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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auf eine Linsensuppe in der Wärmestube Er ist Fürths wohl einziger Obdachloser – und hat einen großen Traum
Obdachlosigkeit scheint es hier nicht zu geben. Wie schafft Fürth das? Auf einen Besuch bei Wolfi, dem wohl einzigen Obdachlosen der Stadt.
Der soziale Ort Wärmestube stellt sich neu auf. Neues Konzept, erweiterte Angebote. Eine Zuflucht für Obdachlose ist dies nicht – denn es gibt nur einen Wohnungslosen in Fürth, der auch draußen schläft: Wolfi.
"Der Stadtpark ist das grüne Herz der Stadt und gilt als Oase zum Flanieren und um die Seele baumeln zu lassen." So steht es auf der Website der Stadt Fürth. Hier fand 1951 die Gartenschau "Grünen und Blühen" statt, der legendäre Hans Schiller hat dieses Gartendenkmal konzipiert. Es gibt den sehenswerten Fontänenhof und den Rosengarten. Alle zwei Jahre findet hier der Sommernachtsball der Comödie Fürth statt, der die High Society Frankens anzieht. Und hier, mittendrin, lebt Wolfi auf einer Parkbank. Sein Hab und Gut hat er in wasserdichten Tüten verpackt. Viel ist es nicht.
In die Wärmestube hat es Wolfi aus dem Stadtpark schon lange nicht mehr geschafft: "Die Beine machen nicht mehr so mit", klagt der 60-Jährige. Eine hartnäckige Magen-Darm-Erkrankung plagt ihn und schränkt den Bewegungskreis erheblich ein. Der gelernte Karosseriebauer führte einst ein anderes Leben, hat außer in seinem Beruf auch im Getränkehandel gearbeitet und diesen oder jenen Job ausgefüllt.
Wolfi träumt von einer Zweizimmerwohnung mit Küche
Vor elf Jahren warf es ihn aus der Bahn, seitdem lebt der gebürtige Nürnberger im Fürther Stadtpark. Sein bisschen Besitz, ein paar Decken, hat er neben sich auf der Parkbank verstaut, hier fristet er ein eintöniges Leben.
Warum hat er keine Bleibe? "Wir haben ihm etwas in der Oststraße angeboten, auch im Espan“ – einem ruhigen nördlichen Stadtteil in der Nähe des Ikea-Kaufhauses. "Doch das wollte er nicht, er will in seinem Viertel bleiben", so Thomas Bergsch.
Bergsch ist Abteilungsleiter im Sozialamt, "Wohnen" heißt sein Gebiet, seit über 20 Jahren managt er diesen Bereich der sozialen Arbeit. Darum weiß er auch, was mit jenen Menschen geschieht, die "keinen Vertrag besitzen": Sie werden, wenn es schnell gehen muss, in die sozialen Wohnungen in der Oststraße in Fürth einquartiert, wo auch die Möglichkeit von Sozialberatung besteht. Dazu gab es einen Pressetermin mit dem Sozialreferenten der Stadt, Benedikt Döhla, seiner Kollegin Micaela Zirngibl und eben Thomas Bergsch. Es ging um die Wärmestunde und das neue Soziale Zentrum Fürth in der Innenstadt.
So versucht Fürth, Obdachlosigkeit zu verhindern
Bislang scheint es gelungen zu sein, echte Obdachlosigkeit in der 130.000-Einwohner-Stadt Fürth zu verhindern. "Wir konnten praktisch jeden in eine Übergangswohnung vermitteln", resümiert Bergsch. Bis auf ihn – Wolfi.
Wolfi werde regelmäßig von einem Mitarbeiter der Awo (Arbeiterwohlfahrt Fürth) betreut, der hat ihn in Krankenversicherung gebracht und fährt ihn manchmal auch zum Arzt. "Vereinbart man solche Termine, ist Wolfi nicht immer zuverlässig", schildert Bergsch emotionslos. Soziale Arbeit – und ihre Grenzen.
Bergsch macht sich Gedanken über Wolfis Leben, in naher Zukunft müsse etwas geschehen, sein Gesundheitszustand und das Leben allein im Park – das gehe nicht mehr lange gut. Wolfi hegt derweil seinen Traum: "Eine kleine Zweizimmerwohnung hier ganz in der Nähe, mit Küche, denn ich bin begeisterter Koch seit Jugendtagen", schwärmt er. Eine solche Wohnung nahe am Fürther Stadtpark, einer Toplage, zu finden, das scheint fürwahr ein Traum bleiben zu müssen.
Die Wärmestube hat eine soziale Lücke geschlossen
Früher ging auch Wolfi regelmäßig in die Wärmestube, Hirschenstraße 37a, Hinterhof. Der soziale Ort Wärmestube stellt sich neu auf. Neues Konzept, erweiterte Angebote. Frühstück, Mittagessen, Ruhe, Wärme, Gespräche, Zeitung, Fernsehen – so lautet das Angebot. Obdachlose gibt es nicht.
Eine von jenen, die sich hier mittags einen Teller warme Linsensuppe schmecken lassen, ist Rita, 42*. Sie hat zwei Berufe, ist gelernte Mediendesignerin und zertifizierte Sicherheitsfachkraft. Als solche hat sie die Produktionsstätten von Siemens und Schäffler bewacht und in Altenheimen gearbeitet. Während der schwierigen Corona-Zeit verlor sie ihre Festanstellung.
Sie gab ihre Wohnung auf, zog in eine WG zu einem guten Freund. Doch dessen Vermieter zog die Erlaubnis einer Untervermietung zurück; so verlor sie diese vermeintlich sichere Unterkunft. Jetzt schläft sie hier und dort und muss beruflich wieder auf die Beine kommen. Trotz der persönlichen Krise ist sie guten Mutes. "Ich bin angstfrei. Was soll auch noch passieren?", sagt sie lächelnd.
Ihr gegenüber am Tisch sitzt Erich*, Anfang 40, gelernter Industriekaufmann. Er lebt schon lange ohne eigene Wohnung, übernachtet in einer Sozialpension der Nachbarstadt Nürnberg in einem Zimmer, das er sich "mit einem starken Raucher" teilt. Er selbst ist Nichtraucher und das Zusammensein deshalb belastet. Familiäre Kontakte hat er nur zu seiner betagten Mutter, "an Weihnachten werde ich sie wohl besuchen", murmelt er. Das Essen in Fürth sei gut, mal griechisch, mal fränkisch, aber immer frisch zubereitet, deshalb macht er sich auf den Weg in die Wärmestube, wenn er einen Bezugsschein übrig hat.
Fürther Wärmestube stellt sich neu auf: Bedarf gestiegen
Das also ist die Fürther Wärmestube: Ein Haus nahe dem Stadtzentrum, im Vorderhaus die Fundgrube, ein sozialer Laden, im Rückgebäude der helle Raum mit freundlichen Holztischen, grauem Schieferboden, eine Ausgabestelle fürs Essen mit Edelstahltheke. "Das Angebot an niederschwelliger soziale Beratung (das heißt ohne Termin, auf Anfrage) soll ausgebaut werden, am warmen Mittagessen (zwei Euro, übrigens für jedermann, ohne 'Bedarfsnachweis') ändert sich nichts", referiert Döhla beim Pressetermin.
Der Sozialarbeiter Wolfgang Sperber hatte das Gebäude seit den späten Neunzigerjahren mit Leben gefüllt und geleitet – und den Menschen hier seit jeher einen warmen Empfang bereitet. Nach 23 Jahren ist Schluss. Sperber war der Mann für alles, jetzt ist er im Ruhestand.
Auch deshalb beginnt nun eine neue Zeit. Das Sozialreferat unter dem Referenten Benedikt Döhla hat sich ein neues Konzept ausgedacht, das breiter angelegt ist. Der Ort soll mehr sein als "nur" Wärmestube und sozialer Treffpunkt, er soll in Zukunft auch flexibel auf sich wandelnde Anforderungen reagieren.
An der Spitze steht bald eine Vollzeitkraft, die das Soziale Zentrum/Wärmestube – so der neue Name – leiten wird. Die sich ums Personal kümmert, die Organisation leitet, die auch ein Gespür für neue Projekte besitzt und diese initiiert, die eng mit einer zweiten Person mit sozialpädagogischem Schwerpunkt (vor allem Beratungsaufgaben, 30-Stunden-Stelle) zusammenarbeitet. Die Stellenausschreibungen werden gerade vorbereitet, im April 2023 könnten die Neuen loslegen. "Das bisherige Angebot halten die Mitarbeiter aufrecht, ergänzt durch Kollegen aus der Verwaltung, die hier Stunden aufstocken", so Döhla.
Die Wärmestube hat in ihren Anfängen um 1999 eine soziale Lücke in der Innenstadt geschlossen, der Bedarf an Hilfeleistungen ist seitdem ständig gewachsen. Heute werden jährlich 700 Frühstücke und 1.900 Mittagessen ausgegeben. 800 Bedürftige erhalten hier Kleidung, Schuhe oder Hausrat aus der Fundgrube. 2.000 Beratungen finden vor Ort oder am Telefon statt. Sie wird von Menschen in Anspruch genommen, die aus ihrer Wohnung geklagt wurden oder anderweitig Unterstützung brauchen. Laut Thomas Bergsch seien darunter auffallend viele Frauen mit psychischen Problemen. Sie nutzten besonders häufig das Angebot der Erstberatung und schätzten den Austausch mit anderen.
*Name auf Bitte der Interviewten von der Redaktion geändert
- Pressekonferenz in der Wärmestube mit Sozialreferent Dr. Benedikt Döhla, Assistentin Dr. Micaela Zirngibl und Abteilungsleiter Thomas Bergsch vor der Fundgrube in Fürth
- Telefoninterview mit Thomas Bergsch
- Gespräche mit Besuchern und Personal der Wärmestube
- Besuch bei "Wolfie" im Stadtpark