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Missbrauch in der Katholischen Kirche: "Das System schützt die Täter mehr als die Opfer"


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Nach Rücktritt von Bischof
Missbrauch in der Kirche: "System schützt Täter mehr als Opfer"


Aktualisiert am 09.11.2022Lesedauer: 4 Min.
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Bischöfe beim Gottesdienst (Symbolbild): Auch in der Diözese Bamberg wurden Missbrauchsfälle bekannt. Vor einer Woche hat der Erzbischof überraschend seinen Rücktritt verkündet. (Quelle: Uwe Zucchi/Archiv/dpa)
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Die Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche läuft schleppend. In Bayern tun sich nach wie vor Abgründe auf. Und wie ist der Rücktritt des Bamberger Bischofs zu werten?

Der Rücktritt des Bamberger Erzbischofs vor einer Woche hat vielerorts Bedauern ausgelöst. Wie wirkt das für die Betroffenen, die in der katholischen Kirche Missbrauch erfahren haben – und dessen Aufarbeitung auch unter dem geschiedenen Ludwig Schick nur zögerlich voranging? Welche Rolle spielte der Erzbischof bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in seiner Kirche in Bamberg?

Richard Kick ärgert das große Schweigen – gleichzeitig überrascht es ihn nicht. "So ist das immer", stellt der Vorsitzende des Betroffenenbeirats in der Erzdiözese München im Gespräch mit t-online resigniert fest. Er meint damit das Wegschauen von Staat und Kirche in Bezug auf die Missbräuche. "Bayern ist ein christliches Land." Da traue sich kein parteilich Verantwortlicher gegenzuhalten. Seitdem ihm als Ministrant in der Kindheit schwerer Missbrauch widerfahren sei, wisse er das. Seitdem höre er, wie laut das Schweigen im Dorf, in der Gesellschaft sein kann. "Die Menschen schauen weg, sobald es um hochsensible Themen geht."

Dies zeigt sich auch an den Reaktionen zum Rücktritt des Erzbischofs der fränkischen Diözese Bamberg, den Ludwig Schick vor rund einer Woche überraschend ankündigte. Nürnbergs Oberbürgermeister etwa äußert sich ausschließlich bedauernd. Marcus König (CSU) erklärte: "Sein Rücktritt verdient größten Respekt, auch wenn er eine große Lücke reißt (…)." Das Landeskomitee der Katholiken würdigte Schick als einen, der die Kirche vorangebracht und sie für die Zukunft aufgestellt habe, heißt es laut dpa. Auch die Bayreuther evangelische Regionalbischöfin zeigt sich bewundernd: "In keiner noch so schwierigen Situation habe ich ihn ohne Zuversicht des Glaubens erlebt. Das ist wohl seine größte Gabe", sagt Dorothea Greiner der dpa.

Wirkt das nicht wie Hohn auf all diejenigen, die Opfer von Missbrauch in dem Bistum wurden? Elf Geschädigte haben sich bislang gemeldet – von einer deutlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen. Die Vorwürfe richten sich vor allem gegen einen langjährigen Pfarrer der oberfränkischen Gemeinde Wallenfels, der 2005 verstorben ist. Schick versprach Aufklärung.

Doch Richard Kick nannte wenige Tage vor dem Rücktritt das Bistum Bamberg als Negativbeispiel, was die Bereitschaft zur Aufklärungsarbeit betrifft. Der Erzbischof habe sich aus der Gelegenheit herausgehalten, präzisiert Kick nun am Telefon, er habe kaum Termine mit den Betroffenen wahrgenommen.

Geschädigter: Die Kirche schützt die Täter mehr als die Opfer

"Unter Schick hat sich viel getan", sagt dagegen Matthias Wünsche, der sich im Betroffenenbeirat im Bistum Bamberg engagiert und aufklären will. Die Handlungsmöglichkeiten innerhalb der katholischen Kirche würden strengen Strukturen unterliegen. Die hingen nicht allein an der Person des Bischofs. Immerhin: Seit Mai 2022 gibt es den Beirat, an den sich "Geschädigte von sexuellem, geistlichem und gewalttätigem Missbrauch im Erzbistum Bamberg" richten können. Wünsche ärgert sich aber, dass die Verantwortlichen Informationen immer nur "scheibchenweise" herausgeben. "Das hat ein Geschmäckle." Und: "Das ist typisch." Das System schütze sich vor allzu lauten Aktionen, erklärt der Kirchenexperte. "Das ist eine allgemeine Krankheit in allen Bistümern: dass die Täter mehr geschützt werden als die Opfer."

Auch in den offiziellen Pressemeldungen und auf dem Twitter-Account Schicks, dem über 6.200 Nutzer folgen: nirgends ein Wort über die Missbräuche im Bistum. Nach zwei Jahrzehnten an der Spitze der Bamberger Kirche wolle der 73-Jährige bevorstehende Weichenstellungen einem Jüngeren überlassen. "Ich habe meine Aufgaben im Erzbistum erfüllt und abgeschlossen."

Könnte man den Rücktritt gar als Eingeständnis interpretieren? "Nein", wertet Matthias Wünsche. Das sehe er nicht. Was er dem Erzbischof aber in den vergangenen Jahren angemerkt habe, sei eine gewisse Amtsmüdigkeit gewesen. Von der Neuigkeit nun hat Wünsche aus dem Radio erfahren. Und was dabei gefühlt? "Ich habe es zur Kenntnis genommen", erklärt der gebürtige Bamberger emotionslos am Telefon – und das, obwohl er Schick seit 22 Jahren kenne. Im Beirat sei der Rücktritt unterschiedlich aufgenommen worden: "Dort gehen die Meinungen auseinander, die Erfahrungen mit Schick sind über Jahre sehr verschieden und entsprechend auch die persönlichen Reaktionen."

So oder so – Wünsche spricht von Schwarzen Löchern, die sich in seiner ehrenamtlichen Arbeit im Betroffenenbeirat auftun. "Es ist scheußlich, widerlich", ringt er um Worte. Als pensionierter Pfarrer kennt der 61-Jährige sowohl einige Opfer als auch Täter persönlich. Seine Geschichte – darüber möchte er lieber nicht sprechen. Dass er über den Sachverhalt an sich so offen sprechen kann, habe er jahrelanger Therapie zu verdanken, erzählt er am Telefon. Dennoch: "Jede einzelne Beiratssitzung ist belastend."

Dann kann es ja mit dem Nachfolger nur besser werden, oder? Wer das wird, steht noch nicht fest. Wünsche hofft auf "keinen konservativen Alleinherrscher". Sondern auf jemanden, "der Erfahrung mit Seelsorge hat" und nicht ganz so alt ist. Er ist Befürworter des synodalen Wegs, also für mehr Transparenz und Mitspracherecht. Danach sieht es bei der Frage um die Nachfolge aktuell nicht aus: Innerhalb der Kirche ist eine Debatte entbrannt, ob an der Auswahl auch ein Laiengremium beteiligt werden soll oder nicht.

Betroffenenbeirat: "Die Kirche schafft das nicht alleine"

Richard Kick aus München derweil hat die Hoffnung auf Besserung in der katholischen Kirche in Bayern verloren. Er befürchtet vielmehr, dass ein Erzkonservativer nachfolgen könnte, der sich gegen jegliche Moderne und Neuerung verschließt. Davon gebe es im traditionellen Bayern viele. Klar, es seien auch "ein paar Gute, Vernünftige" dabei, schiebt er hinterher. Die Erfahrung zeigt aber, dass die wenigsten proaktiv bei der Aufarbeitung helfen. Jüngst wurden sogar Vorwürfe gegen Altpapst Benedikt XVI. laut: Ein mutmaßliches Missbrauchsopfer gibt dem früheren Kardinal eine Mitschuld an Vertuschung – und hat Klage eingereicht.

Auch im Jahr 2022 würden sich noch immer Abgründe auftun. Der sonst so eloquente Kick gerät ins Stocken, während er davon erzählt. Von einer umfassenden Aufarbeitung sei die katholische Kirche – weniger die Bamberger Diözese als die allgemeine – noch immer weit entfernt. "Der Staat muss endlich ran." Die Regierung müsse sich der Sache endlich federführend annehmen, fordert er, und die Fälle strafrechtlich verfolgen. Dies nämlich sei bislang nicht der Fall. "Die Kirche schafft das nicht alleine."

Verwendete Quellen
  • Telefonate mit Herrn Kick
  • Telefonate mit Herrn Wünsche
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