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Julian Baumgartlinger: Die Situation in Deutschland wird zu negativ gesehen


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Julian Baumgartlinger
Die Situation in Deutschland wird zu negativ gesehen

InterviewEin Interview von Tobias Ruf

20.03.2019Lesedauer: 5 Min.
Spielt seit 2016 für Bayer Leverkusen und ist Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft: Julian Baumgartlinger.Vergrößern des Bildes
Spielt seit 2016 für Bayer Leverkusen und ist Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft: Julian Baumgartlinger. (Quelle: Jörg Schüler/imago-images-bilder)
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Der deutsche Fußball hat den Anschluss verpasst? Julian Baumgartlinger von Bayer Leverkusen sieht das ganz anders. Und spricht in einem Interview klare Worte über den DFB, Bayer 04 und junge Spieler.

Bereits im Alter von 13 Jahren wagte der Österreicher Julian Baumgartlinger den Sprung nach Deutschland. In seiner Jugend wurde der Mittelfeldspieler von Bayer 04 Leverkusen beim TSV 1860 München ausgebildet, wo er 2007 sein Profidebüt feierte. Nach einem zweijährigen Gastspiel bei Austria Wien kehrte der 31-Jährige nach Deutschland zurück. Er spielte von 2011 bis 2016 bei Mainz 05 und war dort auch Mannschaftskapitän.

Das ist er auch in der österreichischen Nationalmannschaft, für die er 2009 debütierte. Seit 2016 ist er bei Bayer Leverkusen aktiv und spricht im ersten Teil des Interviews mit t-online.de über seinen Verein, seine hochveranlagten Teamkollegen, den deutschen Fußball und über die heutige Entwicklung junger Spieler.

Im zweiten Teil, der am Donnerstag veröffentlicht wird, äußert sich Baumgartlinger dezidiert über Entwicklung und Potenzial im österreichischen Fußball, zieht Vergleiche zu Deutschland und spricht über Politik und Sport in seinem Heimatland.

t-online.de: Herr Baumgartlinger, Bayer Leverkusen steht auf dem zweiten Platz in der Rückrundentabelle und ist auf Tuchfühlung zu den Champions-League-Plätzen. Was ist noch möglich in dieser Saison?

Julian Baumgartlinger (31): Wenn wir auf diesem Level weiterspielen, ist noch viel drin. Aber die Herausforderung ist in dieser Saison sehr groß. Es gibt im oberen Drittel viele Mannschaften, die konstant punkten. Wir sind auf einem sehr guten Weg, dürfen aber anhand dieser Konstellation nicht nachlassen.

Wie konstant ist die Mannschaft?

Was die Bundesliga angeht, sind wir konstant. Natürlich darf man nicht ausblenden, dass wir aus der Europa League und den DFB-Pokal ausgeschieden sind. Das hatten wir uns anders vorgestellt. Aber in der Liga sind wir auf einem guten Weg und darauf muss jetzt zwangsläufig der Fokus liegen.

Was hat sich unter dem neuen Trainer Peter Bosz verändert?

Von der Grundidee, wie wir Fußball spielen wollen, hat sich nicht alles geändert, es sind Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Wir spielen in unserer Grundausrichtung mutiger und mit mehr Risikobereitschaft. Gegenpressing und Anlaufverhalten waren zwar auch schon unter Heiko Herrlich ein Thema, aber wir gehen diese Bereiche jetzt kompromissloser an.

Dennoch zeigt die Mannschaft auch vom Auftreten her ein anderes Gesicht . . .

Ein Trainerwechsel ist zwangsläufig ein einschneidendes Erlebnis und hat moralische und inhaltliche Impulse zur Folge. Diese haben wir positiv umsetzen können, wir sind stabiler und selbstsicherer geworden, haben die entsprechenden Ergebnisse erzielt. Zudem haben wir fast alle Spieler konstant zur Verfügung, auch das trägt zu den derzeitigen Erfolgen bei.

Passt Bosz besser zur Mannschaft als sein Vorgänger?

Peter Bosz passt sehr gut zu dieser Mannschaft, die Erfolgsbilanz der ersten Monate beweist das. Ohne Vorbereitung eine Mannschaft so schnell zu erreichen, stabiler und stärker zu machen, ist außergewöhnlich. Man sollte aber nicht vergessen, dass wir unter Heiko Herrlich gegen Ende der Hinrunde konstant gepunktet haben und uns in den Pokal-Wettbewerben für die jeweils nächste Runde qualifiziert hatten. Unabhängig von der Vergangenheit, die Gegenwart schaut mit Peter Bosz vielversprechend aus.

Welche Rolle spielen Sie in diesem Konstrukt?

Ich sehe mich als wichtigen Bestandteil der Mannschaft.

Wie spannend ist denn das "Projekt" Bayer Leverkusen?

In diesem Zusammenhang ist das Wort "Projekt" der falsche Begriff. Bayer Leverkusen gehört seit über zwei Jahrzehnten zum oberen Segment der Bundesliga und hat sich als nachhaltiger und infrastrukturell hervorragend aufgestellter Verein etabliert. Dementsprechend groß ist die Erwartungshaltung, für "Projekte" bleibt da keine Zeit. Ich würde auf die aktuelle Situation umgemünzt eher von Potenzial als von Projekt sprechen.

Apropos Potenzial: Haben Sie schon einmal in so einer talentierten Mannschaft gespielt?

Klares nein. Die Mannschaft ist in ihrer Qualität und Zusammensetzung hervorragend aufgestellt. Wir haben junge Spieler wie Kai Havertz, Julian Brandt oder Jonathan Tah, die nicht nur hoch veranlagt sind, sondern trotz ihres Alters schon über viel Erfahrung verfügen. Dann kommen Spieler wie beispielsweise die Benders oder Kevin Volland hinzu, die schon länger im Verein sind und so auch die nötige Erfahrung mitbringen. Zudem haben wir viele internationale Spieler im Team, die durch ihre Herkunft und fußballerische Ausbildung wichtige Elemente ins Gesamtgefüge einfließen lassen.

Sie erleben Spieler wie Havertz, Brandt oder Tah täglich im Training. Welche Karriere ist diesen Spielern zuzutrauen?

Sie alle haben das Potenzial für die Weltspitze. Wer in diesem Alter für eine Nation wie Deutschland bereits in der A-Nationalmannschaft spielt, dem stehen alle Türen offen.

Was können junge Spieler von Ihnen lernen?

Ich habe ja bekanntlich das eine oder andere Jahr mehr auf dem Buckel, da werden Themen wie Regeneration, Nachbereitung von Spielen und professionelles Verhalten abseits des Platzes zwangsläufig relevanter. In diesen Bereichen stehe ich den Jungs als Ratgeber zur Verfügung, trete damit aber nicht aggressiv an sie heran oder möchte sie gar belehren.

Wie haben sich die Gegebenheiten für junge Spieler in den letzten Jahren verändert?

Die Wertigkeit von jungen und alten Spielern hat sich stark verändert. Der Unterschied zwischen Jugend- und Herrenfußball ist geringer geworden. Die Spieler werden taktisch und körperlich anders ausgebildet und sind so schon in jungen Jahren sehr nah an den Profi-Mannschaften dran. Entsprechend reif und selbstbewusst sind die Jungs dann auch und so ist es auch wenig überraschend, dass regelmäßig Spieler im Teenageralter auf Top-Niveau zum Zug kommen. In meiner Jugend war das die absolute Ausnahme.

Wie verändert die Schnelllebigkeit des Geschäfts den Charakter von jungen Spielern?

Das ist Typsache und hängt auch stark vom Umfeld ab. Es gibt bodenständige Spieler, die mit der Dynamik des Geschäfts gut umgehen können. Für andere ist das eher schwieriger. Grundsätzlich ist die Ausgangslage für junge Spieler aber nie besser gewesen.

Welche Rolle spielen dabei die Berater? Der Berufszweig hat nicht unbedingt den besten Ruf …

Man sollte nicht alle über einen Kamm scheren und pauschal verteufeln. Berater treten heutzutage schon früh an die Spieler heran und sind ein Teil dieses komplexen Geschäfts. Sie können eine wichtige Funktion als Ansprechpartner für die jungen Spieler und deren Familien darstellen. Klar ist aber auch, dass Berater eine große moralische Verantwortung tragen und nicht nur ihrem eigenen finanziellen Interesse folgen sollten.

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Seit der WM wird zunehmend davon gesprochen, dass Deutschland den Anschluss an die Weltspitze verpasst habe. Teilen Sie diese Ansicht?

Die Gesamtsituation wird in meinen Augen zu negativ gesehen. Die WM ist sicher nicht gut gelaufen, das hatte aber vielschichtige Gründe, die nicht nur sportlicher Natur waren. Das alles jetzt auf die fußballerische Ausbildung in Deutschland zu reduzieren, ist unverhältnismäßig. Deutschland gehört weiterhin zu den stärksten Nationen der Welt. Auch die Debatte um das fehlende Talent im deutschen Fußball kann ich nicht nachvollziehen. Ob meine Teamkollegen hier in Leverkusen oder beispielsweise Leroy Sané, Leon Goretzka oder Joshua Kimmich – sind das keine Spieler, die den deutschen Fußball künftig prägen können?

Dennoch heißt es, dass Deutschland in der Ausbildung von Talenten den Anschluss verpasst habe …

Den Anschluss bei was? Die Spieler sind doch nicht langsamer, taktisch schlechter ausgebildet oder technisch defizitärer als es noch vor zwei Jahren der Fall war. Deutschland war nach dem Confed Cup 2017 das Musterbeispiel für ganz Europa. Und jetzt wird alles infrage gestellt und es gibt plötzlich keine Talente mehr? Das ist für mich als Außenstehenden nicht nachvollziehbar.

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