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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Warnung an Bayern vor Ex-BVB-Star "Er kann den Unterschied ausmachen"
Nach dem Debakel in Leverkusen steht der FC Bayern in den K.-o.-Spielen gegen Lazio Rom unter Druck. 90er-Weltmeister Riedle warnt die Münchner besonders vor einem Ex-BVB-Star.
Nach der 0:3-Niederlage am Samstag im Duell mit Leverkusen will der FC Bayern in der Champions League Wiedergutmachung betreiben. Im Achtelfinalhinspiel treten die Münchner am Mittwochabend in der italienischen Hauptstadt bei Lazio Rom an.
Dorthin war Nationalstürmer Karl-Heinz Riedle 1990 gewechselt, nachdem er zuvor mit der deutschen Nationalelf in Italien Weltmeister geworden war. Im Interview mit t-online blickt er auf das Duell seines Ex-Klubs mit den Bayern voraus.
t-online: Herr Riedle, der FC Bayern hat am Samstag beim Spiel in Leverkusen (0:3) ein ernüchterndes Debakel erlebt. Wie gefährlich wird nun das Achtelfinalhinspiel am Mittwochabend bei Ihrem Ex-Klub Lazio Rom für den Rekordmeister? Oder ist die Favoritenrolle noch immer klar verteilt?
Karl-Heinz Riedle: Man muss keinen Hehl daraus machen, dass Bayern Favorit ist. Auch, wenn es bei Bayern in diesem Jahr auch nicht so läuft. In der Champions League bislang ja, aber in der Bundesliga sind sie nicht mehr so dominant, wie man in Leverkusen jetzt wieder gesehen hat. Lazio ist weit unter seinen Möglichkeiten geblieben, in der Liga momentan nur Neunter. In dem Achtelfinalduell ist es trotzdem ähnlich wie im Pokal: In den zwei Spielen kann so was auch in eine völlig andere Richtung gehen. Bayern darf Lazio nicht unterschätzen und muss schon aufpassen – besonders auf Ciro Immobile. Er ist ein Spieler, der den Unterschied ausmachen kann. Auch wenn er jetzt kein Wunderstürmer ist, der die Spiele alleine entscheidet.
Ein alter Bekannter aus der Bundesliga. Warum hat Immobile 2014 in Dortmund damals nicht funktioniert?
Das ist ein Phänomen, warum es beim BVB nicht geklappt hat. Ich habe auch nur am Rande mitbekommen, dass er sich damals nicht wohlgefühlt hat und nicht so richtig integriert war. Das war einfach eine Episode in seiner Karriere, die er eventuell auch falsch angegangen ist, vielleicht auch ein Missverständnis von beiden Seiten. Er ist aber ein außergewöhnlicher Spieler mit einem brutalen Instinkt vorm Tor. Den hat er davor und danach immer wieder unter Beweis gestellt. Die Italiener wissen, was sie an ihm haben.
Und die Bayern, was sie an Harry Kane haben, der in 28 Pflichtspielen genauso viele Tore geschossen und acht Vorlagen geliefert hat …
Einen besseren Einstand konnte er eigentlich gar nicht haben. Er hat die großen Erwartungen an ihn bislang mehr als erfüllt.
Ist er für Sie bereits der entscheidende Unterschiedsspieler der Münchner?
Er ist zumindest ein Spieler mit großer Erfahrung in den sogenannten Crunch-Time-Spielen. Es ist extrem wichtig, dass du auch Spieler hast, die Spiele entscheiden können, aber davon hat Bayern eigentlich eh genug. Harry ist sicherlich sehr wichtig für Bayern, aber auch nicht der Alleinunterhalter, der das Duell mit Lazio entscheiden muss.
5. Runde
Dienstag, 26.11.
Was erwartet den FC Bayern atmosphärisch im Stadio Olimpico in Rom?
Die Meisterschaft ist für Lazio quasi gelaufen. Von daher setzen sie jetzt alles auf die Champions League. Und in Rom zu spielen, ist immer ein heißes Pflaster. Die Fans sind sehr emotional, das wird also ein heißer Tanz. Aber, wenn man – wie Bayern zuletzt – schon bei Galatasaray gespielt hat, braucht man sich eigentlich nirgendwo auf der Welt zu fürchten. Trotzdem wird es sicher wieder ein Hexenkessel werden. Die Fans werden ihre Mannschaft pushen.
Einige Ultragruppierungen brachten die Lazio-Fans mit faschistischen, rassistischen und antisemitischen Parolen in der Vergangenheit immer wieder in Verruf. Ist das nicht ein großes Problem für den Klub?
Zu meiner Zeit in Rom war das zum Glück noch nicht so extrem, diese Bewegung gab es erst später. Das ist schon ein Problem. Es ist schade, weil eine kleine Gruppe den Großteil der eigentlich ja positiv emotionalen Fans in Misskredit bringt und in ein negatives Licht rückt. Vielleicht müsste der Verein stärker dagegen vorgehen, aber das ist leider auch nicht so einfach.
In Lazios Heimstadion sind Sie gemeinsam mit Teammanager Franz Beckenbauer und der Nationalelf 1990 Weltmeister geworden. Eine spezielle Rückkehr für Bayern an einen besonderen Ort, nachdem Beckenbauer (†78) Anfang des Jahres gestorben ist, oder?
Für die Mannschaft wird das kein großes Thema sein, für die Klubverantwortlichen und zum Beispiel Uli Hoeneß dagegen sicher schon. Das waren ja auch alles Weggefährten vom Franz.
Wie haben Sie den Abschied von Beckenbauer vor drei Wochen erlebt?
Es war sehr emotional, für uns alle nicht einfach. Es wurde ihm ein würdiger und denkwürdiger Abschied bereitet. Allein das, was Bayern im Stadion veranstaltet hat, war wunderbar. Das wäre sicher genau in seinem Sinne gewesen. Er ist eine Legende in Deutschland. So einen Spieler wie ihn wird es nie wieder geben. Er war nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch einzigartig – eine Lichtgestalt eben. Seine Frau hat in München auch noch eine sehr persönliche und intimere Veranstaltung organisiert. Da haben seine ganzen Weggefährten und Freunde auch noch mal sehr schöne Worte für ihn gefunden. Mit ihm ist eine ganz große Persönlichkeit von uns gegangen. Das tut uns allen sehr weh. Der WM-Triumph 1990 in Italien ist für mich persönlich natürlich eine ganz besondere Verbindung zu Franz Beckenbauer, die für immer bleiben wird.
Als Weltmeister wechselten Sie damals dann nach Italien zu Lazio …
Damals war ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Ich wurde dann auch Stammspieler in der Nationalelf und hatte drei wirklich traumhaft schöne Jahre bei Lazio. Die Erwartung waren dort nicht so riesig wie beim AC Mailand, der immer Meister werden musste. Es war eher ein Klub, der am Kommen war. Speziell mit meinen Mitspielern Thomas Doll und Aron Winter habe ich mich super verstanden – auf und neben dem Platz. Es war eine unglaublich schöne Zeit in Rom. Auch die Stadt und das ganze Dolce Vita in Italien habe ich sehr genossen.
Wie verfolgen Sie als ehemaliger Torjäger die komplizierte Suche nach neuen deutschen Mittelstürmern? Ist mit Niclas Füllkrug und Deniz Undav da in der Nationalelf nun möglicherweise eine Lösung in Sicht?
Es schaut zumindest wieder besser aus als noch vor zwei, drei Jahren, wo wir da wirklich immer voll in der Krise waren. Undav macht einen sehr guten Eindruck – genau wie die gesamte Stuttgarter Mannschaft. Die spielen einen sensationellen Fußball. Sebastian Hoeneß hat da eine tolle Mannschaft geformt. Undav ist sicher ein Spieler, der auch der Nationalmannschaft weiterhelfen kann, wenn er jetzt dazukommt. Füllkrug hat ja schon ein bisschen Erfahrung in der Nationalelf gesammelt und momentan auch beim BVB einen ganz guten Lauf.
Trauen sie denn Leverkusen nach dem Sieg gegen Bayern nun zu, das zu schaffen, was Dortmund in den vergangenen Jahren vergeblich versuchte: die Münchner nach elf Titeln in Folge als Meister zu entthronen?
Leverkusen spielt – genau wie Stuttgart – einen richtig guten Ball, sie haben eine super zusammengestellte Mannschaft. Was Xabi Alonso da in kurzer Zeit aufgebaut hat, ist einzigartig. Aus neutraler Sicht wäre es doch auch mal schön, wenn Leverkusen es schaffen würde und Meister wird. Ich würde es ihnen gönnen. Aber es ist noch ein weiter Weg. Wir haben das beim BVB oft genug erlebt, dass Bayern, wenn es dann am Ende darauf ankam, dann doch immer wieder da war.
Die letzten beiden Meisterschaften vor Bayerns Serie gewann der BVB 2011 und 2012 noch mit Cheftrainer Jürgen Klopp. Wo sehen Sie seine Zukunft, nachdem er im Sommer nun beim FC Liverpool aufhören und eine Auszeit nehmen wird?
Er hat bis jetzt eine unfassbare Karriere hinlegt und ist jetzt der Einzige, der weiß, was er will. Wenn jetzt über die Nationalmannschaft spekuliert wird, hängt das auch alles davon ab, wie wir jetzt bei der Heim-EM performen. Und ob Julian Nagelsmann überhaupt langfristig Bundestrainer sein möchte oder doch lieber wieder die tägliche Arbeit bei einem Verein sucht. Jürgen sieht das total entspannt. Irgendwann wird wieder ein Angebot kommen. Wenn es ihn interessiert, wird er das machen – und ansonsten nicht.
Dass er in England keinen anderen Verein mehr trainieren will, hat er bereits gesagt. Glauben Sie, dass in Deutschland nach dem BVB für ihn aber der FC Bayern noch mal eine Option werden könnte?
Natürlich würde ich mir aus Dortmunder Sicht wünschen, dass er das niemals macht. Ob er irgendwann nach München gehen würde nach seiner ganzen Historie beim BVB, weiß ich nicht. Er hat genügend Titel gewonnen und viel Geld verdient. Ich weiß nicht, was ihn noch antreibt. Ich glaube, dass ihn die Nationalmannschaft mittelfristig noch interessieren könnte. Weltmeister oder Europameister zu werden, sind die Titel, die man mit einer Vereinsmannschaft nicht erreichen kann. Wenn die Konstellation passt, könnte ich mir das gut vorstellen.
- Telefonisches Interview mit Karl-Heinz Riedle