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Blue Girl: Frauenrechtlerin Shojaei spricht über den Iran und Khodayari


Tragödie um weiblichen Fan
"Ihre Geschichte hat die Menschen im Iran sehr aufgewühlt"

Interviewt-online, Von Patrick Hoffmann

Aktualisiert am 10.10.2019Lesedauer: 6 Min.
Ein ganz seltenes Bild: Frauen im iranischen Azadi-Fußballstadion im Jahr 2018. Damals beim Freundschaftsspiel ihres Landes gegen Bolivien.Vergrößern des Bildes
Ein ganz seltenes Bild: Frauen im iranischen Azadi-Fußballstadion im Jahr 2018. Damals beim Freundschaftsspiel ihres Landes gegen Bolivien. (Quelle: ap)

Im Interview spricht die iranische Frauenrechtlerin Maryam Shojaei über das "Blaue Mädchen", verrät, weshalb sie ihrem berühmten Fußballer-Bruder nie von ihren Protestaktionen erzählt hat – und erklärt, was sie von den jüngsten Ankündigung der Fifa hält.

Es ist eine kleine Revolution: Beim WM-Qualifikationsspiel der iranischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Kambodscha am Donnerstag werden erstmals in der vierzigjährigen Geschichte der Islamischen Republik Iran auch Frauen im Stadion in Teheran sitzen.

Alle 3500 Tickets für die vier Sondertribünen seien innerhalb von Minuten ausverkauft gewesen, teilte eine staatliche Nachrichtenagentur am vergangenen Wochenende mit. Bislang hat der erzkonservative Klerus Frauen strikt untersagt, Fußballspiele zu besuchen – und jegliche Versuche von weiblichen Fußballfans, dennoch ins Stadion zu gelangen, drakonisch bestraft. So wie im Fall von Sahar Khodayari.

Festgenommen wegen "sündhaften Verhaltens"

Die 29-Jährige wollte im vergangenen März ein Spiel ihres Lieblingsklubs Esteghlal sehen – und versuchte, als Mann verleidet ins Teheraner Azadi-Stadion zu gelangen, so wie es viele Frauen im Iran machen. Bei der Einlasskontrolle flog sie auf. Sahar Khodayari wurde festgenommen und wegen "sündhaften Verhaltens" angeklagt. Als sie Anfang September erfuhr, dass ihr bis zu sechs Monate Gefängnisstrafe drohen würden, übergoss sie sich vor dem Gerichtsgebäude mit Benzin und zündete sich an. Wenige Tage später erlag sie ihren schweren Verletzungen.

Das traurige Schicksal des "Blauen Mädchen", wie Sahar Khodayari seither in den Sozialen Netzwerken genannt wird, wegen der Trikotfarbe ihres Lieblingsklubs Esteghlal, hat in den vergangenen Wochen weltweit für Empörung gesorgt – und sowohl die iranische Regierung als auch den Fußballweltverband Fifa dazu bewogen, einzulenken. Doch gerade die Fifa könne noch viel mehr bewirken, wenn sie denn wollte, sagt Maryam Shojaei. Mehr noch: "Wenn die Fifa ihre eigenen Antidiskriminierungsregeln durchsetzen würde, wäre Sahar Khodayari noch am Leben."

Maryam Shojaei gehört zu den bekanntesten iranischen Frauenrechts-Aktivistinnen. Ihre Petition "#NoBan4Women" haben bereits fast 300.000 Menschen unterzeichnet. Seit 2015 reist die Schwester des iranischen Nationalmannschaftskapitäns Masoud Shojaei um die Welt und protestiert in Stadien mit einem große Banner gegen das Stadionverbot für Frauen. "Ich will, dass Frauen im Iran zum Fußball gehen können, so wie in jedem anderen Land."

Vor dem historischen Länderspiel zwischen dem Iran und Kambodscha in Teheran erklärt Maryam Shojaei im Interview mit t-online.de, warum der Klerus im Iran so vehement am Stadionverbot für Frauen festhält, wieso sie ihrem Bruder nichts von ihren Protestaktionen erzählt – und was der Tod des "Blauen Mädchens" im Land ausgelöst hat.

t-online.de: Frau Shojaei, Sie kämpfen seit Jahren gegen das Stadionverbot für Frauen im Iran. Nun hat der Weltfußballverband Fifa zugesichert, dass Frauen beim nächsten Länderspiel gegen Kambodscha Mitte Oktober in Teheran dabei sein dürfen. Haben Sie Ihr Ziel endlich erreicht?

Maryam Shojaei: Nein, noch lange nicht. Es ist ein großer Fortschritt, dass Frauen zum ersten Mal seit 40 Jahren Tickets für ein Fußballspiel kaufen können. Dass sie ins Stadion gehen können, ohne sich als Mann verkleiden zu müssen. Dass sie keine Angst haben müssen, verhaftet zu werden. Aber heißt das jetzt, dass die Stadien dauerhaft und im ganzen Land für Frauen geöffnet werden? Oder gilt die Erlaubnis nur für dieses eine Spiel gegen Kambodscha? Darauf hat die iranische Regierung noch immer keine Antworten gegeben.

Derzeit wird im Zusammenhang mit Frauenrechten im Iran viel über das "Blaue Mädchen", Sahar Khodayari, berichtet. Sie war vor einigen Wochen von der Polizei festgenommen worden, nachdem sie versucht hatte, beim Teheraner Derby zwischen Esteghlal und Persepolis ins Stadion zu kommen. Aus Protest gegen eine angekündigte Haftstrafe zündete sie sich vor dem Gerichtsgebäude an und erlag später ihren schweren Verletzungen. Hat ihr Tod zum raschen Handeln der Fifa geführt?

Der Tod des "Blauen Mädchens" hat den Vorgang auf jeden Fall beschleunigt. Ihr Schicksal hat viele Menschen berührt, nicht nur im Iran, sondern überall auf der Welt. Prominente Klubs wie AS Rom und Bayern München oder Spieler wie Megan Rapinoe und Jerome Boateng haben sich öffentlich mit den Frauen im Iran solidarisiert. Das ist großartig. Und es zeigt, wie mächtig die Sozialen Netzwerke sind.

Haben Sie mit den vielen Reaktionen aus dem In- und Ausland gerechnet?

Nein. Ich bin vor allem überrascht, wie sehr sich die iranische Gesellschaft mit dem Thema beschäftigt. Beim Teheraner Derby hatten viele Zuschauer T-Shirts an, auf denen geschrieben stand: "Wir gedenken #bluegirl". Ihre Geschichte hat die Menschen im Iran sehr aufgewühlt.

Wie gehen die iranischen Medien mit dem Thema um? Berichten Sie über das "Blaue Mädchen" und den Protest gegen das Stadionverbot für Frauen?

Die Medien versuchen, das Thema so gut es geht zu ignorieren. Und wenn sie berichten, konzentrieren sie sich auf die Depressionen des Mädchens. Sie behaupten, dass Sahar Khodayari nicht bei Sinnen gewesen sei, als sie sich angezündet hat. Dabei hat ihre Krankheit nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun. Überall auf der Welt dürfen Frauen ins Fußballstadion gehen, nur im Iran nicht. Dort droht ihnen eine Gefängnisstrafe, wenn sie trotzdem versuchen, ins Stadion zu kommen.

Warum hält die iranische Führung so vehement am Stadionverbot für Frauen fest?

Eine offizielle Erklärung hat es nie gegeben. Es gibt nicht mal ein Gesetz, das Frauen untersagt, ins Stadion zu gehen. Nach der Islamischen Revolution 1979 ist es einfach gängige Praxis geworden, Frauen den Zugang ins Stadion zu verwehren. Konservative Hardliner behaupten, dass ein Fußballstadion nicht der richtige Ort für Frauen sei. Sie sagen, Frauen müssten vor den vulgären Sprüchen der Männer geschützt werden. Dabei ist es genau anders herum: Die Männer benehmen sich nur deshalb so schlecht im Stadion, weil sie unter sich sind. Gäbe es Frauen im Stadion, wäre es ein viel weiblicherer Ort. Aber darum geht es den Konservativen ja auch gar nicht.

Worum geht es den Konservativen dann?

Ich denke, es geht ihnen hauptsächlich um ihr Ego. Denn dieses Verbot spiegelt nicht die Interessen und Wünsche unserer Gesellschaft wider. Wir sind keine erzkonservativen Menschen. Bei uns gehen Männer und Frauen zusammen ins Kino, ins Theater oder ins Restaurant. Von Fußballspielen aber sind Frauen seit 40 Jahren ausgeschlossen, und die konservativen Kreise wollen einfach, dass das so bleibt. Vielleicht fürchten sie auch, dass wir Frauen nach der Abschaffung des Stadionverbots weitere Forderungen stellen könnten...

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Die meisten Frauen im Iran protestieren anonym gegen das Stadionverbot, wie zum Beispiel "Open Stadiums". Sie haben den Weg über die Öffentlichkeit gewählt und demonstrieren bei Auswärtsspielen der iranischen Nationalmannschaft mit einem großen Banner. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich habe im November 2014 mit meiner Kampagne begonnen, weil ich den Fußball liebe, und weil ich es toll finde, wie sehr uns dieser Sport verbindet, speziell im Iran. Umso schlimmer finde ich es, dass die Hälfte der Bevölkerung nicht ins Stadion gehen und die tolle Atmosphäre genießen darf. Diese Hälfte der Bevölkerung sind auch Fans! Anfangs war ich der Überzeugung, dass das Verbot innerhalb des Landes bekämpft werden muss, durch Proteste und Kampagnen von Künstlern und anderen Menschen. Aber je länger ich mich mit dem Thema und den Umständen im Iran beschäftigt habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass dieses Thema von außen angegangen werden muss, insbesondere durch die Fifa.

Warum durch die Fifa?

Weil die Fifa Druck ausüben kann. Sie kann zum Beispiel damit drohen, den Iran von internationalen Turnieren auszuschließen. Und die Führer im Iran sind clever genug, einen solchen Ausschluss unter allen Umständen zu vermeiden. Anderenfalls würde es im Land zu massiven Protesten kommen. Die Iraner lieben Fußball.

Ist sich die Fifa dieser Macht bewusst und tut genug für die Rechte von Frauen im Iran?

Lassen Sie es mich so sagen: In den vergangenen Tagen hat die Fifa Schritte in die richtige Richtung gemacht.

Ihr Bruder, Masoud Shojaei, spielt seit 2004 in der iranischen Fußball-Nationalmannschaft, ist sogar deren Kapitän. Wie denkt er über Ihre Kampagne?

Mein Bruder ist ein sehr liberaler Mensch, der die Frauenrechte unterstützt. Aber wir haben noch nie über dieses Thema gesprochen.

Niemals?

Niemals.

Warum nicht?

Ich möchte ihn nicht unter Druck setzen. Deshalb erzähle ich ihm auch nichts von meinen Protestaktionen. Als ich im vergangenen Jahr zur Weltmeisterschaft nach Russland geflogen bin, um vor Ort zu protestieren, hat er vorher nicht mal gewusst, dass ich da bin. Und als ich im Januar bei der Asienmeisterschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten gewesen bin, hat er auch keine Ahnung gehabt.

Haben Sie denn die Hoffnung, in Zukunft regelmäßig mit anderen Frauen in einem iranischen Stadion zu sitzen und Ihren Bruder anzufeuern?

Ja. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Problem in naher Zukunft ein für alle Mal lösen werden. Mit der Selbsttötung des "Blauen Mädchen" haben wir den Tiefpunkt erreicht. Vermutlich hat es diese fürchterliche Tragödie gebraucht, damit auch der Letzte auf das Thema aufmerksam wird und endlich etwas passiert.

Zur Person

Maryam Shojaei ist eine iranische Aktivistin und Gründerin der Initiative "My Fundamental Right". Ihre Kampagne "#NoBan4Women", mit der sie gegen das Stadionverbot für Frauen im Iran kämpft, haben bereits mehr als 280.000 Menschen unterzeichnet.

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