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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bundestrainer bis zur EM Welche DFB-Stars von Nagelsmann profitieren – und welche nicht
Der DFB hat einen neuen Bundestrainer. Julian Nagelsmann wird bis zur Heim-EM übernehmen. Das wird nicht allen Nationalspielern gefallen.
Nach dem Aus von Hansi Flick als Trainer der deutschen Nationalmannschaft suchte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) fieberhaft nach einem Nachfolger für den 58-Jährigen. Nun ist der Verband fündig geworden: Julian Nagelsmann wird bis zur Europameisterschaft 2024 im eigenen Land das Amt des Bundestrainers übernehmen.
Dass der Ex-Bayern-Trainer in Flicks Fußstapfen tritt, dürfte deutliche Auswirkungen auf das Team haben. Einige Spieler, die zuletzt oder schon länger weniger im Fokus der DFB-Elf standen, könnten von der Entscheidung zugunsten Nagelsmanns profitieren.
Für andere könnte es neun Monate vor Turnierbeginn plötzlich eng werden mit der Chance, auf den EM-Zug aufzuspringen.
Timo Werner: Mit Nagelsmann zurück zu alter Stärke?
Ein DFB-Star, der sich durchaus über Julian Nagelsmann als Bundestrainer freuen dürfte, ist Timo Werner. Aktuell hinkt der Leipzig-Profi seiner Bestform meilenweit hinterher. Selbst im Klub ist Werner nur noch zweite Wahl, wurde am vergangenen Wochenende beim 3:0-Sieg gegen Augsburg erst in der 87. Minute eingewechselt. Er kommt in drei Einsätzen in der Bundesliga auf insgesamt 75 Minuten Spielzeit.
Zu den Länderspielen im September hatte ihn Ex-DFB-Coach Hansi Flick nicht nominiert. Die Konsequenz aus schwankenden Leistungen des Stürmers, der im Sommer 2022 nach zwei Jahren beim FC Chelsea zurückkehrte. Mit den Londonern holte Werner 2021 zwar den Champions-League-Titel, doch nachhaltig zu überzeugen wusste er dort nicht. Es folgte die Rückkehr nach Leipzig im vergangenen Sommer, von der sich aber beide Seiten sicherlich mehr als neun Tore in bisher 30 Bundesligaspielen versprochen haben.
Deutlich besser sah das noch vor Werners Chelsea-Zeit aus. Als der 27-Jährige Leipzig verließ, hatte er gerade die beste Saison seiner Karriere hinter sich. 28 Treffer erzielte Werner in 34 Ligaspielen, bereitete dazu acht weitere Tore vor und netzte auch im DFB-Pokal und in der Champions League mehrfach. Sein Trainer zu dieser Zeit? Julian Nagelsmann. Der kitzelte schon damals das Maximum aus Werner heraus und könnte den gefallenen Stürmer nun wieder in die Spur bringen.
Nagelsmann war in der gemeinsamen Zeit ein großer Förderer des Stürmers, lobte ihn mehrfach und setzte ihn so ein, wie er am effektivsten ist. Im Dezember 2019 kündigte er an: "Ich bin mir relativ sicher – ohne jetzt zu viel Angst zu verbreiten, was die gegnerischen Torhüter angeht –, dass er noch ein paar Schritte gehen wird und noch torgefährlicher wird." Unter Nagelsmann selbst ging die Ankündigung auch auf – und könnte nun neu belebt werden.
Alte Bekannte: Die Bayern-Achse im Zentrum
Von Vorteil könnte die Nagelsmann-Verpflichtung auch für einen weiteren Akteur sein, der bei den Länderspielen gegen Japan und Frankreich nicht zum Aufgebot gehörte: Leon Goretzka. Der Bayern-Star hatte zuletzt sogar regelrecht für seinen früheren Coach beim FC Bayern geworben: "Ich finde, dass Julian ein super Trainer ist. Wenn er das am Ende wird, haben wir, glaube ich, da einen großartigen Trainer", so der Mittelfeldspieler.
Die Aussagen belegen: Das Verhältnis zwischen Nagelsmann und Goretzka ist gut. Der 36-Jährige könnte bei der Nationalmannschaft auf seinen ehemaligen Schützling im Zentrum setzen. Und daneben? Da könnte Goretzkas Bayern-Kollege Joshua Kimmich auflaufen und wieder zu seiner alten Form zurückfinden, die dem 28-Jährigen zuletzt abhandengekommen ist.
Dass diese Kombination unter Nagelsmann in der Vergangenheit bereits gut funktionierte, zeigten zwei der letzten Auftritte des designierten Bundestrainers an der Seitenlinie des FC Bayern. Im Champions-League-Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain Anfang des Jahres konnte das Duo Goretzka/Kimmich sowohl im Hin- als auch im Rückspiel überzeugen. Insbesondere Goretzka agierte als Dreh- und Angelpunkt der Bayern-Elf, präsentierte sich in der Defensive robust und bereitete in der zweiten Partie uneigennützig den enorm wichtigen Führungstreffer vor. Die erneute Zusammenarbeit mit Nagelsmann dürfte demnach besonders den früheren Schalker beflügeln.
Süle und Nagelsmann: Langjährige Weggefährten
Für den Dortmunder Niklas Süle könnte die Trainerentscheidung beim DFB ebenfalls positive Folgen haben. Der Verteidiger kennt Julian Nagelsmann bestens aus seiner Zeit bei der TSG Hoffenheim und beim FC Bayern, weiß also, wie er tickt und was er fordert.
Doch Fakt ist auch, dass Süle den FC Bayern im vergangenen Sommer Richtung BVB verließ. Damals war Nagelsmann noch Coach bei den Münchnern. Der Abgang des Abwehrmanns verlief nicht ganz reibungslos. Das lag aber vor allem daran, dass Süle sich im Klub nicht genug wertgeschätzt fühlte. Gemeint haben dürfte er damit die Führungsriege um Karl-Heinz Rummenigge.
Denn Julian Nagelsmann hatte erklärt, dass er traurig über den Wechsel des 28-Jährigen sei, den er schon im Jugendbereich betreut hatte. "Ich hätte gerne mit ihm weitergearbeitet, weil ich ihn seit über zehn Jahren begleite", so der Coach im Frühjahr 2022. Jetzt hat er wieder die Chance dazu. Beide dürften von der erneuten Zusammenarbeit angesichts ihrer Vergangenheit profitieren.
Manuel Neuer und das "rausgerissene Herz"
Weniger glücklich über die Nagelsmann-Ernennung mag derweil Manuel Neuer sein. Der nach seinem Unterschenkelbruch noch immer nicht fitte Torhüter muss um seinen Platz im DFB-Tor fürchten. Denn das Verhältnis zu Julian Nagelsmann dürfte nach wie vor nicht das beste sein.
Der Grund: Im Januar 2023 entließ der FC Bayern Neuers langjährigen Weggefährten und Torwartrainer Toni Tapalović. Die Zusammenarbeit mit Nagelsmann soll nicht funktioniert haben.
Manuel Neuer reagierte in der Folge emotional: "Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen, das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe", so der Keeper im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Ob der 37-Jährige und Nagelsmann diesen Zwischenfall ad acta gelegt haben, bleibt abzuwarten. Doch die Chancen für den langjährigen Ersatzkeeper Marc-André ter Stegen stehen nicht schlecht, Manuel Neuer nun endgültig als Nummer eins im DFB-Tor abzulösen. Der bereits als Kapitän rasierte Neuer wäre für Nagelsmann im Zweifelsfall ein Unruheherd.
Bei seiner Vorstellung am Freitag sagte Nagelsmann zur Personalie Neuer: "Das Wichtigste ist, dass wir Manu Zeit geben, gesund zu werden." Erst wenn Neuer wieder gesund sei, werde man bewerten, wer im Tor stehen soll. Kapitän bleiben wird auf jeden Fall İlkay Gündoğan, verriet Nagelsmann.
Nagelsmann als Bundestrainer: Problem für BVB-Profis?
Schwierig dürfte es auch für einige BVB-Akteure werden, die überhaupt keinen Bezug zu Nagelsmann haben und auch in ihrem Verein aktuell nicht zu überzeugen wissen. Emre Can zum Beispiel ist bei den Dortmundern zwar Kapitän, doch ob Nagelsmann auf den zuletzt fehleranfälligen Defensivmann setzt, ist äußerst fraglich. Denn Cans Robustheit und Zweikampfhärte täuschen nicht über seine spielerischen Defizite hinweg, die unter Nagelsmann zum Problem werden könnten.
Auch Felix Nmecha könnte künftig auf der Kippe stehen. Denn im Zentrum kann sich Nagelsmann nicht nur auf Goretzka und Kimmich verlassen: Mit dem DFB-Kapitän İlkay Gündoğan steht noch eine hochwertige Alternative parat.
Auch der Neu-Nationalspieler Pascal Groß kann zentral agieren und liefert seit Jahren Spitzenleistungen für Brighton & Hove Albion. Felix Nmecha konnte seit seinem Millionenwechsel von Wolfsburg nach Dortmund die Erwartungen noch nicht erfüllen. Dass Nagelsmann Bundestrainer wird, dürfte da nicht helfen.
- sport1.de: "Nagelsmann "traurig" über Süle-Abgang"
- welt.de: "Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen"
- Eigene Recherche