"Das ist kein Spiel mehr" Schumi-Managerin: "Einer hat sich als Michaels Vater ausgegeben"
Von Marc L. Merten und Tanja Zech
Der ARD und Günther Jauch ist ein Coup gelungen. Sabine Kehm, die Managerin und persönliche Beraterin von Michael Schumacher, war bei Jauchs sonntäglicher Talkrunde zu Gast und gab Auskunft über den Zustand der im Koma liegenden Formel-1-Ikone. Und sie bezog Stellung zur Frage, welche Grenzen der Berichterstattung es für Prominente eigentlich noch gibt. Durch den Coup hat die ARD genau das gemacht, was sie in der Sendung kritisierte. Sie hat den Versuch unternommen, in die Privatsphäre Schumachers einzudringen.
Natürlich, Kehm hätte absagen können. Natürlich, Kehm sagte nur, was sie auch wirklich sagen wollte (Lesen Sie hier das Interview, mit dem Jauch und Kehm die Sendung eröffneten). Und doch hatte ihre Anwesenheit nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch bei vielen anderen Journalisten und Medien eine boulevardeske Neugier ausgelöst. Was sie wohl preisgeben würde? Die "BILD", die "Welt" und der Online-Ausgabe des "Focus", brisanter Weise von Kehm namentlich für seinen "News-Ticker" zum Fall Schumacher kritisiert, berichteten live online. Der Sensationslust waren Türen und Tore geöffnet.
Mikrofon im Blumenstrauß
Platz nahm in der Runde neben Jauch und Kehm unter anderem einer der Ureinwohner des Boulevardjournalismus. Alfred Draxler von der "Bild" sah im Falle Schumachers ein "öffentliches Interesse wie in keinem anderen Fall in den letzten Jahrzehnten". Man müsse natürlich "verantwortungsvoll mit den Informationen umgehen. Aber das gelingt uns gut." Wer in diesem Moment Hohn des Publikums oder der anderen Diskutanten erwartet hätte, sah sich getäuscht. Kehm stimmte Draxler zu, kritisierte dafür "andere Boulevard-Medien und auch einige sogenannte seriöse Medien", wie eben den "Focus".
Rolf Hellgardt pflichtete ihr bei. Der TV-Produzent ist besser bekannt als Lebensgefährte der Moderatorin Monica Lierhaus, bei der 2009 bei einer Operation eines Hirn-Aneurysmas Komplikationen aufgetreten waren und die daraufhin vier Monate im künstlichen Koma gehalten worden war. Hellgardt berichtete von eigenen Erfahrungen mit Journalisten, die damals sogar versucht hätten, ein Mikrofon in einem Blumenstrauß versteckt ins Krankenzimmer zu schmuggeln.
Läuft’s? Home-story! Läuft’s nicht? Klage!
Im weiteren Verlauf ging es um die Jagd, um die Jagd nach Informationen, um den Kauf von Informanten und Informationen, um die moralische, ethische und rechtliche Gratwanderung zwischen Persönlichkeitsrechten, Privatsphäre und dem öffentlichen Interesse. Ist Michael Schumacher, wie Kehm fragte, wirklich eine Person des öffentlichen Interesses, wo er doch nur ein guter Sportler sein wollte, im Vergleich zu Schauspielern oder Sängern, die schließlich aktiv das (mediale) Rampenlicht suchen würden?
Und welche Rechte haben Prominente, die sich den Medien geradezu aufdrängen, wenn sie etwas zu verkaufen haben – ein Buch, einen Film, eine CD – und dabei für Home-Stories bereit stehen, ihre Kinder und Familienfotos vorzeigen, im Moment des tiefen Falls aber gleich mit Klagen drohen, wenn ihnen Journalisten und Fotografen zu nahe kommen?
Der Reiz des Fotos von Schumacher
In der Runde saß da zum Einen noch der ehemalige Boulevard-Journalist und heutige Medienanwalt Dominik Höch, der erwartungsgemäß die Privatsphäre verteidigte und klarstellte, dass im Prinzip jedes Bild, das von Paparazzi in privaten Situationen gemacht werde, schon rechtswidrig sei, noch ehe es veröffentlich würde.
Und dann war da noch Deutschlands wohl bekanntester Paparazzo selbst anwesend, Hans Paul, der, wie er sagte, "das ganz große Geld in Hollywood gemacht" hat. Er sprach vom "Spiel" Prominente zu jagen, ja, selbst aus Mülltonnen heraus zu fotografieren. "Die Würde des Menschen" würde er immer respektieren. Aber der Reiz sei schon da, ein Foto von Michael Schumacher zu bekommen, wenn dieser eines Tages "im Krankenhaus ins Café geht".
"Die Jagd auf das erste Foto im Klinikbett war vom ersten Tag eröffnet", sagt Kehm und verwies auf Paparazzi, die als Priester oder Pfleger verkleidet auf die Intensivstation vordringen wollten oder Angehörigen anderer Patienten für Schnappschüsse Geld anboten. Es habe bereits den Fall gegeben, in dem ein Mensch versucht hatte, "sich als Michaels Vater auszugeben", um in sein Krankenzimmer hereinzukommen.
Keinen Markt für ein Schumi-Bild im Krankenbett?
Paul sagte aber auch, dass all die Versuche, Fotos von Schumacher im Krankenbett zu machen, unnütz seien. Es gäbe für ein solches Bild keinen Markt, kein Medium würde sich dafür hergeben. Damit sagte er wohl für die deutsche Presse die Wahrheit (Draxler: "Niemals würden wir das drucken"), den internationalen Markt – zum Beispiel die berüchtigte englische Yellow Press – schien er damit aber wohl zu vergessen.
Hellgardt insistierte hingegen nicht zu vergessen, um welche "massiv existenzielle Dinge" es hier gehe – nicht um Hochzeitsbilder einer Braut, nicht um Oben-ohne-Bilder am Strand, nicht um Bilder Neugeborener. "Das ist kein Spiel mehr", sagten Hellgardt und Kehm unisono. Solche Situationen, in denen es um Leben und Tod gehe, seien für alle Beteiligten, besonders für die engsten Angehörigen, "emotional kaum auszuhalten".
Kehm: "Mediale Begleitung einstellen"
Daher äußerte Kehm auch bereits den Wunsch, "ab dem Moment, an dem Michael in eine Reha-Klinik gehen könnte, eine mediale Begleitung unsererseits einzustellen. Wir haben gesagt: Es gibt in Michaels Fall ein großes, öffentliches Interesse. Es gibt auch ein Recht auf diesen Informationsfluss – bis zu einem bestimmten Punkt. Aber dann wollen wir darum bitten, dass die Öffentlichkeit versteht, wenn er in einer Reha-Klinik ist, wenn die akute Gefahr gebannt ist, dann muss das eine private Sache sein."
Dem Wunsch entsprechen wir gerne. Denn das würde bedeuten, dass Michael Schumacher endgültig auf dem Wege der Besserung wäre.