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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittener Fifa-Boss Infantino Vom Gastarbeiter zum Geldeintreiber
Er ist die mächtigste Figur im Weltfußball. Und die umstrittenste. Wie Gianni Infantino an die Spitze der Fifa gelangte. Ein Porträt.
Bierverbot in und um die WM-Stadien in Katar, Sanktionen für das Tragen der "One Love"-Kapitänsbinde. Dass Gianni Infantino der mächtigste Mann im Weltfußball ist, hat der Fifa-Boss in den vergangenen Tagen mal wieder zur Schau gestellt. Und hat vielerorts damit mindestens für Kopfschütteln gesorgt.
Wie schon mit seiner denkwürdigen Pressekonferenz am Tag vor WM-Beginn, als er mit skurrilen Aussagen die Journalisten verwunderte: "Heute habe ich sehr starke Gefühle, heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich afrikanisch. Heute fühle ich mich homosexuell. Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant."
Seine persönliche Geschichte stellte er dabei sogar in Relation zu den Gastarbeitern in Katar, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten – und in großer Zahl ihr Leben ließen. Infantinos Eltern waren als italienische Gastarbeiter ausgewandert – in die Schweiz. Dort wurde Infantino 1970 im 13.000-Einwohner-Ort Brig im Kanton Wallis geboren. Später studierte er Rechtswissenschaften in Freiburg im Breisgau, spricht zudem sieben Sprachen.
Sein Weg als Fußballfunktionär begann vor 22 Jahren bei der Europäischen Fußball-Union Uefa. Unter anderem übernahm er die Leitung der Rechts- und Klublizenzierungsabteilung. Im Oktober 2009 wurde er Uefa-Generalsekretär. In dieser Rolle war er immer wieder bei Champions-League- und Europa-League-Auslosungen präsent.
2016 bestieg Infantino unerwartet den Fifa-Thron. Eigentlich wollte die Uefa Michel Platini als Kandidat ins Rennen schicken. Der ehemalige Weltklassespieler aus Frankreich war wegen unsauberer Machenschaften aber schon gesperrt.
Lückenbüßer Infantino kündigte nach seiner Wahl im Weltverband umfangreiche Reformen an. Wovon allerdings wenig zu sehen ist. Größte Neuerung: Ab 2026 nehmen 48 statt 32 Mannschaften an der Weltmeisterschaft teil. Das dient nicht dem Wohle des Sports, sondern einzig dem Ziel, dass sich die Fifa noch mehr Geld in die eigenen Taschen stopfen kann. Im WM-Jahr 2022 nimmt der Weltverband laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland 4,6 Milliarden Euro ein, macht 1,7 Milliarden Euro Gewinn – offenbar noch nicht genug. Fortschritte in Sachen Transparenz und Integrität sucht man hingegen vergeblich.
Seit 2020 läuft ein Strafverfahren gegen Infantino
In Sachen Geldmacherei und Propaganda für das eigene Produkt bewegt sich die Fifa unter Infantino in Superlativen. Russland war 2018 die erste WM unter seiner Ägide. Im Nachgang bezeichnete er sie als "beste WM aller Zeiten". Gleiches kündigte er im Vorfeld und wenig überraschend auch für die Endrunde in Katar an. Für die zog er extra nach Doha, ist seit einigen Monaten in der Hauptstadt der Gastgeber dauerhaft vor Ort.
Fakt ist: Wer gehofft hat, unter Infantino würde sich bei der Fifa etwas zum Positiven ändern, wurde enttäuscht. Der Fifa-Präsident unterstützt(e) die umstrittenen WM-Ausrichtungsländer Russland und Katar bedingungslos. Damit schließt er nahtlos an seinen Vorgänger Sepp Blatter an. Dieser wurde genau wie der vorherige Uefa-Präsident Michel Platini 2016 für sechs Jahre von der Fifa gesperrt. Der Grund dafür war eine dubiose Zahlung von Blatter an Platini im Jahr 2011 in Höhe von zwei Millionen Franken.
Auch gegen Infantino läuft seit Mitte 2020 ein Strafverfahren in der Schweiz. Es geht dabei um geheime Treffen mit dem Chef der ermittelnden Bundesanwaltschaft in den Jahren 2016 und 2017, während gegen die Fifa wegen Korruption ermittelt wurde. Der Vorwurf: Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses und Begünstigung. Von Fairplay hält man beim Weltverband augenscheinlich nicht sonderlich viel.
Infantino bestverdienender Sportfunktionär
Trotz dieser Verstrickungen und Vorwürfe ist Infantino, der mit einer Libanesin verheiratet ist und mit ihr vier Kinder hat, der momentan bestverdienende Sportfunktionär der Welt. Laut diversen Medienberichten kassiert er jährlich rund 2,5 Millionen Euro als Fifa-Boss. Angesichts dieser Summen ist sich Infantino offenbar auch nicht zu schade, die WM-Vergabe an Katar trotz aller Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierungen und Einschränkungen zu verteidigen.
Die schlechte Nachricht für alle Fußballfans, die sich sehnlichst ein "Ausmisten" beim Weltverband wünschen: Infantino wird bei der nächsten Präsidentenwahl im kommenden Jahr erneut kandidieren. Es wäre seine dritte und letztmögliche Amtszeit (je drei Jahre). Einen Gegenkandidaten gibt es bislang nicht.
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- Mit Material der Nachrichtenagentur sid
- t-online: Fifa-Boss provoziert auf Pressekonferenz
- fifa.com: Präsident Gianni Infantino
- rp-online.de: Das ist Gianni Infantino
- sueddeutsche.de: Infantino sackt am meisten ein
- rnd.de: König Fußball und sein Goldesel: Wer verdient eigentlich wirklich an der WM?