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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Aus der Idylle in die Bundesliga? Dieser Klub hat das Schicksal des HSV in der Hand
Der HSV wollte in der Saison 2018/19 den Bundesliga-Wiederaufstieg schaffen, belegte am Ende Platz vier. Nun droht erneut der Super-GAU. Grund dafür ist ein vermeintlicher "Fußballzwerg".
Der 1. FC Heidenheim steht in der zweiten Liga aktuell auf dem dritten Tabellenplatz, hat 55 Punkte und damit einen Zähler Vorsprung auf den Viertplatzierten: den HSV. Eigentlich wollte Hamburg nach dieser Saison zurück ins Oberhaus, doch der Klub aus Baden-Württemberg könnte dies verhindern. Wenn Heidenheim bei Zweitliga-Meister Bielefeld gewinnt, hat der HSV keine Chance mehr und müsste ein weiteres Jahr im Unterhaus bleiben. Der Super-GAU für die "Rothosen".
Dabei könnten die Unterschiede zwischen HSV und Heidenheim kaum größer sein. Vor zwölf Jahren schaffte der FCH den Aufstieg in die Regionalliga, während der HSV im Uefa-Cup spielte. Schon bald könnte Heidenheim eine Liga über den Hamburgern spielen. Mit dem Erreichen der Relegation wäre ein großer Schritt Richtung Bundesliga geschafft.
Doch nach Bundesliga sieht es vor Ort auf den ersten Blick nicht aus. Heidenheim an der Brenz hat rund 48.000 Einwohner, in die Voith-Arena passen 15.000 Zuschauer. Das Stadion steht auf dem Schlossberg auf der Ostalb und ist das höchstgelegene im deutschen Profifußball. Wenn man den Spieltag nicht verpassen möchte, muss man als Fan früh losfahren. Denn zum Stadion führt nur eine Straße und auf dieser kann man kurz vor Anpfiff gern mal im Stau stehen. Auch der Schotterparkplatz vor der Geschäftsstelle ist dann oftmals schon überfüllt.
Dass auf jenem Schotterparkplatz tatsächlich bald auch die Fans vom FC Bayern oder dem BVB parken könnten, ist der Verdienst harter Arbeit. "Unsere Geschichte ist eine besondere. Wir haben uns von der Landesliga bis jetzt so entwickelt. Vereinsführung, Trainerteam, Spieler sind zum Teil seit Jahren zusammen", sagt Holger Sanwald t-online.de. Und er muss es wissen. Der Vorstandsvorsitzende ist selbst seit 1994 im Verein und ergänzt: "Wir setzen auf Kontinuität und bei Schwierigkeiten halten alle zusammen."
Wissen Sie, wer vor Frank Schmidt dort Trainer war?
In Frank Schmidt hat der Klub einen Cheftrainer, der schon seit 13 Jahren an der Seitenlinie steht. Seinen Vorgänger Dieter Märkle kennt kaum einer. Auch Kapitän Marc Schnatterer spielt seit fast zwölf Jahren beim FCH. Er und Schmidt sind perfekt aufeinander abgestimmt. "Ohne Marc und Frank wären wir niemals dahin gekommen, wo wir heute sind. Man kann das nicht genug schätzen. Der Weg wäre ohne die beiden nicht vorstellbar gewesen", sagt Sanwald t-online.de. "Sie sind die sportlich betrachtet entscheidenden Bausteine."
Schnatterer trägt die Rückennummer 7. Bisher war er 425-mal für "seinen" Klub im Einsatz. Neben 122 Toren hat er auch 123 Vorlagen gemacht. Standards und Flanken sind sein Spezialgebiet. Auch das dramatische Siegtor gegen den HSV am vergangenen Spieltag hat der Flügelflitzer eingeleitet. t-online.de sagt er: "Mich freut es, dass ich in den letzten zwölf Jahren meinen Teil dazu beitragen konnte, hier etwas aufzubauen. Uns zeichnet ein familiärer Umgang, aber auch ein hoher Anspruch an uns selbst aus. Wir geben uns in Heidenheim nie mit dem Erreichten zufrieden."
Das sieht auch der jetzige Bundesligaprofi Florian Niederlechner so. Der Stürmer des FC Augsburg hat von 2013 bis 2015 beim FCH gespielt, ist mit Schnatterer damals in die zweite Liga aufgestiegen. Niederlechner: "Wenn ich nicht bei Frank Schmidt und in Heidenheim gespielt hätte, dann wäre ich kein Bundesligaspieler geworden." In Bezug auf Schmidt sagt er: "Er hat mich zu einem besseren Spieler gemacht."
"Er kann auch ein harter Hund sein"
Niederlechner machte damals in der Saison, die zum Aufstieg führte, sieben Tore und vier Vorlagen. Die Station auf der Ostalb weiß er bis heute zu schätzen: "Wenn es nicht gut läuft, halten alle zusammen, wenn es gut läuft, halten auch alle zusammen." Ein gutes Verhältnis zu Frank Schmidt hat Niederlechner bis heute. "Er war mein Trainer, aber wir sind auch Freunde geworden. Wir schreiben und telefonieren miteinander", sagt der Knipser.
"Frank Schmidt ist ehrgeizig, ehrlich und nett. Aber er kann auch ein harter Hund sein. Er weiß, wie er Spieler angehen muss, und ist menschlich ein überragender Typ", erzählt Niederlechner weiter. Auch Schnatterer hat eine gute Beziehung zu seinem Coach: "Wir haben ein professionelles, aber auch freundschaftliches Verhältnis. Das hat sich über die Jahre so entwickelt. Er hat mir damals viel Vertrauen gegeben, als er mich zum Kapitän gemacht hat."
Heidenheim setzt auf Spieler, die auf eine zweite Chance hoffen
Die ruhige Atmosphäre und das Idyllische wissen auch Neuzugänge zu schätzen. Holger Sanwald: "Wenn Spieler zu uns kommen, dann wissen sie, dass Frank das Sagen hat." Der 1. FC Heidenheim setzt seit Jahren auf Spieler, denen es in anderen Vereinen an Durchsetzungsvermögen gefehlt hat oder die unterschätzt wurden. Auf der Ostalb blühen diese zu Leistungsträgern auf.
Ein Beispiel dafür wäre Robert Andrich. Ausgebildet wurde er in der Jugend von Hertha BSC, spielte sogar für die Junioren-Nationalmannschaften des DFB. Durchsetzen konnte er sich in Berlin aber nicht. Auch bei Dynamo Dresden und Wehen Wiesbaden blieb der Mittelfeldspieler eher erfolglos. Mit dem FCH gelang ihm der Durchbruch. Bereits nach einer Saison wurde Andrich vom Bundesligisten Union Berlin weggekauft.
Auch Tim Kleindienst konnte sich in Freiburg nicht durchsetzen, dafür aber in Heidenheim. Erst auf Leihbasis, seit dem letzten Jahr als fester Spieler des Vereins. Heute gehört er zu den Leistungsträgern des Klubs.
Sanwald erklärt das t-online.de so: "Wir schaffen es, damit Spieler, die sich davor nicht so bei anderen Vereinen durchgesetzt haben, zu gewinnen. Spieler, die auf eine zweite Chance warten, wissen, dass sie es mit Selbstbewusstsein bei uns schaffen können."
"Es wäre eine große Geschichte"
Genau nach diesen Spielern suchen die Scouts und der Klub. "Konstantin Kerschbaumer zum Beispiel ist letztes Jahr mit Ingolstadt abgestiegen und hat jetzt gegen den HSV das entscheidende Tor gemacht. Marc Schnatterer wurde damals beim KSC aussortiert. Stefan Schimmer hat letztes Jahr dritte Liga in Unterhaching gespielt, davor Regionalliga und spielt jetzt bei uns regelmäßig in der 2. Liga", sagt Sanwald weiter.
Es sind Spieler, die Heidenheim nun am Sonntag braucht. Wenn es nach Augsburgs Stürmer Niederlechner geht, ist die Relegation möglich: "Es wird ein schweres Spiel gegen Bielefeld. Aber es hat auch keiner geglaubt, dass sie den HSV schlagen. Es wäre eine große Geschichte."
Der Publikumsliebling des Vereins, Schnatterer, freut sich ebenso auf den besonderen Tag. "Natürlich empfindet man einen gewissen Stolz, es bis hierhin geschafft zu haben", sagt er.
"Wir fahren nach Bielefeld, um das zu schaffen"
Die Strategie, die der Klub sportlich fährt, zeigt sich auch bei Sponsoren und Partnern. Auch für sie wäre eine mögliche Relegation ein Highlight.
Wenn Holger Sanwald über die aktuelle Tabellenplatzierung spricht, hört man auch ein bisschen den Stolz in der Stimme. "Wenn wir es in die Relegation schaffen würden, wäre das das Größte, was wir jemals erreicht haben. Idealerweise schaffen wir es auf den dritten Platz und spielen die Relegation. Es würde bedeuten, dass es die erfolgreichste Saison wäre, die wir je gespielt haben. Wir fahren nach Bielefeld, um das zu schaffen."
Einer, der dann auch vor dem Fernseher sitzt und die Daumen drückt, ist Niederlechner: "Es wäre schon noch einmal schön, mit Augsburg dorthin zurückzukehren." Nach Heidenheim. An den Ort seines Durchbruchs.
- Eigene Recherche