Für zwölf Millionen Euro geholt Keine Schonfrist für Dortmunds Hoffnungsträger Kampl
Aus La Manga berichtet Patrick Brandenburg
Wenn alle so anpacken würden wie Kevin Kampls Familie - Borussia Dortmund stünde aktuell sicher nicht auf dem vorletzten Tabellenlatz. Bei seiner ersten BVB-Pressekonferenz im Trainingslager in La Manga verriet der Neue, dass seine Brüder ihn als Jugendlicher zum Training chauffierten, um den gemeinsamen Traum von der Profikarriere eines Mitglieds der Familie Kampl zu verfolgen. Als das nicht mehr funktionierte, machte kurzerhand die Mutter den Führerschein. Mit 50 Jahren noch. Auch dank dieser Rückendeckung kann der Filius heute frech verkünden: "Ich bin mit meiner Entwicklung nicht am Ende. Ich will erst beim BVB an meine Grenzen stoßen."
Genau so einen haben sie gesucht beim taumelnden Vizemeister. Einen, der alles dem großen Ziel unterordnet und in der von Selbstzweifeln geplagten Krisentruppe frische Impulse setzt. Kampls klare Botschaft zum Start an der Costa Calida: "Ich will Vollgas geben." In jedem zweiten Satz tritt der Mittelfeldwirbler verbal aufs Gaspedal. Offensiv, angriffslustig, die Zukunft im Blick. "Ich kann nicht weniger als hundert Prozent" hatte der Wintereinkauf des Vorletzten der Bundesliga schon bei seiner Verpflichtung getönt, als würde er sich als Redenschreiber von Chefmotivator Jürgen Klopp bewerben.
In Spanien legt er nun nach: "Dortmund gehört nicht da unten rein. Ich glaube fest daran, dass wir da rauskommen." Der 24-Jährige ist auf Angriff gepolt, und das ist auch gut so. Denn eine andere Chance hat er nicht.
Einer muss fünf ersetzen
Im Gegensatz zu sämtlichen Einkäufen der jüngeren Vergangenheit besitzt der slowenische Nationalspieler null Schonfrist. Angesichts der Krise bei Schwarz-Gelb hat der für zwölf Millionen Euro von Red Bull Salzburg losgeeiste Allrounder sofort einzuschlagen. "Kampl muss fünf Stars ersetzen", titelte der Boulevard bei seiner Verpflichtung, die eigentlich erst für den Sommer geplant war. In der Tat herrscht im ohnehin schwächelnden BVB-Mittelfeld Anfang 2015 ein Vakuum: Pierre-Emerick Aubameyang spielt mit Gabun beim Afrika-Cup, Shinji Kagawa möchte mit Japan Asienmeister werden, Henrich Mchitarjan braucht Zeit, um nach seinem Muskelbündelriss wieder fit zu werden. Und schließlich fehlt Jakub Blaszczykowski nach fast einem Jahr Wettkampfpause die Spielpraxis. Einzig Dauer-Sorgenkind Marco Reus scheint schon Fortschritte zu machen nach seinem Außenbandabriss. Er steht unter Spaniens Sonne wieder im Teamtraining. Kampl sieht trotzdem lieber das ganze Bild: "Mit diesen ganzen Stars zusammenzuspielen, ist etwas extrem Schönes."
Glaubt man Kampls früheren Trainern und Förderern hat der schmächtige Tempodribbler mit Gegenpressing-Vorliebe absolut das Zeug dazu, beim BVB einzuschlagen. "Er passt zu Borussia wie die Faust aufs Auge", sagte Pele Wollitz, der Kampl einst beim Drittligisten VfL Osnabrück trainierte. "Der Wechsel in die Bundesliga ist ein logischer Schritt", urteilte Red-Bull-Sportdirektor Ralf Rangnick, der ihn eigentlich nach Leipzig umtopfen wollte, damit das dortige Franchise schnell den Weg in die deutsche Eliteliga schafft. Auch sein früherer Salzburg-Trainer Roger Schmidt hätte ihn am liebsten zu seinem neuen Klub Bayer Leverkusen geholt. Doch letztlich besaß der BVB die besten Argumente. "Dortmund hat sich die meiste Mühe gegeben, mich zu holen", sagte Kampl.
Halbrechts oder auf der Zehn
Er gilt als technisch versiert, kann auf sämtlichen Positionen im Mittelfeld eingesetzt werden. In Salzburg spielte er oft auf Halbrechts. "Aber in der Nationalmannschaft stand ich meist auf der Zehn", fügt Kampl schnell hinzu. Stets wird seine aggressive, unermüdliche Spielweise hervorgehoben, die für den Vollgasfußball perfekt geeignet ist, der Dortmund früher auszeichnete. Bei Red Bull lief das Offensivspiel über den schmächtigen Slowenen, der bei 1,80 Meter Körpergröße nur 65 Kilo auf die Waage bringt.
Ein fußballerisches Leichtgewicht muss er deswegen nicht sein, schließlich erzielte er in Österreich 18 Treffer in 74 Ligaspielen und war zudem an zahlreichen Toren beteiligt. Ob er aber dem nahe liegenden Vergleich mit BVB-Star Reus standhält, mit dem er sich nicht nur die wilde Frisur teilt, gehört zu den spannendsten Fragen der Rückrunde. Für die hohe Ablösesumme kann ja er nichts, sie dürfte zum Teil auch der Dortmunder Druck-Situation geschuldet sein.
Über Umwege in die Bundesliga
Dass er nach 14 Jahren fußballerischer Ausbildung bei Bayer Leverkusen den unorthodoxen Umweg über Fürth, Osnabrück, Aalen und schließlich Salzburg nehmen musste, um ans Ziel zu kommen, spricht per se nicht gegen den selbstbewussten Kicker. Dennoch gilt es nun zu beweisen, dass ihm den Sprung aufs nächste Level wirklich gelingt: "In der Bundesliga ist alles noch mal intensiver. Aber ich bin in dem Alter, um den Schritt zu schaffen."
Dabei ist nicht nur die Intensität höher, auch die Umstände sind vertrackt. Kampl trifft auf eine Mannschaft, die ihren inneren Kompass verloren hat und sportlich kaum bei der Eingewöhnung helfen kann. Auf der menschlichen Ebene soll ihm Zimmernachbar Erik Durm beim Einstieg in die neuen Welt helfen. Kein schlechter Schachzug des BVB, vielleicht färbt im Nobelhotel Principe Felipe ja auch Selbstvertrauen von Kampl auf den zuletzt blassen Weltmeister ab.
In Solingen geboren
Interessant dürfte zudem sein, wie die eingefleischten BVB-Fans reagieren. Schließlich wettern die Hardcore-Traditionalisten gern gegen alle „Dosen“-Spieler, die für die ungeliebten Klubs des Brauseherstellers auflaufen. Das in NRW aufgewachsene Gastarbeiterkind Kampl kann Stallgeruch dagegenhalten, schließlich war er in jungen Jahren "ein BVB-Fanatiker", für den nun mit dem Wechsel in die Westfalenmetropole - 50 Kilometer Luftlinie vom Geburtsort Solingen entfernt - ein "Riesentraum in Erfüllung geht".
Die Anhänger können ihm die Verbundenheit ruhig abnehmen. Genau in dem Moment, als er sich per Handschlag auf den Wechsel festlegte, fiel in Freiburg der Ausgleich für Hannover, der den BVB zum Ende der Hinrunde knapp vor der Höchststrafe Rang 18 bewahrte. "Da hat er zum ersten Mal für den BVB gejubelt", berichtete Trainer Klopp über seinen neuen Bruder im Geiste: "Also sind wir schon zwei, die hundertprozentig vom Klassenerhalt überzeugt sind."