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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Champions-League-Halbfinale Der FC Bayern wird von seinen Fehlern eingeholt
Das Halbfinale der Champions League zwischen Real und ManCity führt dem FC Bayern seine großen Fehler vor Augen: von Alaba, Kroos bis De Bruyne.
Vom FC Bayern berichtet Julian Buhl
Wenn heute Abend (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online) im Estadio Santiago Bernabéu die Champions-League-Hymne ertönt und das Halbfinalhinspiel angepfiffen wird, werden die Spieler und Klubbosse des FC Bayern das mit Sicherheit mit großer Wehmut verfolgen. Denn während Manchester City dort bei Real Madrid zum Halbfinalhinspiel antreten wird, bleibt den Münchnern nach dem verlorenen Viertelfinalduell (0:3, 1:1) mit dem Premier-League-Champion dabei nur die Zuschauerrolle vorm Fernseher.
Das allein dürfte vor allem bei so manchem Verantwortlichen schon für Unbehagen sorgen. Erst recht, weil sie beim Betrachten des Aufeinandertreffens der beiden heißesten Titelanwärter der Königsklasse zwangsläufig von ihren eigenen Versäumnissen und Fehlern eingeholt werden. Das gilt sowohl für die jüngere als auch die etwas weiter zurückliegende Vergangenheit.
Welche das genau sind? Das offenbart vor allem schon ein Blick auf die wahrscheinliche Startaufstellung von Real Madrid. Dass Toni Kroos und David Alaba darin zu finden sind, gehört zu den beiden offensichtlichsten Versäumnissen.
Bayern macht Kroos zum "Schnäppchen des Jahrhunderts"
Kroos ließen die Bayern 2014 nach Madrid ziehen, obwohl der damalige Trainer Pep Guardiola den für sein System perfekten Spieler unbedingt halten wollte. Die Münchner sahen in dem zentralen Mittelfeldmann allerdings keinen absoluten Unterschiedsspieler und waren dementsprechend nicht dazu bereit, ihn im Rahmen einer Vertragsverlängerung auch in Sachen Gehalt in diese oberste Kategorie einzusortieren.
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Also stimmte die damalige Führung um Präsident Uli Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge stattdessen ein Jahr vor dem Ende seines Kontrakts einem Verkauf zu. Kroos kam dann als frischgekürter Weltmeister 2014 in Madrid an.
"Wenn man die heutigen Ablösen betrachtet und sich erinnert, dass Toni für 25 Millionen gewechselt ist, kann man sagen, dass Kroos für Real das Schnäppchen des Jahrhunderts ist", sagte dessen Berater Volker Struth bereits 2017 der "Sport Bild" und verwies darauf, dass auch Real-Präsident Florentino Pérez Kroos als einen solchen Königstransfer sehe. Auch sechs Jahre später kann man beiden bei dieser Einschätzung kaum widersprechen.
Hoeneß: "Kroos hat in diesem Fußball nichts mehr verloren"
Speziell Hoeneß sprach Kroos – auch einmal im Gespräch mit t-online – trotzdem immer wieder die Fähigkeit ab, die großen Spiele eben nicht nur mitspielen, sondern sie auch entscheidend beeinflussen zu können. Nach dem Achtelfinal-Aus mit der Nationalelf bei der Europameisterschaft 2021 sagte er beim Sport1-Fußballstammtisch "Doppelpass": "Toni Kroos hat in diesem Fußball nichts mehr verloren. Das war das Hauptproblem."
Kroos antwortete mit Leistung auf dem Platz: Im vergangenen Jahr wurde er mit seinem insgesamt fünften Titel zum Rekordhalter in der Champions League – vier davon holte er mit Real, einen 2013 zuvor mit Bayern. Mit dem Copa del Rey komplettierte der 33-Jährige erst am Samstag seine Titelsammlung mit Madrid auf Klubebene.
Vor dem Wiedersehen mit Guardiola parlierte er nun locker und lässig in fließendem Spanisch auf der Pressekonferenz. "Wir haben schon viele Spiele dieser Art bestritten", sagte Kroos selbstbewusst vor dem Halbfinale: "Ich bin von unserer Erfahrung überzeugt."
Mit Alaba weiß er dabei einen langjährigen Wegbegleiter auch aus Münchner Zeiten jetzt in Madrid an seiner Seite. Der Österreicher war mit 16 Jahren zum FC Bayern gekommen und dort gemeinsam mit Kroos 2013 zum Triplesieger geworden. Unter Guardiola entwickelte er sich dann vom Linksaußen und zentralen Mittelfeldspieler zum Abwehrboss. Auf dem Feld und speziell auch in der Bayern-Kabine war Alaba ein enorm wichtiger Faktor.
Seinem besonderen Stellenwert entsprechend forderte er bei den Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung eine zweifellos außergewöhnliche Wertschätzung vom Klub ein – auch in finanzieller Form.
Alaba-Abschied: Salihamidzic räumt Fehler ein
Sportvorstand Hasan Salihamamidzic und die Bayern übermittelten ihm schließlich ein finales Angebot – und zogen es zurück, nachdem Alaba die ihm dafür gesetzte Deadline überschritten hatte. "Als wir dieses letzte Angebot gemacht haben, da hat David nachgedacht. Irgendwann wollten wir schon wissen, wie das ist", sagte Salihamidzic: "Im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich das noch mal so gemacht hätte bei so einem verdienten Spieler."
An der Säbener Straße ist aber auch zu vernehmen, dass Salihamidzic Alabas Abschied damals auch deshalb letztlich in Kauf genommen habe, weil dadurch ein Stammplatz für seinen 80-Millionen-Transfer Lucas Hernandéz als Linksfuß in der Abwehr frei wurde.
6. Runde
Dienstag, 10.12.
Alaba verließ den Klub jedenfalls ablösefrei. Bei Real machte der mittlerweile 30-Jährige Klublegende Sergio Ramos auf Anhieb vergessen und gewann gleich in seinem ersten Jahr in Madrid – gemeinsam mit Kroos – 2022 die Champions League.
Da Abwehrchef Eder Militão ausfällt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass Alaba gemeinsam mit Antonio Rüdiger die Abwehr bilden wird. Im Werben um den Abwehrchef der deutschen Nationalmannschaft, der im vergangenen Sommer ebenfalls ablösefrei vom FC Chelsea nach Madrid wechselte, waren die Bayern ohnehin chancenlos gewesen.
Bayern fehlte bei Ancelotti die Geduld
Mit Ancelotti und Guardiola treffen auch zwei ehemalige Bayern-Trainer nun im Halbfinale der Königsklasse aufeinander. Guardiola konnten die Münchner damals nicht davon überzeugen, sein auf drei Jahre befristetes Projekt zu verlängern. Nachdem er den Klub 2016 Richtung England verlassen hatte, übernahm Ancelotti, der eigentlich als der perfekte Nachfolger galt. Die nötige Zeit, das zu zeigen, bekam er in München allerdings nicht. Nach nur einem Jahr und einem missglückten Start in seine zweite Saison wurde der Italiener im September 2017 bereits wieder entlassen.
"Er hat auch in München funktioniert, wir haben auch dort starken Fußball gezeigt und Erfolge gefeiert", sagte Alaba nun im Interview mit der "tz.": "Er zählt zu den größten Trainern aller Zeiten." Mit seinem insgesamt vierten Champions-League-Triumph, von denen er jeweils zwei mit dem AC Mailand und Real gewann, stellte er das im vergangenen Sommer erneut unter Beweis.
De Bruyne war schon mit dem FC Bayern einig
Aber auch ein Blick auf die Mannschaft von Guardiola führt den Bayern eigene Versäumnisse vor Augen. Denn Kevin De Bruyne, der 2015 vom VfL Wolfsburg nach Manchester wechselte und seitdem einer der besten und konstantesten Mittelfeldspieler der Premier League ist, stand damals eigentlich bereits beim FC Bayern im Wort. "Wir waren uns nach zwei Treffen mit Bayern einig", verriet dessen Berater Patrick De Koster ein Jahr später dem belgischen Sportmagazin "Le Vif" und sagte: "Ich bin davon überzeugt, er würde jetzt für Bayern spielen, wenn sie den geforderten Preis gezahlt hätten."
Die Münchner boten damals eine für diese Zeit beachtliche Ablösesumme von 50 Millionen Euro. Wolfsburg forderte allerdings 70 Millionen. Bayerns Verantwortliche waren nicht dazu bereit, das Angebot weiter zu erhöhen – und verpokerten sich damit. City überwies schließlich 74 Millionen für den Belgier, der jeden Cent dieser Ablösesumme wert war. Der Marktwert des 31-Jährigen stieg zwischenzeitlich auf bis zu 150 Millionen und liegt noch immer bei 80 Millionen.
Auch Gündogan verpassten die Bayern
Ein Jahr nach De Bruyne holte ManCity auch noch Nationalspieler Gündogan für 30 Millionen Euro von Borussia Dortmund. Um ihn bemühten sich die Münchner damals gar nicht erst. Gündogan ist mittlerweile zum Kapitän bei City aufgestiegen und bildet gemeinsam mit De Bruyne seit Jahren eines der besten Mittelfeldduos der Welt. Davon konnten und mussten sich die Bayern beim Wiedersehen im Viertelfinale zu ihrem eigenen Leidwesen überzeugen.
Für Erling Haaland wäre der FC Bayern im Sommer sogar dazu bereit gewesen, weit über seine eigentliche finanzielle Schmerzgrenze hinauszugehen, bekam ihn aber trotzdem nicht. Der Norweger wechselte von Borussia Dortmund zu Manchester City und pulverisiert jetzt einen Torrekord nach dem anderen. In 47 Pflichtspielen in dieser Saison hat er bereits 51 Treffer erzielt – zwei davon in den beiden Duellen mit Bayern.
Mit Ersatztorhüter Stefan Ortega ist noch ein weiterer Profi im aktuellen City-Kader, an dem auch die Münchner im vergangenen Sommer stark interessiert waren. Der ehemalige Spieler vom Lokalrivalen TSV 1860 entschied sich aber gegen die Bayern und für einen Wechsel zu Guardiola, der ihm, wie er sagte, die bessere Perspektive aufzeigen konnte.
Mit Bayern schaffte es Guardiola damals nicht, die Champions League zu gewinnen, und scheiterte damals dreimal in Folge im Halbfinale. Auch mit City blieb ihm sein großer Traum vom nächsten Königsklassentriumph bislang noch verwehrt. Jetzt steht ihm dabei erneut ein starkes Real Madrid im Weg – und zwar mit Kroos und Alaba, zwei seiner Ex-Spieler beim FC Bayern.
- Eigene Recherche und Hintergrundgespräche
- https://sportmagazine.levif.be: "Exclusif : De Bruyne était tombé d’accord avec le Bayern!"
- https://www.realtotal.de: "Berater Struth: 'Kroos für Real das Schnäppchen des Jahrhunderts'"
- transfermarkt.de: Profile von Kevin De Bruyne, Ilkay Gündogan, Toni Kroos und David Alaba
- Interview mit David Alaba in der Printausgabe der tz vom 9. Mai