Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Bilanz von Nagelsmann, Rose, Hütter Das müssen Sie den Trainer fragen
Von Bayern über den BVB bis Gladbach: Acht Bundesligaklubs haben vor der Saison den Trainer gewechselt. Aber wofür eigentlich? Zeit für eine Bilanz zum Ende der Hinrunde.
Von Trainer-Unikum Christoph Daum ist das schöne Bonmot überliefert: "Wer etwas nur anders machen will, aber nicht besser, der sollte besser etwas anderes machen."
Zum Ende der Bundesliga-Hinrunde 2021/22 ist festzustellen: Das hätten sich auch einige Vereine der höchsten deutschen Spielklasse zu Herzen nehmen sollen – und auch einige Trainer. Denn noch im Sommer hatte bei gleich acht großen bis mittelgroßen Klubs der Mann an der Seitenlinie gewechselt: Julian Nagelsmann verließ RB Leipzig für seinen Kindheitstraum FC Bayern, Jesse Marsch übernahm den vakanten Posten bei den Sachsen.
Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt drehten ihr ganz eigenes Trainerkarussell – der BVB wollte unbedingt Gladbachs Marco Rose und Gladbachs Marco Rose unbedingt zum BVB. Beides so sehr, dass der untadelige Edin Terzic auf den Posten des Technischen Direktors weggelobt werden musste. Frankfurts Adi Hütter wiederum sah sich daraufhin dazu genötigt, per Ausstiegsklausel ein abruptes Ende unter die nicht unerfolgreiche Zeit bei der SGE zu setzen und Rose in Gladbach zu beerben.
Als Kollateralschaden wechselte Oliver Glasner vom VfL Wolfsburg an den Main, weg aus dem Einzugsbereich von "Wölfe“-Sportvorstand Jörg Schmadtke, der wiederum Mark van Bommel als Glasner-Nachfolger installierte. Alles unter großer bis sehr großer Geräuschkulisse.
Bayer Leverkusen wiederum holte den Schweizer Erfolgstrainer Gerardo Seoane in die Bundesliga, und der 1. FC Köln vertraute auf Steffen Baumgart. 17 Spieltage später bleibt die Frage: War das alles eigentlich richtig so? Stehen die Klubs jetzt besser da als nach der Hinrunde im vergangenen Jahr?
Die große t-online-Analyse
Hinrunde 2021/22: Platz 1, 56:16 Tore, 43 Punkte.
Hinrunde 2020/21: Platz 1, 49:25 Tore, 39 Punkte.
Der deutsche Rekordmeister zieht noch einsamer seine Runden als in der Vorsaison. Jede kritische Nachfrage vom Gegner bügelten die Bayern ab, ob auf dem Platz oder in der Jahreshauptversammlung. Trainer Julian Nagelsmann musste in seinen ersten sechs Monaten im Amt nicht nur eine zeitweise wilde Abwehrreihe disziplinieren, sondern auch die Knüppel überspringen, die ihm von impfunwilligen Spielern zwischen die Beine geworfen wurden.
Die mediale Selbstdemontage seines Mittelfeldankers Joshua Kimmich zwang den 34-Jährigen kurzzeitig zu regelmäßigen Wasserstandsmeldungen von ähnlicher Tragweite wie die des RKI. Auch durch die Gruppenphase der Champions League pflügten die Münchner humorlos, gewannen alle ihrer sechs Spiele.
Das überraschende Zweitrundenaus im DFB-Pokal durch das in jeder Hinsicht denkwürdige 0:5 gegen Borussia Mönchengladbach? Fiel in die Zeit Nagelsmanns eigener Corona-Erkrankung und ließ das törichte Fußball-Deutschland kurzzeitig von einer spannenden Saison träumen – in der Bundesliga lagen die Bayern damals gerade mal einen Punkt vor Konkurrent Borussia Dortmund. Die Realität: zehn Siege aus den nächsten elf Pflichtspielen und neun Punkte Vorsprung in der Liga auf den BVB.
Note: 2
Borussia Dortmund
Hinrunde 2021/22: Platz 2, 41:26 Tore, 34 Punkte.
Hinrunde 2020/21: Platz 4, 33:22 Tore, 29 Punkte.
Zur neuen Saison übernahm Marco Rose den Job von Interimstrainer Edin Terzic. Saison-Halbzeitfazit: Weiterentwickelt hat Rose den BVB bisher nicht. Unter Terzic spielte die Borussia eine starke Rückrunde. Nun, in der neuen Saison, liest sich die Dortmunder Bilanz ernüchternd. In der Liga steht zwar der zweite Platz zu Buche, der Abstand auf den FC Bayern beträgt aber schon neun Punkte.
Eine Champions-League-Gruppe mit Besiktas Istanbul, Ajax Amsterdam und Sporting Lissabon klang erst mal machbar für den BVB. Doch durch drei Niederlagen am Stück (2x gegen Amsterdam, 1x Sporting) rutschte Dortmund auf den dritten Tabellenplatz ab. Ab Frühjahr muss die Rose-Elf nun in der Europa League antreten.
Auch in dieser Spielzeit ist der BVB zu abhängig von Torjäger Erling Haaland. Von den 41 erzielten Treffern der Borussia war der Norweger an 18 beteiligt. Für Haaland fehlt ein Ersatz, Stefan Tigges kann die norwegische Urgewalt nicht ansatzweise vertreten.
Außerdem ist ein großes Problem in Dortmund die Konstanz. Punktverluste gegen Freiburg (1:2), Bochum (1:1) und Hertha (2:3) sind zu viel, um mit den Bayern mithalten zu können. Trotzdem meint Rose nach der Hinrunde: "Ich sehe uns auf einem guten Weg."
Note 3
RB Leipzig
Hinrunde 2021/2022: Platz 10, 30:22 Tore, 22 Punkte
Hinrunde 2020/2021: Platz 2, 29:14, 35 Punkte
Jesse Marsch wurde vor der Saison zum Nachfolger von Julian Nagelsmann ernannt. Doch den Erwartungen konnte der Amerikaner nicht gerecht werden. Nach einer schwachen Vorstellung bei der 1:2-Niederlage gegen Union Berlin wurde der Coach freigestellt. Besonders bitter: Bei jenem Spiel konnte Marsch nicht einmal an der Seitenlinie stehen, weil er sich in Quarantäne befand.
RB Leipzig und Jesse Marsch – das passte nie so richtig. Bereits nach dem siebten und zehnten Spieltag kam der Coach zu Boss Oliver Mintzlaff und sagte, dass er daran zweifle, ob er zur Mannschaft passe. Nach dem 14. Spieltag zog der Verein die Reißleine, als neuer Trainer wurde Domenico Tedesco vorgestellt.
Doch auch der Ex-Schalke-Coach konnte die Erwartungen bisher nicht erfüllen. Aus den drei Spielen unter seiner Leitung holte RB vier Punkte. Dabei begann seine Amtszeit in Leipzig mit einem starken 4:1-Heimsieg gegen Borussia Mönchengladbach furios. Danach gab es aber gegen die Abstiegs-Kandidaten aus Augsburg (1:1) und Bielefeld (0:2) nur einen Punkt. Viel zu wenig für die hohen Ansprüche.
Note 4
Borussia Mönchengladbach
Hinrunde 2021/2022: Platz 14, 22:32 Tore, 19 Punkte
Hinrunde 2020/2021: Platz 7, 31:26 Tore, 28 Punkte
Was für ein gebrauchtes Jahr für die "Elf vom Niederrhein“. Schon in der Rückrunde der Spielzeit 2020/2021 lief es in Mönchengladbach alles andere als rund. In der Rückrunden-Tabelle belegte die Borussia Platz zehn, verpasste den internationalen Wettbewerb. Ein deutlicher Leistungsabfall war zu erkennen, als klar war, dass Coach Marco Rose im Sommer zum BVB wechseln würde.
Nach einem guten Saisonstart wurde es in dieser Saison unter Adi Hütter nicht besser – im Gegenteil. Gladbach steht nach der Hinrunde auf dem 14. Tabellenplatz, hat nur zwei Punkte Vorsprung vor dem Relegationsplatz. Besonders alarmierend: In den letzten fünf Spielen kassierten die Borussen 18 Gegentore. Und das in einer Saison ohne internationalen Wettbewerb. Zwar betont Manager Max Eberl häufig, Hütter werde weiterhin Trainer von Gladbach bleiben. Nach der jüngsten Niederlagenflut darf das allerdings bezweifelt werden.
Der letzte Hinrunden-Spieltag steht symbolisch für das Jahr 2021 aus Borussen-Sicht. Lange Zeit führte Mönchengladbach gegen ein starkes Hoffenheim, doch kurz vor Schluss glich Kevin Akpoguma für die TSG Hoffenheim aus. Wieder einmal wurde es nichts mit dem Befreiungsschlag.
Positiv zu erwähnen ist die Bilanz der Westfalen im DFB-Pokal. Denn dort überrollte die Hütter-Elf den FC Bayern in der zweiten Runde mit 5:0. Weil Gladbach in der Bundesliga den eigenen Erwartungen jedoch sehr weit hinterherläuft, ändert das an der Hinrunden-Note wenig.
Note 5
VfL Wolfsburg
Hinrunde 2021/22: Platz 13, 17:29 Tore, 20 Punkte.
Hinrunde 2020/21: Platz 5, 26:19 Tore, 29 Punkte.
Trainer Florian Kohfeldt beerbte Ende Oktober den in jeder Hinsicht glücklosen Mark van Bommel, dessen Schicksal eigentlich schon mit dem Wechselfehler im DFB-Pokal Anfang August besiegelt schien. Der viel beschworene Effekt des Trainerwechsels verpuffte nach nur drei Partien, die Mannschaft passte sich in ihrer Trostlosigkeit der Stimmung in der Volkswagen-Arena an.
Eine spielerische Verbesserung ist nicht zu erkennen. Offensiv harmlos, defensiv anfällig. Dazu das Aus in Europa. In einer als "durchaus machbar“ deklarierbaren Champions-League-Gruppe mit dem FC Sevilla, dem OSC Lille und RB Salzburg erinnerten die "Wölfe" mehr an deren domestizierten Verwandten, den braven Haushund. Nach der Winterpause werde man "einen anderen VfL" sehen, kündigte Kohfeldt nach dem 0:4 beim FC Bayern zum Abschluss der Hinrunde an. Van Bommel musste damals übrigens nach acht sieglosen Spielen in Folge gehen. Kohfeldts Bilanz aktuell: acht sieglose Spiele in Folge.
Note 5
Eintracht Frankfurt
Hinrunde 2021/22: Platz 6, 27:24 Tore, 27 Punkte.
Hinrunde 2020/21: Platz 8, 30:26 Tore, 27 Punkte.
Den VfL Wolfsburg hatte Oliver Glasner letzte Saison in die Champions League geführt, das komplett zerrüttete Verhältnis zu Sportvorstand Jörg Schmadtke aber verlieh Glasners Amtszeit die gesamte Saison über das Gefühl schnell nahender Endlichkeit. Der vom Klub-Macher ungeliebte Österreicher ging aus eigenen Stücken zu Eintracht Frankfurt – und erlebte einen denkbar ungünstigen Start: Erstrundenaus im DFB-Pokal durch ein 0:2 bei Waldhof Mannheim, ein 2:5 zum Bundesliga-Saisonstart bei Borussia Dortmund.
Darauf folgten wettbewerbsübergreifend sieben Unentschieden in Folge, nach den ersten zehn Bundesliga-Spieltagen stand noch immer erst ein Sieg zu Buche – das überraschende 2:1 beim FC Bayern. "Das ist immer ein Prozess", beschwichtigte der neue SGE-Sportvorstand Markus Krösche, als sich im Frankfurter Umfeld dezente Unzufriedenheit anbahnte. "Wenn man einen neuen Trainer holt und der hat eine etwas andere Spielidee, dann braucht das auch Zeit." Glasner und die Mannschaft dankten es mit sieben Siegen in den verbliebenen zehn Pflichtspielen bis zur Winterpause und dem Sprung von Platz 15 auf 6 in der Bundesliga. Auch international wird überwintert, die SGE sicherte sich Platz eins in ihrer Europa-League-Gruppe.
Die Mannschaft wirkt gefestigt, mitreißende Spiele wie beim 5:2 gegen Bayer Leverkusen oder beim 3:2 gegen Borussia Mönchengladbach zeugen vom Charakter und Potenzial der Hessen – und von Glasners Erfolg, seine Spieler dies nun abrufen zu lassen. Wenn sie das in Wolfsburg gewusst hätten.
Note 2
Bayer Leverkusen
Hinrunde 2021/22: Platz 4, 40:28 Tore, 28 Punkte.
Hinrunde 2020/21: Platz 3, 32:17 Tore, 32 Punkte.
So richtig schlau mochte man nicht werden aus dem, was die Werkelf und ihr neuer Trainer Gerardo Seoane in der Hinrunde darboten. Der 43-jährige Schweizer kam im Sommer mit dem Argument dreier Meisterschaften in Folge mit den Young Boys Bern an den Rhein. Und spektakulär war es ja durchaus, was Bayer wahlweise alleine oder gemeinsam mit dem Gegner entfesselte, oder eben entfesseln ließ.
Aber Borussia Dortmund vermochte Leverkusen trotz dreimaliger Führung nicht zu schlagen, unterlag noch 3:4. Im vermeintlichen Spitzenspiel gegen den FC Bayern setzte es für den damaligen Tabellenzweiten ein 1:5, im DFB-Pokal war in Runde 2 durch ein 1:2 beim Karlsruher SC Schluss.
Auf ein 4:0 in der Europa League gegen Betis Sevilla folgte ein 1:1 in der Liga bei Hertha BSC, dann wurden nacheinander der VfL Bochum, Celtic Glasgow, RB Leipzig und Greuther Fürth durchaus beeindruckend weggefidelt (14:4 Tore) – nur um im Jahresendspurt aus den letzten vier Spielen wettbewerbsübergreifend nur einen Punkt zu holen (5:10 Tore). Dabei wurde gegen Eintracht Frankfurt (2:5) und die TSG Hoffenheim (2:2) jeweils eine komfortable 2:0-Führung verspielt.
"Wir haben einen Bayer-Leverkusen-Stil“, sagte Seoane vor dem letzten Spiel 2021 gegen den SC Freiburg – merkte aber auch an, dass ein "heute so, morgen so"-Stil dann doch nur wenig erstrebenswert sei: "Wir wollen guten und offensiven Fußball sehen. Aber in gewissen Momenten müssen wir auch andere Attribute an den Tag legen." Gegen den SC verlor Bayer zum Hinrundenabschluss dann mit 1:2.
Note 3
1. FC Köln
Hinrunde 2021/2022: Platz 8, 27:27 Tore, 25 Punkte
Hinrunde 2020/2021: Platz 16, 15:28 Tore, 15 Punkte
Für Köln-Fans macht es wieder Spaß, zum Effzeh zu gehen. Trainer Steffen Baumgart hat den Klub, der sich in der letzten Saison erst in der Relegation rettete, innerhalb kürzester Zeit revolutioniert. Die Rheinländer stehen auf dem achten Tabellenplatz und haben mit 25 Zählern acht Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz.
Insbesondere die offensive Spielweise von Baumgart tut dem Klub gut. 27 Tore in 17 Spielen erzielte die Offensive um Mark Uth und Anthony Modeste. Zum Vergleich: Zum selben Zeitpunkt in der vergangenen Saison hatte Köln erst 15 Tore auf dem Konto.
Vor allem beim Franzosen Modeste läuft es wieder rund. Der 33-Jährige hat mit seinen 10 Treffern großen Anteil an der starken FC-Hinrunde. Sinnbildlich, dass ausgerechnet Modeste den entscheidenden Siegtreffer im letzten Spiel vor der Winterpause erzielte (1:0 gegen Stuttgart). Der Effzeh ist wieder da.
Note 2
- Eigene Recherche