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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kompany löst taktische Fesseln Exklusiv: Bayern-Kapitän erklärt die Tuchel-Befreiung
Im ersten Pflichtspiel des FC Bayern werden große Veränderungen von Kompany im Vergleich zu seinem Vorgänger deutlich. Kapitän Neuer erklärt sie exklusiv bei t-online.
Aus Ulm berichtet Julian Buhl.
Der Pokalabend, den er mit dem FC Bayern am Freitag im nostalgischen Donaustadion erlebte, war ganz nach dem Geschmack von Fußballromantiker Thomas Müller. Der 34-Jährige genoss den gelungenen Auftakt in der ersten Runde des DFB-Pokals sichtlich. Und zwar nicht nur, weil er bei dem souveränen 4:0 bei Zweitligaaufsteiger SSV Ulm mit zwei frühen Treffern (12., 16.) und einer Vorlage (90.+3) zum Matchwinner geworden war.
Nach Abpfiff ging er auch beim Weg vor die Bayern-Kurve voran und ließ sich dort gemeinsam mit seinen Teamkollegen feiern. Nur eine Sache störte ihn in der kultigen Arena, in die gerade einmal 17.400 Zuschauer passen. "Natürlich wünscht man sich bei einem Fußballstadion die Tartanbahn irgendwie weg", sagte Müller mit einem Augenzwinkern, als er auf die besondere Stimmung in Ulm angesprochen wurde. Trotzdem habe er aber "gespürt, wie die Leute hier den Fußball lieben".
Die nach wie vor große Lust am Fußball war auch bei Müller kaum zu übersehen – auch nicht von Cheftrainer Vincent Kompany: "Thomas ist ein Spieler, der immer motiviert ist", sagte er hinterher voller Anerkennung. "Für ihn war das heute wie ein Champions-League-Finale und so hat er auch gespielt. Genau diese Einstellung brauchen wir."
Kompany verfolgt Guardiolas Ideen
Müller, der Harry Kane in der Startformation im Sturmzentrum vertrat, hatte die Vorstellungen seines Trainers perfekt umgesetzt. Und umgekehrt scheint der offensive Fußball, den Kompany spielen lassen will, vor allem zu Müller, aber auch zur gesamten Mannschaft sehr gut zu passen.
"Das war vom ersten Tag an wirklich sehr guter Ansatz, den das Trainerteam fährt", sagte Müller. Wie der genau aussieht, erklärte Kane. Kompany habe "viel frische Energie mitgebracht", sagte der Torjäger, der nach einer Müller-Flanke in der Nachspielzeit den Treffer zum Endstand erzielte: "Er will so spielen, mit hohem Druck, viel Ballbesitz, viel Angriff, um viele Tore zu erzielen. Ich denke, das passt gut zu unserem Team." Bei seinem Pflichtspieldebüt gegen Ulm ging Kompanys Plan jedenfalls komplett auf. Die Statistiken wiesen am Ende 77 Prozent Ballbesitz für sein Team aus.
Damit verfolgt Kompany einen dominanten taktischen Spielansatz, den sein langjähriger Trainer und Mentor Pep Guardiola in seiner Zeit bei Bayern (2013 bis 2016) eingeführt und etabliert hatte.
Ex-Trainer Thomas Tuchel, der seiner Mannschaft ein deutlich abwartenderes, defensiveres Konzept überstülpte und viel auf Konter setzte, war davon zuletzt komplett abgekehrt. Viele Spieler und auch einige Klubverantwortliche waren damit nicht gerade glücklich. Das Ergebnis: Tuchel erlebte mit dem Rekordmeister die erste titellose Saison seit zwölf Jahren, an deren Ende sein Vertrag aufgelöst wurde.
Befreiung von Tuchels Fesseln
Kompany befreite die Mannschaft jetzt wieder von diesen von seinem Vorgänger angelegten taktischen Fesseln, lässt nun sozusagen Anti-Tuchel-Fußball spielen. "Wenn man sich anschaut, wie wir ohne Ball agieren und wie wir in die Zweikämpfe gehen, erkennt man ein Muster und einen Unterschied zu dem, was wir im letzten Jahr nicht so gut gemacht haben", sagte Müller.
Es bringe freilich nichts, jetzt voreilig alles zu loben, "bloß weil wir jetzt die erste Runde im Pokal mal wieder souverän gemeistert haben", mahnte der Weltmeister von 2014. Zur Erinnerung: In den vergangenen vier Jahren schieden die Bayern im Pokal dreimal in Runde zwei und einmal im Viertelfinale aus. "Und trotzdem", so Müller, "habe ich den Eindruck, dass die Art und Weise, wie wir aktuell arbeiten, Früchte tragen kann."
Exklusiv: Neuer erklärt die Tuchel-Befreiung
Diesen Eindruck bestätigte auch Manuel Neuer und erklärte im Gespräch mit t-online die Tuchel-Befreiung. Von den Ideen des neuen Trainers Kompany habe man "schon einiges auf dem Platz gesehen", so Neuer, der konkrete Beispiele nannte: "Wir hatten eine gute Positionierung, haben versucht, die Passwege kurz zu halten." Auch mit der Abstimmung in der Abwehr war der Nationaltorhüter zufrieden. "Wir haben zu Null gespielt, haben wenig zugelassen. Deshalb habe ich ein gutes Gefühl", sagte er. "Es hat es gut funktioniert in der Kommunikation, der Körpersprache und im Verteidigen insgesamt."
Vor dem ersten Pflichtspiel "weiß man nie so richtig, wo man steht", sagte der Bayern-Kapitän weiter. "Ein souveräner Sieg, bei dem wir von Anfang an dominant auftreten und es auch bis zum Schluss durchziehen, war aber das, was wir uns vorgenommen haben. Und diese Erwartung haben wir erfüllt."
Im Zentrum vertraute Kompany – genau wie Tuchel zum Start der vergangenen Saison – auf das Duo Dayot Upamecano und Min-jae-Kim. Auffällig dabei war, dass die beiden im Vergleich zum Vorjahr die Seiten getauscht haben und Kim jetzt rechts in der Innenverteidigung spielt. "Ich glaube, dass wir da auch in der Defensive variabel sein können, dass wir mal zu dritt spielen oder zu viert", sagte Neuer mit Blick auf mögliche Systemänderungen auch während des Spiels.
Neuer erklärt neue Rolle bei Kompany
Der offensivere taktische Ansatz wirkt sich auch auf sein Torwartspiel direkt aus. "Gerade, wenn wir jetzt auch eher eine Mann-gegen-Mann-Zuordnung haben, ist es so, dass wir vielleicht auch manchmal in Gleichzahl hinten stehen werden", führte er aus. "Und ich da auch eine ein bisschen andere Rolle bekommen werde. Ich muss dann höher stehen und die Bälle ablaufen."
In Ulm war Neuer bereits wieder als Libero teilweise auf Höhe der Mittellinie in Aktion. Schon unter Guardiola war der Nationalkeeper so ein wichtiger Bestandteil des bayerischen Dominanzfußballs gewesen und hatte mit seinem offensiven Torhüterspiel neue Maßstäbe gesetzt.
Neuer bestätigt Plan mit Kimmich
Auch die Verbindung der Abwehr zum defensiven Mittelfeld hat sich bei Bayern unter Kompany entscheidend verändert. Joshua Kimmich hat seinen Platz als Rechtsverteidiger an den aus Leverkusen zurückgekehrten Josip Stanišić abgegeben und ist jetzt wieder im Zentrum eingeplant – eher als Achter und weniger als Sechser. "Jo hatte jetzt eine offensivere Position im Mittelfeld und hat da auch sehr gut gespielt", sagte Neuer, "und das ist jetzt erst mal der Plan." Insgesamt sei es "wichtig", so der Torwart, "dass wir die Sachen, die wir trainieren, auch in den Spielen umsetzen. Das hat gut funktioniert heute."
Auch bei den Neuzugängen: Michael Olise lieferte nicht einmal zwei Minuten nach seiner Einwechslung direkt seine erste Torvorlage. "Jeder, der jetzt neu dazugekommen ist, hatte einen guten Einstand", stellte Neuer zufrieden fest. Auch der Portugiese João Palhinha fügte sich in der Schlussphase gut ein und deutete seine robuste Spielweise da bereits an.
Was der defensive Mittelfeldspieler der Mannschaft möglicherweise geben kann, was sie ohne ihn nicht hatte? "Vieles", sagte Neuer. Das sah übrigens auch schon Tuchel so, der Palhinha damals als seinen Wunschspieler unbedingt verpflichten wollte. Nach dem geplatzten Last-minute-Wechsel im vergangenen Jahr hat Kompany ihn nun bekommen.
- Mixed-Zone-Gespräch mit Thomas Müller am 16. August in Ulm
- Persönliches Interview mit Manuel Neuer am 16. August in Ulm