Vor voller Halle Habeck in Nürnberg: Zwischen Klimaschutz, Weltpolitik und Sticheleien
Der Kanzlerkandidat der Grünen ist in Nürnberg von hunderten Anhängern bejubelt worden. In seiner Rede wird einer, der gar nicht da war, immer wieder zum Thema.
Zehn Minuten später als angekündigt und unter tosendem Applaus betritt Robert Habeck am Sonntagnachmittag das Ofenwerk in Nürnberg. Der Kanzlerkandidat der Grünen ist der erste Spitzenpolitiker, der in diesem Bundestagswahlkampf die Region besucht. Noch bevor der Wirtschaftsminister ankommt, ist die Halle komplett voll.
Wer zu spät dran ist, dem bleibt nichts anderes übrig, als seine Rede über einen Großbildschirm im Hof vor der eigentlichen Location zu verfolgen. Bevor Habeck das Mikrofon überreicht bekommt, gehört die Bühne erst mal der Nürnberger Kreisvorsitzenden Marie Hartz und den beiden Direktkandidaten Rebecca Lenhard und Sascha Müller. Beide werden vom Publikum – allem Anschein nach überwiegend Parteifreunde oder zumindest Grünen-Sympathisanten – mit üppigem Applaus bedacht.
"Irgendein Typ aus Nürnberg" immer wieder Thema
Müller ist es auch, der am Nachmittag die erste Spitze in Richtung des politischen Gegners austeilt. Unter johlendem Gelächter verkündet er "ein Geheimnis aus den Fraktionssitzungen". Die Grünen hätten, seit er im Bundestag sitze, kein einziges Mal über das Gendern debattiert, sagt er. Das stehe im Gegensatz zu den "crazy Sachen, die irgendein Typ aus Nürnberg" die ganze Zeit erzähle.
Auch wenn er den Namen Markus Söder nicht nennt, scheint jedem im Saal klar zu sein, wer gemeint ist. Söder selbst lässt seit Monaten kaum eine Möglichkeit aus, gegen die Grünen auszuteilen. Müller sagt in seiner Rede weiter, "der Typ" solle heute keine Rolle spielen. Ein Unterfangen, das nur bedingt gelingt.
Habeck: "Überwältigender Andrang"
Als Habeck wenig später die Bühne betritt, bedankt er sich zwar erst einmal für den "überwältigenden Andrang" und spricht davon, dass Wahlkämpfe in Bayern für ihn als Norddeutscher "etwas Besonderes" seien. Doch nach der ein oder anderen Anekdote landet auch er wieder bei der Union.
"Ich habe auf dem Weg hierher ein Wahlkampfplakat mit einem Bild von Merz und Söder Arm in Arm gesehen, da habe ich gedacht, das Foto kenne ich doch schon", erzählt er. Bei der ihm bekannten Version des Bildes habe Söder einen Baum statt Merz umarmt. Auf dem Bild sei damals aber nicht zu sehen gewesen, dass Söder in der anderen Hand eine Kettensäge gehalten habe, sagt Habeck. Wohl, um dem bayerischen Ministerpräsidenten mangelnde Ernsthaftigkeit beim Klimaschutz vorzuwerfen.
Die Kettensäge habe Söder auch jetzt – wie beim Laschet-Wahlkampf 2021 – wieder dabei, sagt Habeck. In der Union stritten sie sich, wie "Kesselflicker", ruft er dem Publikum entgegen. Das lacht einmal mehr lautstark über die Frotzeleien. Nächstes Beispiel: Habeck bezeichnet Söders "Wurst-Ess-Videos" als beste Werbung für vegetarische Ernährung.
Österreich, China und Musk
Danach streift Habeck vieles, was die Welt gerade beschäftigt. Er spricht unter anderem über Österreich, wo mit der FPÖ bald eine Rechtsaußenpartei den Kanzler stellen könnte, den Ukrainekrieg, Donald Trump.
Tenor immer wieder: Wer rechtsradikalen Populismus verhindern und so die Demokratie schützen wolle, dürfe den Populismus nicht kopieren. Es brauche eine Gegenbewegung, um die Demokratie zu schützen, sagt er. Über den "autoritären Tech-Milliardär" Musk und China kommt Habeck zur Wirtschaft.
"Schulden in Form von bröckelnden Brücken"
Zukunftstechnik müsse in Europa gemacht werden, man dürfe sich nicht von anderen abhängig machen. Zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland sagt Habeck, er wolle noch mehr dafür tun, damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Dafür brauche es eine Reform der Schuldenbremse. Auch wenn in den unionsgeführten Großen Koalitionen zuvor der Haushalt ausgeglichen gewesen sei, haben diese Schulden aufgenommen, sagt Habeck. Unter anderem "in Form von bröckelnden Brücken und zu spät kommender Bahn".
Erst als Habeck schon eine ganze Zeit auf der Bühne ist, kommt er auf die Klimapolitik – "die größte Aufgabe seiner politischen Generation" – zu sprechen. Es gehe nicht darum, das Klima zu schützen. Dem sei nämlich egal, wie warm es werde, sondern letztlich müsse man den Klimawandel bekämpfen, um Menschenleben zu retten.
Schnell verknüpft Habeck das Klima-Thema dann auch wieder mit Wirtschaft: Die Nachfrage nach grünen Technologien werde weiter wachsen, damit könne auch Deutschland im internationalen Wettbewerb punkten. Zudem wolle er die erneuerbaren Energien weiter ausbauen und Strom so "sauberer und günstiger machen".
Junge Union baut Stand vor Halle auf
Habecks Energiepolitik ist auch vor der Halle ein Thema. Dort haben Wahlkämpfer der Jungen Union (JU) mit Glühbirnen Position bezogen. Felix Schieber von der JU erklärt, dass die Birnen bewusst nicht leuchten. "Wenn die Energiepolitik von Habeck so weitergeht, gehen die Lichter aus", sagt er.
Über eine Sache spricht Habeck gar nicht
Drinnen in der Halle geht es dann noch einmal um klimaneutrale Mobilität auf dem Land. Migration streift Habeck in seiner Rede nur kurz. Das sei ein Thema, über das gesprochen werden müsse. Das Asylrecht dürfe aber nicht unter die Räder kommen. Gar nichts zu hören, war hingegen von Habecks-Forderung, Krankenkassenbeiträge auf Kapitalerträge zu erheben. Ein Thema, das ihm zuletzt viel Kritik eingebracht hatte.
Nach einer Stunde Wahlkampfrede verabschiedet sich Habeck wieder. In die nächsten Wochen starte er "voller Zuversicht", ruft er seinen Zuhörern noch entgegen. Eine Aussage, die das Publikum teilt? Tatsächlich sind die Parteifreunde des Wirtschaftsministers nach seiner Rede voll des Lobes.
Philip Zerweck, ein Grüner aus Nürnberg, spricht etwa von einer "brillanten, kämpferischen Rede". Auch, das Thema Klimaschutz sei ihm nicht zu spät oder zu kurz gekommen. Wer nicht wisse, dass Wirtschaft und Klimaschutz zusammengehöre, sei in den 90ern stehen geblieben.
Lindner und Scholz kommen auch
Kathy Schur, die seit einem halben Jahr bei den Grünen Mitglied ist, spricht von einer "hoffnungsvollen, zuversichtlichen Rede". Nur einen Seitenhieb auf die AfD habe sie vermisst. Barbara Schug, die zusammen mit ihrem Mann extra aus dem Schweinfurter Raum angereist ist, sagt: "Mit der Aussage Klimaschutz ist Menschenschutz hat er mir aus der Seele gesprochen". Wie Habeck für die Demokratie eintrete, sei wohltuend.
Auch Christian Lindner von der FPD und Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD werden in den kommenden Wochen in Franken auftreten. Die Bundestagswahl findet am 23. Februar 2025 statt.
- Reporter vor Ort