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Köln: Warum wählt Finkenberg die AfD?


Ortsbesuch in Brennpunkt
So gewinnt die AfD Russlanddeutsche für sich


10.09.2021Lesedauer: 5 Min.
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Plattenbauten in Porz-Finkenberg in Köln: In dem Stadtteil wählen viele Bewohner die AfD.Vergrößern des Bildes
Plattenbauten in Porz-Finkenberg in Köln: In dem Stadtteil wählen viele Bewohner die AfD. (Quelle: C.Hardt / Future Image/imago-images-bilder)

Unter Russlanddeutschen hat die AfD seit Jahren besonders großen Erfolg. Sie umwirbt Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion auch im Wahljahr 2021, sogar mit russischsprachiger Werbung. Warum lohnt sich der Fokus auf diese Wählergruppe für die Partei?

Zu den dominierenden politischen Farben im Kölner Stadtteil Finkenberg gehört blau: Die AfD holte hier bei der Bundestagswahl 2017 fast 17 Prozent. Abgesehen hat es die Partei offenbar auf eine Wählergruppe, die in dem Kölner Problemstadtteil besonders häufig anzutreffen ist: Russlanddeutsche, also deutschstämmige Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion, von denen viele vor 20 bis 30 Jahren nach Deutschland kamen.

Wieso ist die AfD bei den Russlanddeutschen so beliebt? Ein Ortsbesuch.

Das spätsommerliche Wetter und die kölschen Töne der Blaskapelle aus der Nachbarschaft können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Platz der Kulturen kein besonders attraktiver Ort ist. Es ist ein Meer aus grauem Stein und Beton, das sich im Herzen des Kölner Stadtteils Finkenberg auftut, gerahmt von tristen Hochhausburgen.

Im Stadtteil des Bezirks Porz ist der Ausländeranteil hoch, viele Bewohner sind auf Sozialleistungen angewiesen, Menschen aus mehr als 100 Nationen leben hier. Die Wohnverhältnisse in den Hochhäusern gelten als prekär. Die Rede ist von Vermüllung und Vernachlässigung durch die Eigentümer.

"Nicht jeder Russlanddeutsche wählt die AfD"

Werner Marx, Gründer des Bürgervereins Porz-Finkenberg, Ratsmitglied und Vorsitzender der CDU Porz, schätzt, dass rund um den Platz der Kulturen etwa 400 Russlanddeutsche wohnen. Nicht jeder von ihnen wähle die AfD, sagt er, "aber vermutlich ein gewisser Anteil".

Am Ort befindet sich ein Supermarkt mit osteuropäischen Lebensmitteln, in dem laut den Porzer Linken vor Kurzem eine russischsprachige Zeitung mit AfD-Werbung auslag. Darauf war auch ein Foto des AfD-Bundestagskandidaten Eugen Schmidt zu sehen.

Im Text war unter anderem die Rede von "konsequenter und kompromissloser Abschiebung der Migranten, die kriminell sind und auf die Abschiebung warten", außerdem von "guten nachbarschaftlichen Beziehungen mit Russland" und "Politik, die bewahrt und unsere Traditionen und christlichen Werte verteidigt". Das alles auf Russisch. Auf Facebook forderten die Linken den Supermarkt auf, die Blätter nicht mehr auszulegen. Die Rechten würden damit die Menschen am Platz der Kulturen rassistisch gegeneinander aufhetzen.

AfD versuche, Vakuum zu nutzen

Verantwortlich für die Werbung, die zumindest an diesem Vormittag nicht mehr im Supermarkt zu finden ist, war das Netzwerk "Russlanddeutsche für die AfD NRW", das gezielt Russlanddeutsche an die AfD binden soll.

Unter ihnen gebe es ein großes Wählerpotenzial, räumt Eugen Schmidt ein, der vor mehr als 20 Jahren selbst von Russland nach Deutschland kam und 2016 das Netzwerk gründete: "Ich habe gesehen, dass viele Nichtwähler sind", sagt er.

Migrationspolitik, innere Sicherheit und christliche Werte spielten bei der Zielgruppe eine große Rolle: "Russlanddeutsche sind besonders konservativ", sagt er. Das Netzwerk schalte nicht nur russischsprachige Anzeigen, sondern sei auch in sozialen Medien aktiv. Sanae Abdi, die an diesem Morgen Rosen verteilt, weiß, dass die AfD unter anderem über den Nachrichtendienst Telegram kommuniziert. "Das ist sehr intransparent", so die 35-Jährige.

Aus Verbundenheit zu Helmut Kohls aussiedlerfreundlicher Politik hätten viele Russlanddeutsche früher CDU gewählt, berichtet Werner Marx. Während des Kommunalwahlkampfs 2020 hätten ihm viele von ihnen jedoch zu verstehen gegeben, dass sie sich nach dem Linksruck der CDU in der Partei nicht mehr zu Hause fühlten: "Sie können mit der Merkel-CDU nichts anfangen", sagt Marx. Die AfD versuche offensichtlich, dieses Vakuum für sich zu nutzen.

Ob tatsächlich von einer Liaison zwischen Rechtsextremen und Russlanddeutschen die Rede sein kann, hat Sabrina Mayer vom "Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung" (DeZIM) mit mehreren Umfragen ermittelt. Die Politikwissenschaftlerin stellt klar, dass die meisten russlanddeutschen Wähler keineswegs rechtsextrem eingestellt seien, vielmehr das gesamte politische Spektrum abdeckten.

Dennoch werde die AfD von ihnen überproportional häufig gewählt. So hätten bei der Bundestagswahl 2017 laut repräsentativen Nachwahlbefragungen knapp 15 Prozent der russlanddeutschen Wähler der AfD ihre Zweitstimme gegeben, während es in der gesamten Wählerschaft nur zehn Prozent waren: "Gerade für eine Gruppe von Wählerinnen und Wählern mit Migrationshintergrund ist das sehr erstaunlich."

Die AfD sei 2017 eine der wenigen Parteien gewesen, die gezielt diese Gruppe angesprochen habe, sagt die Wissenschaftlerin: "Davor standen die Russlanddeutschen nicht im Fokus der Partei, weil sie in hohem Ausmaß die CDU/CSU gewählt hatten". Seit Beginn der 2000er Jahre sei diese traditionelle Bindung zunehmend gebröckelt. Die AfD habe das große Potenzial dieser politisch heimatlos gewordenen Wählerschaft erkannt, sagt Sabrina Mayer. 800.000 türkeistämmige Menschen dürften in Deutschland bei Bundestagswahlen wählen, bei den Russlanddeutschen seien es über zwei Millionen: "Das lohnt sich von den Zahlen her schon."

Streetworker: Nähe zu Russland und Putin bringt Sympathien

Der ehemalige Finkenberger Streetworker Roman Friedrich, selbst vor 25 Jahren aus Sibirien nach Deutschland gekommen, spricht von "kaltem Kalkül" der AfD: "Die AfD ist auf Stimmenfang und denen ist es absolut egal, um welche Kulturgruppe es geht". Nicht nur bei Russlanddeutschen, sondern auch unter anderen Aussiedlern werde Stimmung gemacht.

Das Wahlverhalten vieler Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion führt er auch auf mangelnde demokratische Bildung zurück. Viele seien in einem System aufgewachsen, "in dem oft die Entscheidungen nur von einer kleinen Gruppe oder nur von einer Person autokratisch getroffen wurden". Von den plakativen Aussagen der AfD fühlten sich viele Russlanddeutsche angesprochen. Auch die Nähe der Partei zu Russland und Präsident Putin bringe Sympathien.

Besonders wichtig sei das Thema innere Sicherheit und Migration. "Viele Russlanddeutsche sind hier nur mit einem Koffer angekommen, sie haben nichts geschenkt bekommen", so der 46-Jährige. Befeuert von skandalträchtiger Berichterstattung entstehe der Eindruck, dass es andere Migranten heute leichter hätten. Sabrina Mayer drückt es so aus: "Die AfD betont stark die ethische Zugehörigkeit der Russlanddeutschen zu Deutschland und macht klar die Grenzziehung, wer die anderen sind und wer in der Zuwanderung beschränkt werden sollte". Die AfD unterstreiche die deutsche Identität der Russlanddeutschen, die von der übrigen Gesellschaft oft in einen Topf mit anderen Zuwanderergruppen geworfen würden.

"Die sind Faschisten"

Zwischen den Hochhäusern ist es schwer, mit den Menschen über die AfD ins Gespräch zu kommen. Wer etwas sagt, gibt sich kritisch gegenüber der AfD. Ein Passant, der aus Kasachstan nach Deutschland kam, sagt: "Die von der AfD sind Faschisten und ich bin stark gegen Faschisten oder Marxisten".

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Vor dem Supermarkt steht ein 34-Jähriger und verteilt eine christliche Zeitung, die übersetzt "Was glaubst du?" heißt. Auch er hält von der AfD nicht viel: "Was ich im Internet lese, gefällt mir nicht", sagt der freundliche Mann, der vor sechs Jahren aus Russland kam. Er vermutet, dass manche seiner Landsleute "andere Werte nicht akzeptieren" könnten. Einige seien möglicherweise auch unzufrieden, weil sie den Eindruck hätten, dass es in Deutschland wirtschaftlich nicht mehr so gut laufe wie in den 1980er und 1990er Jahren.

Weniger Wahlkampf der etablierten Parteien?

Manche glauben, dass in Finkenberg die Stärke der AfD auch mit der Schwäche der übrigen Parteien zusammenhänge. Die Porzer Bezirksbürgermeisterin Sabine Stiller (CDU) widerspricht: "Wir ziehen uns nicht zurück, wir sind präsent". Zuletzt zum Beispiel mit einer mehrsprachigen Impfkampagne. Jeder Mensch sei erreichbar, wenn man ihn vernünftig anspreche, so Stiller.

"Finkenberg ist ein Stadtteil, in dem von anderen Parteien nicht unbedingt Wahlkampf betrieben wird", sagt Tobias Schuller, Sprecher des Linken-Ortsverbands Porz: "Die etablierten Parteien sehen es so: Wo es nichts zu holen gibt, da muss man sich auch nicht anstrengen". Auch Roman Friedrich fordert mehr Präsenz der Kommunalpolitik: "Man hat das Gefühl, man hat Finkenberg einfach auf das Abstellgleis gestellt."

Den Kampf um Finkenberg wollen manche aber nicht aufgeben: Der SPD-Ortsverein druckt nun auch Flugblätter auf Russisch.

Verwendete Quellen
  • Gespräche und Beobachtungen vor Ort
  • Statistiken der Stadt Köln
  • Gespräch mit Eugen Schmidt
  • Gespräch mit Sabrina Mayer
  • Gespräch mit Roman Friedrich
  • Gespräch mit Tobias Schuller
  • Gespräch mit Sanae Abdi
  • Gespräch mit Pascal Pütz
  • Gespräch mit Sabine Stiller
  • Gespräch mit Werner Marx
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