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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Urteil in Köln Missbrauchspriester muss zwölf Jahre in Haft
Urteil im Prozess gegen einen katholischen Priester: Wegen sexuellen Missbrauchs muss ein 70-Jähriger zwölf Jahre in Haft. Er hatte sich über Jahre hinweg an mehreren Mädchen vergangen.
Mit der Verurteilung zu einer zwölfjährigen Haftstrafe endete vor dem Landgericht Köln der Prozess gegen einen 70-jährigen Priester. Er war in der Voreifel, im Gummersbach, Wuppertal und Zülpich tätig. Nachdem die Aussagen der Zeuginnen erdrückend geworden waren, hatte er selbst zugegeben, dass er in all diesen Orten mehrfach Mädchen sexuell missbraucht hat.
"Sie waren nicht die Lichtgestalt, als die Sie wahrgenommen wurden, sondern ein pädophiler Serientäter, der über Jahrzehnte hinweg Missbrauch betrieben hat", so Richter Christoph Kaufmann zu dem 70-jährigen Priester, der am Freitag vor der 2. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichtes zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verurteilt wurde. Er hat 110 Fälle von sexuellem Missbrauch begangen, davon werden 23 als schwer eingeordnet, 15 als Missbrauch einer Jugendlichen. Außerdem wertet die Kammer zwei weitere Fälle als sexuellen Übergriff.
Die Taten habe der Angeklagte, wenn auch mit knappen Worten und erst nach Vernehmung der Opferzeuginnen, selbst gestanden, so Kaufmann. An drei seiner Opfer soll der Angeklagte dem Urteil zufolge Geldbeträge von 5.000, 10.000 und 35.000 Euro zahlen. Auch die Verfahrenskosten trägt er.
Die Namen der missbrauchten Mädchen
Fast drei Stunden lang sprach der Vorsitzende Richter und skizzierte dabei eine Spur des Verbrechens, die an das Drehbuch eines Psychothrillers erinnert. Melanie, Ute, Sylvia, Nicole, Katharina, Elisabeth, Anke, Angelika, Alexandra, Sina, Natalie, Henrike, Sarah, Klara, Lisa, Lilli – hinter jedem dieser Namen verbirgt sich das Schicksal einer Frau, deren Leben von den Taten des Priesters gezeichnet ist. Die Geburtsjahre liegen zwischen 1966 und 2002, die Taten fielen in die Phasen der jeweiligen Kindheit.
Verjährte Taten habe die Kammer bei der Urteilsfindung nicht erschwerend berücksichtigt, so Kaufmann: Zum einen sei das rechtlich gar nicht so einfach, zum anderen habe sich im Laufe des Verfahrens gezeigt, dass schon eine dreistellige Anzahl nicht verjährter Taten vorliege, wodurch eine angemessene Strafe ohnehin möglich gewesen sei.
"Die tatsächliche Zahl, Sie wissen es ja, liegt wahrscheinlich wesentlich höher", so die Worte des Richters, der klarmachte, dass dieser Prozess zwar abgeschlossen sei, Ermittlungen aber weiterliefen: Durch die Aussage von Zeugen steht im Raum, dass mindestens vier weitere Frauen als Mädchen Opfer des Mannes geworden sein könnten.
Tatfolgen für Opfer: langfristig, vielfältig, umfassend
Auf die Folgen, die der Missbrauch für die Opfer hatte, ging Kaufmann ein, indem er jeder der Betroffenen einige Worte widmete und auflistete, in welcher Weise viele von ihnen über Jahrzehnte hinweg, nicht wenige bis heute, an den Taten litten: Versagensängste, Essstörungen, erschüttertes Vertrauen in andere Menschen, Partnerschaftsprobleme, eine gestörte Sexualität, Depressionen, emotionaler Rückzug, die Zerrüttung innerfamiliärer Verhältnisse, berufliche Beeinträchtigungen, Panikattacken, Selbstverletzungen, Albträume.
Schuldgefühle würden auch die Eltern plagen, die ihre Töchter zum Teil ahnungslos dem befreundeten Geistlichen ausgeliefert hätten. Ein Arzt sei weinend zusammengebrochen und habe den Kopf auf den Tisch geschlagen – und da habe er noch nicht einmal gewusst, dass nicht nur eine Freundin seiner Tochter betroffen war, sondern auch beide Töchter selbst, eine sogar über Jahre hinweg in höchstem Maße.
Das Beziehungsgeflecht, das Christoph Kaufmann mit Blick auf die exponierte Stellung des Geistlichen skizziert, macht die erdrückende Ausweglosigkeit für seine Opfer greifbar. "Sie waren ein moderner Geistlicher, der die Kirche für viele attraktiv gemacht hat", Ersatzvater für seine Nichten, deren Vater die Familie verlassen hatte, Nennonkel, teils Patenonkel für Kinder von Freunden, "ein Meister der Manipulation" und "als Kirchenmann aus kindlicher Perspektive ein Repräsentant Gottes".
All das habe es für die Opfer so schwer gemacht zu offenbaren, was der Mann ihnen angetan hatte, wenn sie als Mädchen im Haus des vermeintlich so progressiven Pfarrers übernachteten. Wenn Mädchen versucht hätten, sich zu öffnen, "stießen sie, vielleicht dem Zeitgeist geschuldet, auf eine grundlegende Skepsis." Es habe höchstens mal Warnungen hinter vorgehaltener Hand gegeben.
Kollektives Versagen statt Schutz und Hilfe für Kinder
Es ist ein gesellschaftliches Versagen auf vielen Ebenen, das Kaufmann aufzeigt: Zweimal habe die Leiterin einer Jugendeinrichtung den Kirchenvorstand um Hilfe gebeten, da sie den Geistlichen im Umgang mit Kindern distanzlos fand – erfolglos. "Die Kinder waren alle auf Schulen – da ist es wohl niemandem aufgefallen", resümiert er. Einzig eine Lehrerin habe konstruktiv reagiert, als ein Mädchen sich an sie wandte, und zwei Opferschutzorganisationen zurate gezogen.
Die hätten aber empfohlen, die Vorwürfe fallen zu lassen, da ein Verfahren aussichtslos sei, wenn Aussage gegen Aussage stünde. Eine weitere Institution: das Krankenhaus im Gummersbach, wo der Geistliche zeitweise tätig war. "Passt auf eure Kinder auf", habe man dort nur gemunkelt. "Gerüchte, dass Sie in der Pädiatrie Kinder angefasst haben, sollen durch das Haus gegeistert sein. Warum da nichts nach außen drang? Wir wissen es nicht", grollt Kaufmann.
2010 hatten drei Nichten des Priesters Anschuldigungen geäußert, dann aber auf familiären Druck wieder zurückgezogen. Wenig später hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt, das Bistum verfolgte den Fall auch innerkirchlich nicht weiter.
Bei Vernehmung des früheren Kölner Kirchenrichters sei er "antiquierten Vorstellungen des sexuellen Missbrauches" begegnet, so Kaufmann: Dieser habe sich darauf berufen, dass die Mädchen ja offensichtlich freiwillig zu ihrem Onkel gegangen seien.
"Als ob das etwas bedeuten würde", zürnte Richter Kaufmann, der auch darlegte, dass einige der Opfer dem Priester offenbar durchaus Sympathie, teilweise sogar Liebe entgegenbrachten. Es sei aber narzisstisch vom Angeklagten, deswegen zu glauben, dass die Kinder Interesse an sexuellen Erfahrungen mit ihm gehabt hätten. So hatte es der 70-Jährige in seiner Einlassung dargelegt.
Angeklagter soll goldfarbene Autos gefahren haben
Für die Annahme des Kirchenrichters, dass die Aussicht auf finanzielle Entschädigung auch Begehrlichkeiten wecken könnte, zeigte Kaufmann offene Empörung, als er sich an eines der Opfer erinnerte: "Aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen, schilderte sie uns hier über Stunden das Martyrium, das sie mit dem Angeklagten erlebt hat. Sie sagte, dass es ihr Traum sei, nach Abschluss ihrer Ausbildung einmal eine Fernreise, ihre erste Fernreise zu unternehmen." Als er ihr aber ein Formular habe überreichen wollen, mit dem sie Ansprüche hätte geltend machen können, habe gerade diese junge Frau gesagt: "Ich will kein Geld."
Geld sei für den Angeklagten ein großes Thema. Der habe sich zum Beispiel empört, dass den Opfern für ihre Zeugenaussagen Rechtsbeistände bewilligt wurden, deren Kosten er nun tragen muss, da er zur Zahlung der Verfahrenskosten verurteilt wurde. Auch in seinem ersten Geständnis habe er nur dürre Worte für das Tatgeschehen gehabt, aber auf mehreren Seiten dargelegt, dass er der Familie seines Bruders finanziell unter die Arme gegriffen habe. Der Angeklagte sei goldfarbene Autos gefahren und habe sich zu Hause immer wieder mit der neuesten Elektronik ausgestattet: "Das ist durchaus hedonistisch."
Täter zwang Opfer zur Beichte
In einem Fall soll ein Mädchen, um sich vor weiterem Missbrauch zu schützen, dem Angeklagten vorgelogen haben, dass sie ihre Mutter informiert habe. Die sei nicht einverstanden, dass die Tochter nackt mit dem Priester im Bett schlafe.
Der Priester habe aber die kindliche Lüge durchschaut und das Mädchen schnurstracks in die Kirche gebracht, um ihr dort für ihre Lüge die Beichte abzunehmen. Das spreche für dessen kriminelle Energie: "Sie sind sogar nicht davor zurückgeschreckt, das heilige Sakrament der Beichte zu instrumentalisieren", hielt Kaufmann dem Angeklagten vor und rang sichtbar um Worte, als er fortfuhr: "Die Vorstellung, dass Sie bis kurz vor Ihrer Verhaftung Leuten die Beichte abgenommen haben, ist … einfach verstörend."
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
- Quelle: Besuch der Urteilsverkündung