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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dominik Kohr U21-Europameister: "Das wird sich in der Nationalelf ändern"
Sein Spitzname ist "Hard-Kohr", im Zweikampf macht er keine Gefangenen, aber den Bundestrainer hat er noch nicht überzeugt. Leverkusens Dominik Kohr ist ein seltsam außergewöhnlicher Bundesligaspieler. Dennoch hofft er auf eine Karriere in der DFB-Elf.
Wenn Leverkusens Dominik Kohr zur Grätsche ansetzt, zittern die Gegenspieler – selbst im Freundschaftsspiel. Denn wo er hinlangt, entsteht kein Spielfluss mehr. Ein Abräumer alter Schule? Nicht nur! Dafür sticht er dann doch qua seines Passverständnisses hervor. Im Gespräch mit t-online.de im Trainingslager im österreichischen Zell am See erklärt der 24-Jährige, was er sich ein Jahr nach dem U21-EM-Titel vorgenommen hat.
t-online.de: Sie haben sich in der Vorbereitung bisher sehr konzentriert gezeigt, im Test gegen Basaksehir getroffen. Sehen Sie sich als Gewinner der Vorbereitung?
Dominik Kohr: Das würde ich jetzt nicht sagen. Aber ich bin bisher sehr zufrieden mit der Vorbereitung, fühle mich gut und bin in einer guten Verfassung.
Rechnen Sie mit einem Stammplatz?
Das entscheidet der Trainer. Ich kann nur weiter Vollgas geben und mich anbieten.
Bayer hat bisher noch kein Vorbereitungsspiel verloren, bis auf Bernd Leno alle Stammspieler gehalten und starke Neuzugänge dazubekommen. Reicht es nun endlich mal für einen Titel? Lukas Hradecky hat beispielsweise den Pokalsieg als Ziel ausgegeben.
Puh, da hat er die Latte gleich sehr hoch gelegt. (lacht) Unser Ziel ist primär ein Champions-League-Platz – aber es ist natürlich ein großer Traum, endlich auch mal einen Titel zu gewinnen. Wir haben großes Potenzial und sind heiß auf die neue Saison. Ob es dann Meisterschaft, Europa League oder Pokal wird, werden wir sehen. (lacht) In jedem Fall hat unser junges Team ein weiteres Jahr Erfahrung gewonnen und wir sind als Mannschaft weiter zusammengewachsen.
Sie selbst haben hier im Training in Zell am See auch mal richtig zugelangt – passend zu Ihrem Spitznamen "Hard-Kohr". Woher kommt der?
Als ich noch in der Regionalligamannschaft von Bayer gespielt habe, habe ich ziemlich viele Gelbe Karten gesammelt – quasi eine in jedem zweiten Spiel. Ich gehe nun einmal dahin, wo es weh tut – und stecke viel ein. So bin ich bereits vor Jahren zu diesem Namen gekommen.
In der Jugend haben Sie allerdings im Angriff gespielt. Sind sie da noch etwas filigraner aufgetreten?
Na vielleicht ein bisschen. (lacht) Mein Vater und mein Opa waren Stürmer, deshalb habe ich anfangs auch offensiver gespielt – als ich dann zu Bayer in die Jugend kam, wurde ich auf die Sechs gestellt und habe ich mich dort gleich sehr wohl gefühlt. Da gibt es mehr Zweikämpfe, es geht mehr um Defensive und das hat einfach gepasst.
Steffan Effenberg hält mit 110 Gelben Karten den Bundesligarekord. Sie haben mit 24 Jahren schon 44. Werden Sie ihn noch überholen?
Puh, das ist jetzt nicht unbedingt mein Ziel. (lacht) Ich möchte einfach so viele Spiele wie möglich machen – und je mehr es werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, verwarnt zu werden. Aber nicht jede Karte geht auf ein hartes Tackling zurück…
… beispielsweise, wenn man durch kurzes Zupfen am Trikot des Gegenspielers einen Konter unterbindet…
… genau. Und so sind viele meiner Gelben Karten zustande gekommen. Den wenigsten ging ein überhartes Foul voraus. Aber natürlich gehört es zu meiner Spielweise, dass ich in Zweikämpfe gehe, in denen es auch richtig scheppert. Da ist das Risiko, Gelb zu bekommen, höher. Es gibt auch immer weniger Spielertypen von meiner Art.
Ist dieser Spielertyp unterbewertet? Bei der WM oder der Weltfußballerwahl wurde sehr oft von Luka Modric gesprochen, wesentlich seltener dagegen von N’Golo Kanté.
Das stimmt. Bei der WM hat man sehr gut gesehen, wie Kanté im Mittelfeld fast jeden Zweikampf gewonnen und zudem die Räume eng gemacht hat. So Spielertypen helfen einer Mannschaft immer, auch wenn sie vielleicht etwas unter dem Radar laufen. Innerhalb eines Teams haben sie meistens eh ein gutes Standing.
Jürgen Kohler hat vor der WM kritisiert, dass viele deutsche Spieler keine Zweikämpfe mehr führen können und diese nicht mehr richtig trainiert werden. Wie ist das bei Ihnen?
Ich trainiere das jetzt nicht speziell. Da gibt es im normalen Training schon genug entsprechende Situationen. Außerdem ist das natürlich eine Sache von Erfahrung: Wie schätze ich eine Spielsituation ein, wie antizipiere ich? Und da verbessert man sich vor allem im Spiel.
Haben sie auf Ihrer Position Vorbilder?
Ja, Steven Gerrard auf jeden Fall, der hatte einen Superschuss, den unbedingten Willen und hat seine Mitspieler einfach mitgerissen – und zwar auf einzigartige Weise. Aktuell gefällt mir vor allem Kanté, weil er aggressiv in die Zweikämpfe geht und immer wieder die Bälle gewinnt. Außerdem hat er einen fantastischen Blick für Räume.
Haben Sie auch wegen den vielen Karten und weil sie auch mal Grätschen noch keine Einladung von Joachim Löw bekommen? Denn bei diesem ist das ja eigentlich verpönt.
Das gehört halt zu meiner Spielweise und da werde ich auch wenig dran ändern.
Aber Sie sind immerhin U21-Europameister und in der A-Nationalmannschaft steht ein Umbruch an. Rechnen Sie sich da Chancen aus?
Das ist natürlich ein Traum von mir: Ich glaube an mich, arbeite hart und möchte irgendwann für die Nationalmannschaft spielen. Aber wenn es nie so weit kommen sollte, muss ich mich auch damit abfinden.
Fehlt ein Spielertyp wie Sie im DFB-Team?
Grundsätzlich sind so Spielertypen in der Bundesliga eher rar gesät. Nur wie gesagt: Derzeit konzentriere ich mich voll auf meine Aufgabe hier in Leverkusen.
Warum hat Löw keinen einzigen U-21-Europameister mit zur WM genommen?
Das weiß ich nicht. Was uns im letzten Jahr ausgezeichnet hat, war der Zusammenhalt. Der hat gegen Spanien im Finale den Unterschied gemacht. Nach vier Wochen Vorbereitung und Turnier waren wir eine Einheit, so zusammengeschweißt, dass es für uns nichts anderes gab, als den Titel zu holen.
Auch 2009 hat Deutschland den U21-EM-Titel geholt. Die damaligen Stützen wie Manuel Neuer, Sami Khedira und Mats Hummels hatten bereits ein Jahr später bei der WM tragende Rollen im A-Team. Aus der 2017er-EM-Mannschaft war bei der WM in Russland allerdings kein einziger dabei. Warum?
Beide Situationen sind kaum miteinander vergleichbar. Mit Kroos, Khedira und Co. waren bei der vergangenen WM einfach Klasseleute dabei, die bei internationalen Topvereinen spielen und dazu 2014 noch den Titel gewonnen haben. Und einem Weltmeister vertraut man – logischerweise – eher, als einem eher unbekannteren Spieler aus der U21. 2010 kamen außerdem Verletzungen von arrivierten Akteuren wie Michael Ballack dazu, durch die Plätze im Kader frei wurden.
Serge Gnabry, Max Meyer, Maximilian Arnold und Yannick Gerhardt haben alle schon in der A-Elf gespielt, allerdings hat keiner von ihnen dort mehr als zwei Spiele gemacht. Warum hat der Übergang bisher nicht wirklich geklappt?
Wie schon gesagt, hat der DFB – sicherlich auch verständlich – größtenteils auf die Weltmeister-Mannschaft gesetzt. Aber in den nächsten Jahren wird sich da sicher etwas verändern.
Hat sich die 2017er-Generation vielleicht zu sehr auf dem Titel ausgeruht?
Das glaube ich nicht. Ich persönlich habe durch den Titelgewinn beispielsweise mehr Selbstvertrauen bekommen und dieses genutzt, um bei Bayer meine Einsatzzeiten zu bekommen. Und beim Großteil der anderen ging es auf jeden Fall auch bergauf.
Wem würden Sie den Sprung zu einer Stütze in der A-Nationalmannschaft am ehesten zutrauen?
Serge Gnabry ist natürlich einer der prominentesten, aber man muss abwarten, wie er sich jetzt bei Bayern München präsentiert. Ich bin von seinem Charakter und seiner spielerischen Qualität komplett überzeugt und traue ihm den Durchbruch dort schon zu.