Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Kroos-Rückkehr ins DFB-Team Nagelsmann muss sehr verzweifelt sein
Bereits bei den März-Länderspielen wird Toni Kroos also wieder in den Kreis der Nationalmannschaft zurückkehren. Nach drei Jahren Pause. Ist das die richtige Entscheidung?
Comeback perfekt: Toni Kroos kehrt für die Heim-EM in die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zurück. Das verkündete der Weltmeister von 2014 am Donnerstag via Instagram. "Leute, kurz und schmerzlos: Ich werde ab März wieder für Deutschland spielen", schrieb Kroos: "Warum? Weil ich vom Bundestrainer gefragt wurde, Bock drauf habe und sicher bin, dass mit der Mannschaft bei der EM viel mehr möglich ist, als die meisten gerade glauben!"
Der 34-jährige Kroos war das "Metronom" im Mittelfeld der Weltmeister-Elf von 2014, das verlorene EM-Achtelfinale 2021 gegen England in Wembley war sein bis heute letztes von 106 Länderspielen. Bei Real Madrid zieht Kroos weiterhin die Fäden und ist einer der sichersten Passgeber der Fußballwelt.
Die Option eines Comebacks hatte er sich in den vergangenen Monaten ausdrücklich offengehalten, Bundestrainer Julian Nagelsmann nannte dies "eine interessante Idee". Bereits bei den März-Länderspielen gegen Frankreich in Lyon (23.3.) und gegen die Niederlande in Frankfurt/Main (26.3.) wird er wieder dabei sein.
Wie kommt die Ankündigung in Fußballdeutschland an? Einige werden jubeln, andere werden sagen, dass Kroos mitverantwortlich für das frühzeitige Ausscheiden bei der WM 2018 und der EM 2021 war. Dies führt zu der Frage: Ist die Rückkehr von Toni Kroos die richtige Entscheidung?
Ja, unbedingt. Wenn Kroos dieses Team nicht führt, tut es niemand.
Ja, wir brauchen Toni Kroos für die Heim-EM. "Brauchen" ist gar kein Ausdruck. Er ist unsere letzte Hoffnung.
Natürlich sagt das eine Menge über den Zustand der Nationalmannschaft aus. Aber wer um alles in der Welt soll dieses Team denn sonst ins wichtigste Turnier des Jahrzehnts führen? Joshua Kimmich, der verhinderte "Emotional Leader" des FC Hollywood? Leon Goretzka, sein ratloser Kompagnon? İlkay Gündoğan, der schweigende Kapitän? Oder Leroy Sané und Serge Gnabry, die notorischen Underperformer?
Dieses Team hat keine Struktur. Keinen, an dem es sich aufrichten kann. Niemanden, der für Sicherheit steht oder gar Erfolg. Wer – wenn nicht Kroos – kann die jungen Wilden wie Jamal Musiala oder Florian Wirtz stützen, wenn es schon in der Vorrunde gegen Schottland, Ungarn und die Schweiz unangenehm wird? Und das wird es.
Bundestrainer Julian Nagelsmann braucht einen verlängerten Arm auf dem Platz. Eine Autorität, auf deren Taktstock alle achten. Diese Rolle kann nur Toni Kroos ausfüllen. Er ist ein absoluter Führungsspieler bei Real Madrid. Er ist eine Passmaschine, kaum etwas braucht die fehleranfällige deutsche Mannschaft dringender.
Und: Er ist der erfolgreichste, vielleicht beste deutsche Fußballer der letzten zehn Jahre. Bei der Heim-EM, auf die wir uns freuen wollen, braucht Deutschland seine Allerbesten.
Mehr noch: Deutschland braucht den besten Kroos. Er muss mehr leisten als bisher, wenn er den Adler auf der Brust trug. Oft hat auch er sich in entscheidenden Momenten in der Nationalelf versteckt. Diesmal muss er sie auf seine Schultern nehmen und tragen. Tut er das nicht, wird das Sommermärchen zu Hause ein Albtraum "dahoam".
Nein, Toni Kroos tut sich damit selbst keinen Gefallen.
Ja, auf den allerersten Blick klingt es vielversprechend: Toni Kroos, der Weltmeister von 2014, das "Metronom" im Mittelfeld, zurück im schwarz-weißen Trikot mit dem Adler auf der Brust. Dass er sich dieser Aufgabe annimmt, ehrt ihn. Seine Qualitäten? Unbestritten. Ein Ballverteiler, wie es ihn selten gibt im Weltfußball.
Aber: Erinnern Sie sich noch an die WM 2018 in Russland? Richtig: Vorrunden-Aus. Oder die EM 2021? Genau: Raus im Achtelfinale. Und wer war da zentraler Bestandteil des deutschen Mittelfelds? Erraten. Kroos war nicht Ursache, aber Teil des Problems – und soll nun die Lösung sein? Damit tut er sich selbst keinen Gefallen.
Immerhin hat er selbst bereits betont: "Man darf nicht denken, dass wir durch diesen Kniff zum Favoriten werden" bei der Heim-EM im Sommer. Zumal er beim DFB längst nicht mehr die Mitspieler vergangener Zeiten neben sich weiß, und es gebietet der Anstand, seine kommenden Teamkollegen nicht auch noch durch Namensnennung bloßzustellen.
Öffentlich wird der nüchterne Greifswalder trotzdem als Heilsbringer gesehen, um bei der zuletzt so bräsig und blutleer kickenden DFB-Elf einen Umschwung zu bewirken. Die Emotion, das Mitreißende fehlte dem viermaligen Weltmeister zuletzt so dramatisch. Gerade das aber, ein Lautsprecher, ein Leadertyp, ein Menschenfänger vom Schlage des ewig als Blaupause des Gefühlsfußballers angeführten Thomas Müller, ist er nicht, war er nie.
Toni Kroos zurück in der Nationalmannschaft – das wirkt wie eine kurzsichtige Rückholaktion, fast schon ein billiges Manöver, das vor allem den öffentlichen Furor bändigen soll. Indiz der dramatischen Personallage, die Bundestrainer Julian Nagelsmann damit auch öffentlich eingesteht. Er muss schon sehr verzweifelt sein.
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- Eigene Beobachtungen
- Mit Material der Nachrichtenagentur SID