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Zum journalistischen Leitbild von t-online.BVB-Sportdirektor Zorc: Vergleich mit Bayern "wie 800 gegen 500 PS"
Nach einer turbulenten Saison befindet sich Borussia Dortmund im Neuaufbau. Manager Michael Zorc spricht im Interview über die neue Mentalität beim BVB und die Talent-Krise in Deutschland.
Michael Zorc ist der Architekt des Neuaufbaus bei Borussia Dortmund. Schritt für Schritt baut er gemeinsam mit dem neuen Trainer Lucien Favre den Kader um. Im Trainingslager in Bad Ragaz (Schweiz) traf t-online.de den BVB-Sportdirektor im Grand Resort Hotel, der Fünf-Sterne-Unterkunft der Dortmunder.
t-online.de: Herr Zorc, die letzten großen Talente des BVB – Pulisic, Dembele, Sancho – kamen alle aus dem Ausland. Was sagt das über den Fußball-Nachwuchs in Deutschland aus?
Michael Zorc (55): Ich würde es nicht unbedingt an diesen Transfers von Top-Talenten festmachen, die gibt es immer wieder. Aber man kann an den aktuellsten Ergebnissen der deutschen Junioren-Teams ablesen, dass international andere Nationen gerade deutlich die Nase vorn haben. Die Förderung der Talente ist im Ausland gegenwärtig zumindest erfolgreicher – und es ist zumindest momentan einfacher, ein absolutes Top-Talent in Frankreich oder England zu finden als in Deutschland.
Braucht es wieder eine Initiative von DFB und DFL für eine bessere Nachwuchsausbildung wie es sie Anfang des Jahrtausends gegeben hat?
Ich kann nur sagen, dass es damals die Initialzündung war. Ein Nachwuchsleistungszentrum langfristig zur Bedingung für die Bundesliga-Lizenz zu machen, hat den Druck enorm erhöht. Manchmal muss man Dinge erzwingen, damit sie zeitnah umgesetzt werden. Davon haben wir bis vor kurzer Zeit sehr profitiert. Wir waren in der Nachwuchsarbeit sicher mit führend in Europa.
Wenn man sich nun aber die Transfer-Bilanz der Bundesliga anschaut, findet man dort viele Talente aus dem Ausland auf den Einkaufslisten, aber kaum gestandene Stars. Fehlen der Bundesliga die großen Namen?
Wir als Borussia Dortmund sind gut damit gefahren, die großen Stars selbst zu entwickeln. Das ist eine unserer Kernkompetenzen! Spieler wie Lewandowski, Hummels, Gündogan, Götze oder Aubameyang – um nur einige zu nennen – haben hier ja nicht als Stars angefangen. Aber mir gefällt dieses dogmatische Denken nicht. Das eine schließt das andere doch nicht aus. Wir können eigene Talente ausbilden, aber eben auch einen gestanden Spieler wie Axel Witsel holen, wenn wir das Gefühl haben, einen solchen Profi zu brauchen. Es sollte immer die Verstärkung der Mannschaft zählen, sonst setzt man sich unnötig Limits.
Wenn man die Aussagen der Verantwortlichen von Borussia Dortmund liest, geht es aktuell immer wieder um die Mentalität, die sich in der Mannschaft verändern soll. Wie machen Sie das?
Durch einige neue Spieler, aber viel wichtiger: durch einen inhaltlichen Neustart! Wir wollen die Einhaltung von Werten und Regeln, die wichtig für den Erfolg sind, wieder in den Vordergrund rücken und strenger kontrollieren. Vor allem geht es um Disziplin, Pünktlichkeit, Zusammenhalt und Kommunikation. Mehr Wir, weniger Ich. Die Balance war in den vergangenen beiden Jahren leider nicht optimal.
Sie meinen das Verhalten von Pierre-Emerick Aubameyang, der häufig zu spät kam, und den Streik von Ousmane Dembele.
Wir haben meiner Meinung nach zwar beide Fälle im Sinne des Klubs wirtschaftlich bestmöglich gelöst. Aber das Verhalten von Aubameyang und Dembele hat sich natürlich auf die Mannschaft ausgewirkt – und auch nach außen. Viele Fans haben zu Recht mit Unverständnis für die Spieler reagiert, es kam zumindest ein Stück weit zu einer Entfremdung zwischen Profis und Anhängern. Das wollen wir nicht noch einmal zulassen. Es geht nur miteinander.
Spüren Sie aktuell schon eine andere Mentalität?
Eindeutig. Und in den Einzelgesprächen mit den Spielern wird es übrigens sehr positiv bewertet, dass wir wieder mehr auf Pünktlichkeit und Disziplin achten.
Also ist alles bereit, um dem FC Bayern endlich mal wieder den Titel wegzuschnappen?
Falsche Frage! (Lacht) Wir können doch nicht in fast allen Bereichen einen Neustart ausrufen, der – um es ganz deutlich zu sagen – alleine personell schon zwei Sommertransferperioden benötigen wird, und gleichzeitig so ein weit entferntes Ziel ausrufen. Wir sind ambitioniert, wir sehen uns als Teilnehmer der Champions League, aber alleine schon ein wirtschaftlicher Vergleich mit dem FC Bayern wäre wie das Rennen eines 800-PS-Rennwagen gegen einen mit 500 PS. Und die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind leider maßgeblich im Fußball.
Durch die Verpflichtung von Axel Witsel haben Sie neun Spieler im zentralen Mittelfeld, es droht Unzufriedenheit. Müssen Sie nicht dringend Spieler verkaufen?
Der Kader darf zahlenmäßig nicht zu groß sein. Aber in erster Linie geht es doch darum, ihn qualitativ bestmöglich aufzustellen. Unsere letzte Saison war schlecht in allen Bereichen – das muss man so deutlich sagen. In der Analyse haben wir festgestellt, dass wir im zentralen Bereich echte Typen brauchen. Es war manchmal zu einfach uns zu schlagen, weil die Gegenwehr gefehlt hat und einer, der die Richtung vorgibt. Deshalb haben wir mit Witsel und Delaney zwei gestandene Spieler dazugeholt, von denen wir uns erwarten, dass sie in schwierigen Situationen Orientierung geben.
Und dafür müssen andere Spieler den Klub verlassen?
Wir werden darüber diskutieren, den einen oder anderen Spieler noch abzugeben. Grundsätzlich habe ich aber lieber einen Spieler mehr als zu wenig, vor allem weil durch die Nations League die Belastung für unsere Nationalspieler weiter steigen wird.
In den vergangenen zwölf Monaten hatten Sie drei Trainer mit unterschiedlichen Stilen – den offensiven Peter Bosz, den eher defensiven Peter Stöger, und nun wieder den offensiven Lucien Favre. Haben Sie sich zweimal für den falschen Trainer entschieden?
Wenn man sich kurz vor Weihnachten wieder von einem neuen Trainer trennt, hat man nicht alles richtig gemacht. Peter Stöger kam allerdings zu einem ungünstigen, sehr unruhigen Zeitpunkt, musste die Saison reparieren und uns in die Champions League führen. Das hat er geschafft und dafür sind wir ihm dankbar! Lucien Favre sehe ich als einen Trainer, der die Balance zwischen Angriff und Verteidigung sucht. Seine Teams zeichnen sich durch technisch hochwertigen Ballbesitzfußball aus, ohne zu großes Risiko zu gehen.
Manager-Kollegen stufen Favre hinter vorgehaltener Hand als schwierig ein, weil er angeblich sowohl bei Hertha als auch in Gladbach in Krisenzeiten mehrfach zurücktreten wollte...
Wenn irgendwo die Amtszeit eines Trainers endet, wird immer viel geredet, auch viel Unsinn. Ich verlasse mich auf meinen eigenen Eindruck - und der ist bislang hervorragend. Wir haben einen sehr guten Dialog, sind natürlich nicht immer einer Meinung, aber das wäre auch fatal. Diskussionen bringen uns voran!
Das große Thema dieser Sommerpause war das frühe deutsche WM-Aus und die Debatte um Mesut Özil. Wie groß ist der Schaden für den deutschen Fußball?
Ich möchte mich nicht auch noch in diese Diskussion einmischen. Dieses sehr plakative Thema zieht die ganze Aufmerksamkeit auf sich, hatte aber vermutlich eher wenig mit dem sportlichen Aus in Russland zu tun.
Wo sehen Sie denn die Gründe für das Scheitern?
Das muss in erster Linie der Bundestrainer beurteilen. Es gibt viele Experten beim DFB, da ist meine Stimme nicht gefragt. Mein Job ist es, mit Borussia Dortmund wieder sportlich erfolgreich zu sein – damit ist genug zu tun.
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Schon bekannt ist, dass es größere Veränderungen im Kader der Nationalelf geben wird – mit einem BVB-Block um Marco Reus, Mario Götze und Julian Weigl?
Wir werden auch beim nächsten Länderspiel-Termin im September wieder mehr als ein Dutzend Spieler verschiedener Nationen abstellen. Dass wir auch regelmäßig deutsche Nationalspieler stellen, die im DFB-Team eine wichtige Rolle spielen, wäre wünschenswert. Aber ich kann sie ja nicht selbst nominieren. (lacht)