Zu viel Druck? Matthäus kritisiert Mertesacker: "Er hätte ja aufhören können"
Weltmeister Per Mertesacker hat in einem Interview offen und ehrlich die Schattenseiten des Profi-Fußballs beschrieben. Frühere Stars reagieren mit großem Unverständnis.
Das Interview von Per Mertesacker im "Spiegel" sorgt für heftige Diskussionen in der Fußball-Branche. Der Verteidiger des FC Arsenal erzählt darin, dass er noch heute vor jedem Spiel wegen des großen Drucks Durchfall und Brechreiz verspüre. Dass er im Nachhinein über das vermeintliche "Sommermärchen" von 2006 denkt: "Der Druck hat mich aufgefressen. Dieses ständige Horrorszenario, einen Fehler zu machen, aus dem dann ein Tor entsteht."
Metzelder und Matthäus widersprechen deutlich
Und dass er sich nach fast 15 Karrierejahren müde und ausgelaugt fühle und einfach "keinen Bock mehr" habe. "Alle sagen, ich solle das letzte Jahr richtig auskosten", erklärt er. Aber: "Am liebsten sitze ich auf der Bank, noch lieber auf der Tribüne." Ab dem Sommer wird er die Leitung der Nachwuchs-Akademie seines Klubs übernehmen.
Im Internet zollten ihm viele Kommentatoren Respekt für seine Offenheit. Aus dem Fußball-Geschäft war jedoch auch Unverständnis zu hören.
Von Christoph Metzelder etwa. Der war bei der Weltmeisterschaft 2006 der Nebenmann von Mertesacker in der deutschen Innenverteidigung. "Ich habe die WM 2006 überhaupt nicht so empfunden. Ab einem gewissen Punkt waren wir auf einer Welle", sagte er als Experte des TV-Senders Sky.
Mertesacker will ein Vermächtnis hinterlassen
Rekordnationalspieler Lothar Matthäus bezog in der gleichen Sendung besonders deutlich Stellung: "Nationalmannschaft spielt man freiwillig. Er hätte ja aufhören können, wenn der Druck so groß war", sagte der 56-Jährige. Und: "Wie will er nach diesen Aussagen weiter im Profifußball tätig sein? Er hat doch die Idee, im Nachwuchs zu arbeiten. Wie will er einem jungen Spieler diese Professionalität vermitteln, wenn er sagt, dass da zu viel Druck ist? Das geht nicht."
Über das Thema Druck im Profifußball wird immer nur in kurzen Aufmerksamkeitsschüben diskutiert, so etwa nach dem Suizid des früheren Nationaltorwarts und Mertesacker-Freundes Robert Enke 2009. Mertesacker selbst beklagt genau das. Das Gerede über mehr Menschlichkeit im Fußball seien nur schöne Worte, sagte er dem "Spiegel". Er wolle deshalb kurz vor dem Ende seiner Karriere eine Art Vermächtnis hinterlassen und junge Talente ganz gezielt auf die Schattenseiten dieses vermeintlichen Traumberufes aufmerksam machen.
Er wolle ausdrücklich nicht "weinerlich klingen. Denn natürlich sind mir die Privilegien meines Lebens bewusst". Der exorbitante Verdienst. Die öffentliche Bedeutung. "Ich habe mir das ja so ausgesucht, keiner hat mich dazu gezwungen."
- dpa
- Das "Spiegel"-Interview mit Per Mertesacker