Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Frauen fordern Revolution Almuth Schult: Was sich im Fußball ändern muss
Eine Frauenquote in der Wirtschaft wird bereits seit einigen Jahren diskutiert, im Fußball wird sie oft belächelt. Doch eine Gruppe prominenter Frauen sieht sie als nötig an – und fordert mehr.
Fast hätte es in den USA im Juni dieses Jahres große Schlagzeilen gegeben, aber nur fast. Auf der Suche nach einem neuen Cheftrainer führten das Basketball-Profiteam Portland Trail Blazers Gespräche mit Becky Hammon, der Co-Trainerin des Liga-Konkurrenten San Antonio Spurs. Am Ende entschieden sie sich für Spieler-Legende Chauncey Billups, Hammon blieb in San Antonio.
Von diesem Punkt ist der deutsche Fußball weit entfernt. Eine Cheftrainerin in der Männer-Bundesliga? Aktuell praktisch undenkbar. Am nächsten dran ist Imke Wübbenhorst, die ab August Co-Trainerin bei Drittligist Viktoria Köln ist. Der Männerfußball bleibt eine Männerdomäne. Ob auf der Trainerbank oder im Management.
Ein Zustand, den einige Frauen ändern wollen. Im Mai dieses Jahres präsentierte ein Kollektiv um Katja Kraus (Ex-HSV-Vorstand), Bibiana Steinhaus (Schiedsrichterin) und Claudia Neumann (Kommentatorin) ein Positionspapier mit dem Namen "Fußball kann mehr". Das Ziel: mehr Gleichstellung und mehr Diversität. Mit dabei war auch Almuth Schult. Die Olympiasiegerin und Nationaltorhüterin vom VfL Wolfsburg ist der vielleicht prominenteste Name in der Liste.
Die 30-Jährige hat ein klares Ziel. Im Gespräch mit t-online sagt sie: "Ich habe schon als Kind im Fußball Erfahrungen gemacht, die ich anderen jungen Mädels nicht wünsche. Daher ist es mein Wunsch, dass etwas passiert. Ich will nicht, dass wir in 20 Jahren an dem gleichen Punkt stehen. Wir Frauen, die dieses Papier verfasst haben, sind der Meinung, dass die Gesellschaft sich an einem Punkt sieht, an dem sie noch nicht ist."
"Ohne ein Ziel kann kein Weg kreiert werden"
Acht Forderungen stehen in jenem Papier (unten im Artikel sind sie komplett zu finden). Einige sind sehr ambitioniert. Zum Beispiel: "Verbindliche Quote von mindestens 30% Frauen in Aufsichtsräten sowie die Besetzung eines jeden (Klub-)Vorstandes/Geschäftsführung von allen Männer und Frauen-Profiligen mit mindestens einer Frau bis 2024."
Der aktuelle Frauenanteil liegt im niedrigen einstelligen Bereich. Ist es realistisch, diese Zahl binnen drei Jahren auf 30 Prozent zu steigern? Schult: "Es ist eine Wunschvorstellung von uns. Die Zahl ist nicht festgeschrieben. Wir wollen eine Hand zum Dialog reichen und mithelfen. Nur: Ohne ein Ziel kann kein Weg kreiert werden. Das haben wir in den letzten Jahren oft gesehen. Da gab es nur unkonkrete Formulierungen und keine Maßnahmen. Deshalb wollten wir ein konkretes Ziel schaffen, damit eben jene Maßnahmen entwickelt werden können."
Und bei 30 Prozent muss noch nicht Schluss sein: "Ich halte es für realistisch, dass wir in einigen Jahren bei 30 bis 50 Prozent Frauenanteil im Fußball sind. Wenn wir die 30 Prozent erreicht haben, wird es womöglich gar nicht nötig sein, weiter darüber zu reden. Dann könnte es ein Selbstläufer werden, und es wird der Mehrwert der Diversität gesehen."
Jenen Mehrwert sieht Schult, wenn sie sich ihren eigenen Verein anschaut: "Ich hatte in der vergangenen Saison in Wolfsburg einen Trainer und zwei Co-Trainerinnen, eine Videoanalystin und einen Torwarttrainer. Das ist sehr ausgeglichen aufgestellt, genau wie in der medizinischen Abteilung. Das wünsche ich mir auch für die Männer-Bundesligisten. Es ist egal, ob man nur bei den Trainern ansetzt oder bei den anderen Teilen eines Mitarbeiterstabs, der Frauenanteil wird gering sein. Jeder Wandel für mehr Diversität ist ein guter."
Wie mehr Trainerinnen ausgebildet werden könnten
Gerade beim Punkt Trainerausbildung hat sie klare Vorstellung, wie es der Fußball in Deutschland besser machen könnte. "Es wäre schön, wenn mehr Trainerinnen ausgebildet würden, gerade auch mit höheren Lizenzen. Da muss man sich zusammensetzen, vielleicht über Zulassungsverfahren und Lizenz-Ansprüche reden." Was sie meint, ist vor allem die finanzielle Hürde für viele Interessentinnen: "Mit Ausnahme von ehemaligen männlichen Fußballprofis ist es für alle schwer, hohe Summen aufzubringen. Und Hospitationen in gleichwertigen Frauenligen werden oft nicht angerechnet. Soweit ich weiß, muss man als Teil der Fußballlehrer-Ausbildung in den ersten drei Männerligen hospitieren. Eine Zeit in der Frauen-Bundesliga reicht nicht aus."
Die Zahl an verfügbaren Trainerinnen auf hohem Niveau ist aktuell noch zu gering, um eine gewisse Quote zu erfüllen. Es fehlt an Vorbildern, an denen sich junge Mädchen und Frauen orientieren können. Schult kennt das Gefühl: "Als ich klein war, gab es im Fernsehen wenig Frauenfußball und somit auch für mich kaum Idole. Ich habe größtenteils Männerfußball geguckt. Meine erste WM war 2002 in Südkorea und Japan. Als ich dann 2003 die Frauen in den USA gesehen habe, hat mich das sehr gefreut und mein Weltbild verändert. Ab dem Zeitpunkt konnte ich Frauen und Männern nacheifern."
Schult und Co. sehen sich als Exotinnen. Ihre Karrieren hatten einige Hürden mehr als die ihrer männlichen Kollegen, so die Torhüterin: "Es wäre schön, wenn nicht jede Frau so viele Steine aus dem Weg räumen muss, wie die aus unserer Gruppe. Es war für Bibiana Steinhaus garantiert ein schwierigerer Weg als für beispielsweise Bastian Dankert oder Dr. Felix Brych, um in der Bundesliga-Spitze anzukommen."
Führungspositionen teilen?
Ein schwieriger Weg war es bisher auch im Management-Bereich, denn Sportdirektoren und Sportvorstände sind in der Herren-Bundesliga ausschließlich männlich. Der DFB hat reagiert und im neu geschaffenen Lehrgang für Manager im Profifußball auch einen Platz geschaffen, der für eine Frau reserviert ist. Denn die Klubs selbst haben bisher ausschließlich Männer vorgeschlagen beziehungsweise nominiert.
Die Verantwortung für die fehlenden Frauen in der Ausbildung sieht Schult aber nicht nur bei den Vereinen, sondern auch beim Verband. "Es ist schön, dass es jetzt Stipendien für angehende Managerinnen gibt, aber vielleicht sollte man nicht nur die Vereine, sondern als DFB gezielt Frauen ansprechen. Der Verband hat unglaublich viele Kontakte zu ehemaligen Nationalspielerinnen, und da muss vielleicht gezielt auf jemanden zugehen."
Und die 30-Jährige nennt auch ein Beispiel: "Ich spreche mal aus meiner Position: Ich bin gerade Mutter geworden und kann daher viele verstehen, die es nicht schaffen, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. So eine Elternschaft ist ein großer Aufwand. Das Problem ist aber, dass viele davor zurückschrecken, jemanden mit 30 Stunden in eine Führungsposition zu stecken. Aber warum sollte man nicht eine solche Stelle splitten mit zwei Personen in Teilzeit, die gleichberechtigt entscheiden?"
Eine solche Aufteilung hatte auch Katja Kraus vor einigen Jahren vorgeschlagen: "Wir müssen weiter denken, neu denken. [...] Geteilte Führungspositionen anbieten. Es muss [...] möglich sein, Kinder zu haben und alles erreichen zu können, was man will und wofür man qualifiziert ist. Es ist ein ungeheures Potenzial, das brachliegt, wenn es nicht die Bereitschaft gibt, den Rahmen anders zu setzen."
Davon profitieren würden nicht nur Frauen, sondern auch Männer, meint Schult. Schließlich gäbe es auch Väter im Fußball, die ihre Elternzeit wahrnehmen wollen. Doch auch ihnen wird diese Entscheidung erschwert. "Ich warte darauf, dass ein männlicher Fußballer für fünf Monate in Elternzeit geht. Warum denn auch nicht? Er hat ja als Arbeitnehmer das Recht dazu. Das muss man natürlich mit dem Verein abklären, aber es ist doch nur menschlich, viel Zeit mit dem neugeborenen Kind verbringen zu wollen."
Die acht Forderungen des Positionspapiers:
1. Verbindliche Quote für Fußballverbände von mindestens 30% Frauen in Führungspositionen (etwa im Präsidium, Vorstand, Geschäftsführung) bis 2024.
2. Verbindliche Quote von mindestens 30% Frauen in Aufsichtsräten sowie die Besetzung eines jeden (Klub-)Vorstandes/Geschäftsführung von allen Männer und Frauen-Profiligen mit mindestens einer Frau bis 2024.
3. Paritätischer Unterbau von Frauen und Männern auf der zweiten Führungsebene bei Verbänden und Klubs bis 2024 (~50% Quote).
4. Gezielte Programme zur Herstellung der Chancengleichheit von Frauen für die sportnahen Bereiche in den Klubs (Trainer*innen, Scouting, Nachwuchsleistungszentren, Trainer*innenlizenz, Managementprogramme usw.).
5. Gehaltstransparenz – Gleiche Bezahlung für den gleichen Job auf jeder Hierarchiestufe.
6. Die Veränderung der Rahmenbedingungen, die Frauen und Diversität in der Organisation stärken (Recruiting, Personalentwicklung, Karriereplanung, Female-Mentoring-Programme, Vereinbarkeitsregelungen, Führung in Teilzeit, Infrastruktur am Arbeitsplatz usw.).
7. Eine geschlechtergerechte, diskriminierungsfreie Sprache auf allen Ebenen des Fußballs.
8. Konsequente Sanktionierung jeder Form von Sexismus und Diskriminierung, auch außerhalb des Platzes und entsprechende Anlaufstellen für Betroffene.
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Almuth Schult