?

Antwort: Ganz ehrlich: Die Meinung der breiten Masse beeinflusst mich nicht in meinem Handeln. Wir waren mit Bayer 04 in der vergangenen Saison die laufstärkste Mannschaft. Meine Mannschaften hatten immer eine gute Kondition. Eine gute Fußball-Kondition will ich betonen. Denn die ist die entscheidende. Eine Stunde auf der Laufbahn abreißen zu können, bringt im Fußball nichts. Denn solch eine Situation entsteht im Spiel nicht.

Frage: Ihre Mannschaft hatte genau vor dem Corona-Abbruch einen Riesen-Lauf. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie die Saison ohne Corona hätte enden können?

Antwort: Das macht keinen Sinn. Aber es war offensichtlich, dass der Abbruch zum für uns schlechtesten Zeitpunkt kam. Wir waren richtig im Flow. Wir hatten zwar viele Verletzte, aber dennoch fast alles gewonnen.

Frage: Ihr Bruder verriet vor einigen Monaten, es sei Ihr großer Wunsch, einmal Nationaltrainer in den Niederlanden zu werden.

Antwort: (lächelt) Hat er das? Bondscoach zu werden, ist das Höchste, was man in Holland erreichen kann. Ich weiß, dass mein Name gehandelt wurde, bevor Ronald Koeman kam. Aber damals stand ich in Dortmund unter Vertrag. Es geht im Fußball immer um Timing. Ich habe gelesen, dass Jürgen Klopp immer dann, wenn Bayern München ihn holen wollte, nicht verfügbar war. Das heißt aber wohl nicht, dass Bayern ihn nicht wollte. Sollte es irgendwann einmal passen als Bondscoach, würde ich mich sicher freuen. Wenn nicht, dann ist es so. Ich weiß sowieso nicht, wie lange ich noch Trainer bin.

Frage: Haben Sie einen ungefähren Plan dafür?

Antwort: Da will ich mich nicht festlegen. Vielleicht noch drei Jahre, vielleicht auch acht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich wie zum Beispiel Dick Advocaat mit 72 noch im Trainingsanzug auf dem Platz stehe. Ich mache es, solange es mir Spaß macht. Aber man ist auch oft von der Familie getrennt. Und ich will noch einige gute Jahre mit der Familie verbringen. Jetzt in Leverkusen geht es sehr gut, bis nach Hause nach Apeldoorn sind es nur anderthalb Stunden.

Frage: Also würden Sie keine abenteuerlichen Dinge mehr machen?

Antwort: Ich würde nie nie sagen. Vielleicht kommt ja noch ein besonderes Angebot – Bondscoach zum Beispiel. (schmunzelt)

Frage: Als Bondscoach wäre man nicht so viel von zu Hause weg.

Antwort: So wie ich es interpretieren würde, vielleicht schon.

Frage: Mit Bayer Leverkusen ist ein Titel Ihr Ziel. In der kommenden Woche startet das Europa-League-Finalturnier in Nordrhein-Westfalen. Wie groß ist Ihr Ehrgeiz?

Antwort: Sehr groß. Aber man erreicht nichts, wenn man darüber redet. Man muss immer fokussiert sein auf die nächste Aufgabe, und die ist das Rückspiel gegen Glasgow. Den Fehler, weiter zu denken werde ich nicht machen. Glasgow hat zuletzt super Ergebnisse geholt. Wir in Glasgow auch (3:1, d. Red.), aber wir haben da nicht gut gespielt. Deshalb ist die Sache für mich noch nicht durch.

Frage: Sie sprechen sehr offen vom Titel-Wunsch mit Bayer. Dabei wartet der Verein seit 1993 auf einen Titel.

Antwort: Ich habe die Geschichten gehört von Vizekusen. Aber ich spreche immer mit dem Herzen. Ich arbeite bei Bayer Leverkusen, das ist ein super Verein. Dann muss das Ziel doch sein, auch Titel zu holen. Das heißt doch nicht automatisch, dass die ganze Saison schlecht war, wenn es am Ende nicht klappt. Aber ich habe auch kein Problem damit, diese Ambition zu äußern. Und wir waren in diesem Jahr am Pokal ja schon nahe dran.

PETER BOSZ (56) absolvierte als Profi acht Länderspiele für die Niederlande und stand bei der EM 1992 im Kader. 1998 spielte er für ein halbes Jahr bei Hansa Rostock. Als Trainer führte er unter anderem Ajax Amsterdam 2017 ins Europa-League-Finale, scheiterte dann nach knapp einem halben Jahr bei Borussia Dortmund und trainiert seit Januar 2019 Bayer Leverkusen.

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