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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Sportswashing" des WM-Gastgebers "Personen aus Katar sitzen an zentralen Schaltstellen"
Seit Jahren knüpft Katar enge Verbindungen in den Fußball. Eine Entwicklung, die den Sport grundsätzlich verändert, wie ein Experte findet.
Am zweiten Dezember 2010 verkündete der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter, dass die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar stattfinden wird. Erstmals in einem arabischsprachigen Land. Und in einem Land, das offensichtlich wenig mit Fußball zu tun hatte. Doch während das Entsetzen in der deutschen Bevölkerung und der Welt groß war, ging der Plan des Wüstenstaates auf der arabischen Halbinsel auf. Seit der WM-Vergabe vor zwölf Jahren hat Katar viel dafür getan, sich im Sport einen Namen zu machen, und Aufmerksamkeit erkauft.
Die Handball-WM 2015 fand in dem Land statt, 2019 wurde die Leichtathletik-WM in Doha ausgetragen. Was auf den ersten Blick normal erscheint, ist reines Kalkül. Die Umsetzung einer Taktik, auch "Sportswashing" genannt. Katar versucht, durch den Sport das Image des Landes aufzupolieren.
Jürgen Mittag ist Professor der Sportpolitik an der Sporthochschule Köln. In einem Gespräch mit t-online sagte er: "Die Strahlkraft des Sportes wird genutzt, um sich selbst positiv darzustellen, aber eben auch, um Fehlentwicklungen im eigenen Land zu überschminken. Es ist keine allgemein akzeptierte Definition, sondern ein allgemeines Verständnis. Letztlich umschreibt es das, was es schon seit Jahrzehnten gegeben hat: Die Instrumentalisierung der Bühne des Sportes für Interessen, die jenseits des Sportes angesiedelt sind. Schon die Inanspruchnahme der Olympischen Spiele 1936 weist Merkmale des Sportswashing auf. Damals hat nur keiner diesen Begriff verwendet."
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Das Turnier in Katar wird auf allen Kontinenten im Fernsehen übertragen und bestimmt über mehrere Wochen das Fußballgeschehen weltweit. Der Wüstenstaat erhält so die volle Aufmerksamkeit. Er versucht damit, von den Menschenrechtsverletzungen und den Bedingungen für Arbeitsmigranten im Land abzulenken. Ebenso wie von den Rechten für Frauen und Homosexuelle. Mittag erklärt das Sportswashing in Bezug auf den Wüstenstaat so: "Im Fall von Katar ist die Entwicklung über mehrere Jahrzehnte geplant worden. Das Emirat hat bereits Mitte der 1990er-Jahre begonnen, seine gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten neu auszurichten. Von der ausschließlichen Ausrichtung von Ressourcen wie Öl und Gasvorkommen hin zu verstärktem Tourismus, Konferenzen und vor allem auch Sportereignissen. Katar verfügt mittlerweile über eine herausragende sportbezogene Infrastruktur und die Möglichkeit, unterschiedliche Sportevents auszurichten. Es fehlte aber bislang noch ein besonders zuschauerträchtiges globales Sport-Megaevent. Diese Leerstelle wird nun mit der WM 2022 gefüllt, was für ein Land mit drei Millionen Einwohnern absolut außergewöhnlich ist."
Katar kauft sich im Fußball ein
Susan Dun, die seit 2008 in Katar lebt und an der Northwestern University arbeitet, sagte dem "Deutschlandfunk Kultur": "Als ich zum ersten Mal nach Katar kam, gab es kaum Aktivitäten für Frauen. Inzwischen haben viele Fitnessstudios für Frauen geöffnet. Es gibt Yoga und Spinning." Die Aussage zeigt jedoch auch, wie rückständig der Staat in Bezug auf Frauenrechte im Vergleich zur westlichen Welt noch ist. 70 Prozent der katarischen Männer sind erwerbstätig, aber nur 37 Prozent der Frauen. Zudem sorgte ein Bericht des englischen "Guardian" für Entsetzen, wonach seit der Vergabe der Fußball-WM 6.500 Menschen durch Arbeitsbedingungen gestorben sein sollen.
- Nur leere Versprechen? Wie Fifa und Katar die Welt für dumm verkaufen wollen
Für Wirbel sorgte mit Blick auf das Turnier auch die Umgangsart des Landes mit möglichen Besuchern. So darf im Stadion kein Alkohol konsumiert werden und Homosexuellen kann eine Gefängnisstrafe drohen. Über all das soll jedoch durch den Sport hinweggesehen werden. Das Sportswashing dient dem Nutzen des eigenen Rufs.
Jürgen Mittag beschreibt das in Bezug auf die Fußball-WM so: "Katar hat in der eigenen Wahrnehmung das Ziel erreicht, das Land auf der internationalen Bekanntheitsskala ganz oben zu platzieren. Katar ist in aller Munde. Wenn man berücksichtigt, welche geografischen und demografischen Dimensionen Katar hat, ist das sicherlich eine für Katar wichtige Errungenschaft, zumal das Emirat den Bekanntheitsgrad auch für geostrategische Ziele bei Konflikten mit den unmittelbaren Nachbarstaaten genutzt hat."
Das hat sich der Wüstenstaat seit 2010 zu Eigen gemacht. So kauft sich das wohlhabende Land in Europa auch im Fußball ein. Sportpolitik-Professor Mittag sagte dazu dem "Kölner Stadt-Anzeiger" in einem Interview: "Katar sichtet schon seit Längerem Talente aus der ganzen Welt, um ihnen dann bei Vereinen wie dem KAS Eupen in der belgischen Liga Spielpraxis zu verschaffen." 2012 hat die "Aspire Zone Foundation" aus Katar den belgischen Fußballklub gekauft. Seit der Saison 2014/15 sind dort auch katarische Spieler im Kader vertreten. Neben dem KAS Eupen ist zudem der weltbekannte Verein Paris St. Germain (PSG) in der Hand des WM-Ausrichters.
Im Jahr 2011 kaufte "Qatar Sports Investments" (QSI) 70 Prozent der Anteile des Klubs, ein Jahr später dann die restlichen 30. Seitdem hat der Verein nicht nur acht Mal die französische Meisterschaft gewonnen, sondern auch einige Weltstars verpflichtet. Angefangen mit dem brasilianischen Nationalspieler Neymar im Jahr 2017 für eine Rekord-Ablösesumme von 222 Millionen Euro. Später den früheren Weltfußballer Lionel Messi und den Franzosen Kylian Mbappé.
PSG-Präsident Al-Khelaifi hat viel Macht
Letzterer soll allein für seine Vertragsunterschrift im Mai dieses Jahres für weitere drei Jahre bis 2025 drei Millionen Euro bekommen haben. Die "New York Times" enthüllte zudem, dass Mbappé für den genannten Vertrag über die komplette Laufzeit insgesamt 251 Millionen Euro erhalten soll (mehr dazu lesen Sie hier). Unvorstellbare Zahlen, die Katar angeblich möglich macht. Auch wegen eines Mannes: Nasser Al-Khelaifi. Er ist der Präsident des Klubs. Doch Al-Khelaifi ist so vernetzt im internationalen Fußball wie kaum einer. Mittag erklärt bei t-online: "Personen aus Katar wie etwa Nasser al Khelaifi als Boss von Paris St. Germain sitzen an zentralen Schaltstellen. Katar ist in erheblichem Maße in die Strukturen des internationalen Sports eingebunden und nimmt so auch vielfach Einfluss auf dessen Ausgestaltung."
Neben seiner Präsidentenrolle bei PSG ist er auch Chef der oben genannten QSI. Darüber hinaus ist er Vorstandsmitglied des Staatsfonds "Qatar Investment Authority" (QIA). Er sitzt dazu noch im Vorstand der französischen Profifußballliga (LFP), ist Mitglied des Uefa-Exekutivkomitees und CEO der "beIN Media Group". Dazu gehört auch der Fernsehsender. Zudem hält die Gruppe die Fußballrechte im arabischen Raum und an der französischen Liga. Allein die "beIn Media Group" ist ein großer Player im Bereich der Sportübertragung. Al-Khelaifi steht zusätzlich noch der "European Club Association"(ECA) vor, also der Europäischen Klubvereinigung. Es gibt kaum eine Entscheidung in der Welt des Fußballs, die der Katarer nicht mitbestimmt.
"Katar spielt seit Jahrzehnten eine wichtige sportpolitische Rolle im internationalen Fußball – oftmals aber auch eine sehr umstrittene", sagt Mittag weiter. Und ergänzt: "Eine zentrale Funktion hatte Mohamed bin Hammam inne, der lange Jahre im Exekutivkomitee der Fifa für Katar saß und auch eine wesentliche Rolle bei der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland spielte. Die Verstrickungen rund um die WM und den DFB damals entzünden sich an der Rolle von Mohamed bin Hammam. Als er sich dann aber gegen Sepp Blatter wendete und als Fifa-Präsident kandieren wollte, zog bin Hammam den Kürzeren und musste zurückgetreten. Mittlerweile ist er in der Fifa eine Persona non grata, bin Hammam hat aber dafür gesorgt, dass Katar in den vergangenen Jahren seinen Einfluss im Fußball ausbauen konnte."
Der deutsche Bundesligist FC Bayern München ist ebenfalls eng mit Katar vernetzt. Für Fans des deutschen Rekordmeisters schon zu eng, weshalb sie bei der Jahreshauptversammlung (JHV) 2021 gegen die Partnerschaft argumentieren wollten – ohne Erfolg (mehr dazu lesen Sie hier). Im Jahr 2004 flogen die Münchner erstmals ins Wintertrainingslager nach Doha. Seit 2016 ist der Flughafen von Doha Platinpartner des FC Bayern. Zwei Jahre später folgte die Platinpartnerschaft mit "Qatar Airways", deren Logo auf dem Trikotärmel des Klubs prangt. Dass sich der FC Bayern nicht so einfach von den Beziehungen mit dem Wüstenstaat lösen kann und auch nicht will, zeigte ein runder Tisch im Sommer dieses Jahres. Es war das Gegenangebot des Klubs zu den Tumulten rund um die JHV.
FC Bayern eng mit Katar vernetzt
Der deutsche Rekordmeister lud Kritiker sowie Vertreter aus Katar ein und war selbst durch die Führung von Oliver Kahn und Herbert Hainer vertreten. Für die Presse war alles via Livestream live zu verfolgen. Die Vereinsleitung des FC Bayern antwortete nicht so wie gewünscht auf den Vortrag eines Fanvertreters. Stattdessen ergriff der frühere Außenminister Sigmar Gabriel das Wort und hob die positiven Aspekte der Zusammenarbeit hervor. Er sagte: "Es gibt ja UN-Berichte, die sagen, ohne die WM wäre der Fortschritt überhaupt nicht so weit, wie er heute ist." Allerdings wird im Podcast "Geld Macht Katar" von "Zeit Online" darauf hingewiesen, dass nicht klar ist, inwieweit die WM der ausschlaggebende Grund für die Veränderung ist.
Dass der FC Bayern zu diesem runden Tisch neben Gabriel auch den WM-Organisator Hassan al-Thawadi, den katarischen Botschafter, Vertreter von NGOs wie Amnesty International und den früheren langjährigen außenpolitischen Berater von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christoph Heusgen, einlud, zeigt, welche Bedeutung Katar für den Bundesligisten hat. Der Staat ist dabei, seine Strategien immer weiter auszuweiten und wird dies auch in Zukunft tun.
Das sieht auch Mittag so und spricht in diesem Zusammenhang eine mögliche Veränderung der Sportpolitik an: "Die Entwicklung wird anhalten, in der Form, dass Katar in zentralen Gremien repräsentiert ist. Die internationale Sportpolitik wird durch eine Fülle von Einflussfaktoren geprägt. Einzelne Persönlichkeiten, Sponsoren, Medien, Fans, aber eben auch bestimmte Staaten. Wir erleben gegenwärtig, dass insbesondere aus dem asiatischen und arabischen Raum eine verstärkte Einflussnahme erfolgt. Ob dies grundsätzlich eine Gefahr darstellt, muss man Fall bezogen sehen und lässt sich so nicht abschließend beantworten. Sicher ist aber, dass Katar zu einer Kommerzialisierung des Sports beiträgt und dessen Werte verändert. Langfristig kommt es damit auch zu einer Veränderung der Strukturen in der internationalen Sportpolitik."
- Eigenes Telefongespräch mit Jürgen Mittag
- Podcast von Zeit Online: "Geld Macht Katar: Mehr als Imagepflege – Katar und der Sport", Staffel 1 Folge 3
- Kölner Stadtanzeiger: "Es wäre einseitig, nur Katar anzuklagen", Printausgabe vom 7.12.2020
- deutschlandfunkkultur.de: "Sport als trügerische Fassade"
- deutschlandfunk.de: "Sportswashing mit deutscher Beteiligung?"
- tagesschau.de: "Tausende tote Gastarbeiter in Katar"
- uefa.com: "Nassar Al-Khelaifi"
- dw.com: "Jahreshauptversammlung des FC Bayern: Eklat wegen Katar"