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WM 2022 in der Wüste: Warum eigentlich Katar?


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Winter-WM in der Wüste
Fußball, Katar und der stinkende Fisch


Aktualisiert am 31.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Hamad bin Khalifa: Der ehemalige Emir von Katar bei der Vergabe 2010. Warum hat sich Katar überhaupt um das Turnier bemüht?Vergrößern des Bildes
Hamad bin Khalifa: Der ehemalige Emir von Katar bei der Vergabe 2010. Warum hat sich Katar überhaupt um das Turnier bemüht? (Quelle: Ulmer/imago-images-bilder)
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Am Freitag werden die Gruppen für die WM in Katar ausgelost. Dass sie dort stattfindet, ist heftig umstritten. Warum wollte das Emirat das Turnier? Ein Aspekt wurde dabei bislang kaum beleuchtet.

Bald ist es soweit: Am 21. November beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Am Freitag den 1. April werden die acht Gruppen für das Turnier ausgelost. Wer auf wen trifft entscheidet sich bei der abendlichen Auslosung in Doha, an der auch Weltfußballer Lothar Matthäus als "Losfee" teilnimmt (mehr dazu lesen Sie hier). Ein Novum bei der diesjährigen WM: Aufgrund der hohen Temperaturen im Sommer wurde der Wettbewerb in den Winter verlegt. Es ist die erste Winter-WM der Geschichte.

Keinerlei fußballerische Tradition, kaum Stadien, klimatisch unpassende Bedingungen. Es stellt sich die Frage: Warum wollte Katar überhaupt dieses Turnier austragen?

Der Islamwissenschaftler Dr. Sebastian Sons geht dabei auf einen Aspekt ein, der bei der öffentlichen Diskussion um die Vergabe oft zu kurz kommt – und beschreibt die WM in Katar als wichtiges Sicherheitskonzept für das Land selbst. Das sagte er in der Fußballsendung "Bohndesliga" (hier zu sehen bei YouTube) am vergangenen Montag.

"Für Katar ist die WM Überlebenselixier und extrem wichtig. Nicht nur aus internationalen Reputationsgründen, sondern auch aus politischen und sicherheitspolitischen Gründen. Katar ist ein sehr, sehr kleines Land (...) und muss sich seit der Unabhängigkeit von vor 50 Jahren in einer sehr, sehr fragilen Region irgendwie behaupten", so Sons.

"Wer eine WM hat, der kann nicht attackiert werden"

"Man ist eingequetscht zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, auch die Türkei spielt mit rein – und man hat immer Angst in Katar, zwischen diesen Schwergewichten zerrieben zu werden. Dass man besetzt, dass man bedroht wird. Um sich vor dieser Gefahr zu schützen, versucht man sich mit Sportveranstaltungen wie der WM international unangreifbar zu machen. Weil: Wer eine WM hat, der kann nicht attackiert werden – und genauso ist es gekommen." Die WM sei das "absolute Highlight" gewesen in einer Strategie, sich unabhängiger und sicherer aufzustellen, so Sons weiter.

Laut Sons beruhe das katarische Erfolgsmodell darauf, mit "jedem zu sprechen". Man sei sehr stark an die US-Amerikaner und den Westen angebunden, gleichzeitig spreche die katarische Regierung aber auch mit den Taliban in Afghanistan. Auf der einen Seite versuche man sich mit "Europa gemein zu machen und dort zu investieren", auf der anderen Seite verfolge man ein "konservatives Islambild". Das "Hin- und Herpendeln zwischen unterschiedlichen Lagern" sei das Stabilitätskonzept, sich zu schützen.

Menschenrechtslage spielte bei Vergabe keine Rolle

Katar sicherte sich bereits im Jahr 2010 bei einer bis heute stark in der Kritik stehenden Doppelvergabe die Weltmeisterschaft 2022. Auch die WM 2018 an Russland wurde an jenem 2. Dezember 2010 vergeben.

Unabhängig von der zwielichtigen Vergabe steht Katar insbesondere bei Menschenrechtsorganisationen massiv in der Kritik. Nach Aussagen von Nicholas McGeehan, Menschenrechtsforscher und Direktor der gemeinnützigen Organisation Fairsquare Research, sollen seit der Vergabe vor zwölf Jahren 15.000 Gastarbeiter ums Leben gekommen sein. Eines der größten Probleme dabei sei, dass "über 70 Prozent der Todesfälle nicht sauber aufgearbeitet" würden, so Lisa Salza, Expertin bei Amnesty International für Sport- und Menschenrechte, die ebenfalls bei "Bohndesliga" zu Gast war.

Wie also umgehen mit dieser WM? Kann der Sport zu einer positiven Veränderung beitragen – oder sollte das Turnier boykottiert werden? Laut Salza habe die Menschenrechtslage beim Zeitpunkt der Vergabe keinerlei Rolle gespielt – weder bei der Fifa noch in Katar selbst.

Amnesty International: "Wir stellen trotz der Reformen Missbrauch fest"

"Es ging um Korruption, um Klima-Aspekte, aber die Menschenrechte waren kaum ein Thema. Und das obwohl nur ein Jahr zuvor, im Jahr 2009, das sogenannte Kafala-System eingeführt wurde, das Tür und Tor für Missbrauch öffnet. Das hat die Fifa zum Zeitpunkt der Vergabe gewusst und es verpasst, entsprechende Kriterien einzuführen."

Das Kafala-System führt zu vollkommener Abhängigkeit der Gastarbeiter und -arbeiterinnen von ihrem Arbeitgeber und den ansässigen Firmen. "Sie müssen ihren Pass abgeben, um überhaupt registriert zu werden. In sehr, sehr vielen Fällen haben die Leute ihren Pass nicht zurückbekommen." Ebenso sollen viele Arbeitnehmer nicht oder nur verspätet ihr Gehalt ausgezahlt bekommen haben. Zudem ist die Wohnsituationen teilweise katastrophal – wie ein Bericht von "Sport inside" aus dem Juni 2021 zeigt.

Diskriminierung von Homosexuellen und Frauen gegenwärtig

Zwar hätten sich laut Salza in den vergangenen Jahren die verheerenden Sicherheitsvorkehrungen auf den Stadionbaustellen gebessert – und auch die "problematischsten Aspekte" des Kafala-Systems seien laut Gesetz abgeschafft worden. Allerdings hapere es noch an der praktischen Umsetzung. "Wir stellen trotz der Reformen bei Tausenden von Arbeitnehmern Missbrauch fest", so Salza. In ihrem am Dienstag veröffentlichten Jahresbericht beklagte Amnesty International weiterhin Mängel bei den Arbeitsbedingungen für Migranten, aber auch Einschränkungen der Meinungsfreiheit sowie die Diskriminierung von Frauen oder Homosexuellen.

Kritik an Katar und Weltverband Fifa hagelte es auch aus Norwegen. Die WM sei im Jahr 2010 unter "inakzeptablen Umständen und mit inakzeptablen Konsequenzen" an das Emirat vergeben worden, so Norwegens Verbandspräsidentin Lisa Klaveness bei der Vollversammlung der Fifa am Donnerstag in Doha. Insbesondere den Fußballverband nahm sie dabei in die Pflicht. "Die Fifa muss alle Maßnahmen ergreifen, um Veränderungen herbeizuführen."

Auch Fanvertreter aus Deutschland blicken mit scharfer Kritik auf das Event. "Dieses Turnier ist der absolute Tiefpunkt einer verheerenden Entwicklung", sagte Dario Minden von der Fanvereinigung "Unsere Kurve" dem Sportinformationsdienst. Das Turnier sei "der Ausverkauf des Fußballs". "Es gibt nichts mehr, keine letzte Hürde von Anstand und Moral, die man nicht mit Geld überwinden kann", kritisierte er. Die Fifa sei "der stinkende Kopf des Fisches."

Boykott für DFB keine Option

Und wie steht der DFB zum Thema Katar? Die Mannschaft von Hansi Flick qualifizierte sich vergangenen Herbst für das Turnier, machte mit vereinzelten Aktionen vor den Qualifikationsspielen im vergangenen Jahr auf die problematische Menschenrechtslage aufmerksam.

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DFB-Direktor Oliver Bierhoff hatte im Januar allerdings einen Boykott des Turniers klar ausgeschlossen. "Der Sport hat die Kraft, Brücken zu bauen, im Dialog zu bleiben und Veränderungen anzustoßen, das hat er schon oft bewiesen. Diese Möglichkeit wollen wir nicht unversucht lassen", sagte Bierhoff im Januar dem "Stern". "Die verbleibenden (...) Monate bis zum Eröffnungsspiel sollten nun von allen Beteiligten wirkungsvoll genutzt werden", so der 53-Jährige.

In den kommenden Monaten will Bierhoff nun auf die Zusammenarbeit mit der Politik setzen. "Vielleicht können der deutsche Fußball und die deutsche Politik auch in dieser wichtigen Frage Hand in Hand agieren, indem wir die Aufmerksamkeit einer Fußball-WM nutzen, um Prozesse in Katar weiter voranzutreiben", sagte er der "Frankfurter Rundschau" am Montag. Zuletzt war Wirtschaftsminister Robert Habeck für Verhandlungen über eine Energiepartnerschaft nach Katar gereist.

Bierhoff habe bei seinen Besuchen in Katar bisher "nur schöne Stadien, Trainingsplätze und Hotels zu sehen bekommen. Ich bin nicht optimistisch, dass wir noch tiefere Einblicke gewährt bekommen", sagte der Europameister von 1996, der vor Ort bislang "vornehmlich" mit Verantwortlichen des Weltverbandes Fifa und den Organisatoren gesprochen hat.

Einen Überblick wie vor den WM-Turnieren 2010 und 2014 konnte er sich daher noch nicht verschaffen. In Südafrika oder Brasilien sei es etwa möglich gewesen, "Townships und Favelas zu besuchen", sagte Bierhoff. Mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen in Katar habe er sich von "Nichtregierungsorganisationen beschreiben lassen, was wir wahrscheinlich nie zu sehen bekommen werden".

Trotz allem will Bierhoff die sportlichen Ziele nicht aus den Augen verlieren. "Wir müssen aufpassen, dass wir uns den wichtigen und nötigen politischen Debatten nicht verschließen, aber gleichzeitig auch eine innere Euphorie wecken, die aus dem Team heraus entsteht", sagte Bierhoff vor der Gruppenauslosung am Freitag in der katarischen Hauptstadt Doha.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen SID und dpa
  • Eigene Recherche
  • 72. Fifa-Kongress in Doha
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