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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Formel-1-Fahrer sind sauer Es droht der ganz große Knall
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Zur neuen Saison werden in der Formel 1 neue Strafen für das Benutzen von Schimpfwörtern eingeführt. Die Fahrer sind sauer. Es droht der ganz große Krach.
"Wir müssen unterscheiden zwischen unserem Sport – Motorsport – und Rap-Musik": Als Mohammed Ben Sulayem, Chef des internationalen Automobilverbandes, diese Aussage in einem Interview mit dem Portal "autosport.com" im vergangenen September tätigte, war ihm wohl noch nicht ganz bewusst, was für eine Lawine er damit lostreten würde. Ben Sulayem kritisierte die zahlreichen Kraftausdrücke, die die Fahrer in der Formel 1 häufig am Funk und in Interviews verwenden und die er für unangemessen hält.
Nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Interviews war es Weltmeister Max Verstappen, der im Rahmen des Singapur-Rennens sein an dem Wochenende schwaches Auto als "fucked" bezeichnete und dafür von den Rennkommissaren zu Sozialstunden verurteilt wurde, die er bereits im Rahmen einer Fia-Gala in Ruanda abgeleistet hat. Ein bis dahin unbekannter Vorgang in der Formel 1. Es trat einen Kleinkrieg zwischen der Fia und der Fahrergewerkschaft GPDA los. Für die neue Saison kündigte die Fia nun an, die Strafen für das Fluchen weiter zu verschärfen. Es droht den Fahrern sogar eine Suspendierung – und der Formel 1 der ganz große Knall.
Fia und Fahrer liegen schon länger im Clinch
Das neu auferlegte Fluchverbot Ben Sulayems war nur das nächste Kapitel in einer länger währenden Posse zwischen der Fia und den Fahrern. Bereits in vergangenen Jahren hatten Vorschriften zum Tragen von Schmuck und bestimmter Unterwäsche während der Rennen bei den Fahrern, unter anderem auch Rekordweltmeister Lewis Hamilton, Unmut ausgelöst.
Die neuen Fluch-Regeln brachten das Fass dann endgültig zum Überlaufen und veranlassten die Fahrergewerkschaft GPDA unter der Führung von Mercedes-Pilot George Russell zu einem öffentlichen Statement, in dem sie unter anderem auch Ben Sulayem kritisierte und die Bevormundung beklagte. "Unsere Mitglieder sind professionelle Fahrer, die in der Formel 1, der Spitze des internationalen Motorsports, Rennen fahren. Sie sind die Gladiatoren und bieten an jedem Rennwochenende eine große Show für die Fans", schrieb sie.
Beim Fluchen gebe es einen Unterschied zwischen der Beleidigung anderer und "eher beiläufiger Schimpfwörter, z. B. zur Beschreibung von schlechtem Wetter oder eines leblosen Objekts wie einem Formel-1-Auto oder einer Fahrsituation", heißt es in dem Statement. Dann wurden die Fahrer deutlich in Richtung Ben Sulayems: "Wir fordern den Fia-Präsidenten auf, auch seinen eigenen Ton und seine Sprache zu überdenken, wenn er mit unseren Mitgliedsfahrern oder über sie spricht, sei es in einem öffentlichen Forum oder anderweitig."
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Die Fahrer seien zudem alle erwachsen. "Man muss ihnen keine Anweisungen über die Medien bezüglich so trivialer Angelegenheiten wie das Tragen von Schmuck oder Unterhosen geben", heißt es in dem Statement. Zudem mahnte die Gewerkschaft an, in Zukunft mehr Transparenz darüber zu schaffen, wofür die aus Geldstrafen generierten Gelder verwendet würden. Diese Aufforderung sei bereits mehrfach erfolgt, jedoch sei die Fia ihr nie nachgekommen.
Ben Sulayem provozierte weiter
Die deutliche Ansage der Fahrergewerkschaft schien Ben Sulayem jedoch recht wenig zu interessieren. Kurz nach dem Statement folgte nämlich der nächste Tumult. Die Fia entließ mit Renndirektor Niels Wittich und Rennkommissar Tim Mayer zwei ranghohe Mitarbeiter. Eine Begründung dafür gab es nicht.
Gewerkschaftsvorsitzender Russell sagte daraufhin erneut: "Gerade in einem Moment, in dem wir uns etwas mehr Transparenz und Beständigkeit gewünscht haben, werden die nächsten zwei sehr wichtigen Mitarbeiter im Verband entlassen. Wir hätten einfach gern ein bisschen mehr Klarheit darüber, was da los ist, und würden gern wissen, wer als Nächster gefeuert wird." Ben Sulayem hatte darauf verlauten lassen, derartige Vorgänge gingen die Fahrer nichts an und sie sollten sich lieber auf das Fahren konzentrieren.
Zur neuen Saison macht der Fia-Präsident nun also lieber ernst, was sein neues Fluchverbot anbelangt und führt einen neuen Strafenkatalog ein. Für "die allgemeine Verwendung von Sprache (schriftlich oder mündlich), Gesten und/oder Zeichen, die anstößig, beleidigend, grob, unhöflich oder missbräuchlich sind" werden künftig üppige Geldstrafen oder sogar Suspendierungen fällig.
Für den ersten Verstoß wird zumindest im Falle von Formel-1-Fahrern eine Geldstrafe in Höhe von 40.000 Euro fällig. Beim zweiten Vergehen sollen es dann 80.000 Euro und eine einmonatige Sperre sein. Bei einem dritten Verstoß sind es dann ganze 120.000 Euro, eine einmonatige Sperre sowie Abzug von Punkten in der Weltmeisterschaft. Heißt: Die Fia ist bereit, durch Sperren und Punktabzüge sogar aktiv in eine mögliche enge WM-Entscheidung einzugreifen, nur um das Fluchen der Fahrer zu unterbinden.
Fahrer wenig begeistert
Derart drastische Strafen dürften bei den ohnehin schon gereizten Fahrern nicht gut ankommen. Immerhin gab sich Verstappen schon nach seiner Sozialstunden-Strafe trotzig. Damals gab er in der folgenden Pressekonferenz nur noch ganz kurze Antworten, veranstaltete lieber im Nachgang noch eine eigene Presserunde, über die die Fia keine Hoheit hatte. Sogar mit einem vorzeitigen Rücktritt kokettierte er.
Williams-Pilot Carlos Sainz gab immerhin zu, dass sich die Fahrer in einem geregelten Umfeld wie etwa einer Pressekonferenz durchaus besser im Griff haben könnten, im Auto sei das jedoch anders. "Was das Radio angeht, da stimme ich nicht dem zu, was derzeit passiert. Sie sollten nicht zu streng in diesen Situationen sein, da sie den Druck, das Adrenalin und die Art und Weise, wie wir uns fühlen, nicht verstehen können", begründete er seine Opposition zu den Strafen.
Fluchen gehört zum Geschäftsmodell
Zudem verwies er darauf, dass das Fluchen am Funk auch die Leidenschaft der Fahrer herüberbringe. "Es ist auch gut für die Formel 1 diese Momente zu haben, denn du siehst den echten Fahrer. Wir sind schon sehr eingeschränkt in dem, was wir euch sagen können. Wir haben viel Medientraining", so der Spanier. "Uns wird manchmal schon gesagt, was wir nicht sagen können. Aber wenn du die Passion aus den Worten heraushörst, selbst wenn wir fluchen, dann sollten wir das, finde ich, in der Formel 1 behalten."
In der Tat gehören die Funksprüche seit jeher zu den Highlights für Fans. Ob Ausraster der Fahrer, Streitereien zwischen Pilot und Renningenieur oder auch kuriose Missverständnisse – der Boxenfunk lieferte immer zusätzliche Unterhaltung. Einzelne Fahrer, wie etwa der mittlerweile zurückgetretene Ex-Weltmeister Kimi Räikkönen, wurden berühmt für ihre Funksprüche, die längst nicht immer jugendfrei waren.
Ben Sulayem sägt mit seinem neuen Vorgehen also ein Stück weit auch am Geschäftsmodell. Doch die Hauptbedrohung geht sicherlich von den Fahrern aus.
Wie weit will die Fia wirklich gehen?
Die Statements der Gewerkschaft haben bewiesen, dass die Piloten nicht mehr bereit sind, alle Maßnahmen der Fia stillschweigend hinzunehmen. Die Situation bietet also reichlich Zündstoff. Einzelnen rebellischen Fahrern, wie etwa Verstappen, wäre es durchaus zuzutrauen, sich den Mund nicht verbieten zu lassen und keine Rücksicht auf die neuen Regeln zu nehmen.
Damit würde er die Fia auf eine harte Probe stellen: Möchte es sich der Automobilverband wirklich leisten, einen der absoluten Superstars des Sports womöglich sogar für mehrere Rennen zu sperren?
Und noch schlimmer: Die Fahrer könnten sich auch organisieren und kollektiv gegen die neuen Vorschriften verstoßen. Sperrt die Fia dann im Fall der Fälle auch einen Großteil des Fahrerfeldes und macht die Rennen so deutlich unattraktiver? Was würden die Fans dazu sagen? Die zeigten erst jüngst, dass sie nicht gerade auf der Seite der Fia stehen. Bei der groß inszenierten Jubiläumsveranstaltung zum 75. Geburtstag der Formel 1 in der Londoner O2-Arena wurde die reine Erwähnung der Fia durch die Moderatoren vom Publikum vor Ort jedenfalls schon lautstark ausgebuht.
Ben Sulayem geht mit dem Kopf durch die Wand
Die Fia geht mit den neuen Sprachregelungen also ein erhebliches Risiko ein. Sie könnten ihnen um die Ohren fliegen. Warum Ben Sulayem nun so großen Wert auf die Verbannung einiger böser Wörter legt, ist derweil unklar. Immerhin wurden entsprechende Funksprüche in den TV-Übertragungen bislang stets mit einem Piepton zensiert. Besondere sprachliche Ausfälle, wie etwa Verstappens Beleidigung eines Konkurrenten als "Mongo" oder als Yuki Tsunoda einen Kontrahenten als "behindert" beleidigte, wurden auch in der Vergangenheit schon mit Geldstrafen geahndet – ohne großen Protest von Fahrerseite.
Besonders befremdlich wirkt das Vorgehen von Ben Sulayem, weil er künftig auch fahrerseitige Kritik an der Fia ebenso hart bestrafen lässt wie das Fluchen. Insgesamt zeichnen die neuen Regeln Ben Sulayems das Bild eines Mannes, der seine Linie in der Art eines Diktators auf Biegen und Brechen durchsetzen will. Kritik? Verboten. Ob sich die Fahrer das tatsächlich gefallen lassen oder den großen Knall provozieren, bleibt abzuwarten.
- Eigene Recherche
- motorsport.com: "FIA-Präsident Bin Sulayem reagiert auf Kritik: 'Das geht Sie nichts an'"
- instagram.com: Profil grandprixdriversassociation
- motorsport.com: "Fluchen in der Formel 1: Jetzt feuert die Fahrergewerkschaft zurück"
- motorsport-magazin.com: "Sainz gegen Fluch-Strafen der FIA im Auto: 'Passion sollten wir in der F1 behalten'"
- motorsport.com: "'Sind keine Rapper': FIA will Fluchen im TV reduzieren"
- spiegel.de: "Formel-1-Fluchverbot: Max Verstappen kokettiert mit Rücktritt – 'The car is fu**ed'"
- motorsport.com: "Neue FIA-Regeln: Geldstrafen, Sperren und Punktabzug für Fluchen und Co."
- motorsport-total.com: "Neue FIA-Regeln sehen strengere Strafen für Fluchen und Co. vor"
- spiegel.de: "Formel 1: FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem will weniger Flüche am Funk – 'Wir sind keine Rapper'"
- autosport.com: "Exclusive: FIA asks F1 to limit swearing in television coverage" (Englisch)