Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Probleme bei Impf-Aktion "Ein Milieu, in dem man viele Pandemie-Leugner findet"
Die Impfaktion in Kölner Brennpunkten sorgte für Aufsehen in ganz Deutschland. Doch im Viertel selber sind noch nicht alle Menschen von der Impfung überzeugt. Das wollen einige Bürger nun ändern
Einen Monat ist es her, seit sich bei der Sonderimpfaktion im Corona-Hotspot Chorweiler lange Schlangen vor dem Impfbus auf dem Liverpooler Platz bildeten. Die Aktion hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt – und vor Ort auch für Ärger, denn aufgrund widersprüchlicher Informationen hatte sich die Meldung verbreitet, dass die Bewohner des gesamten Bezirks bei der Aktion impfberechtigt seien. Tatsächlich waren es aber nur die Bewohner der dichtbesiedelten Hochhauskomplexe des Viertels Chorweiler und von Teilen des angrenzenden Seebergs – Impfwillige aus den umliegenden Stadtteilen wurden abgewiesen.
Während die Sonderimpfaktionen in anderen Brennpunktvierteln Kölns fortgesetzt werden, bemühen sich in den übrigen Vierteln Chorweilers Institutionen und Bürgergruppen abseits des Rampenlichts darum, mehr Dynamik in das Impfgeschehen zu bringen – doch auch ihnen stehen Hürden im Weg.
"Impfaktion war nicht nachhaltig"
So etwa in Heimersdorf. Anders als im benachbarten Chorweiler bestimmen hier Reihen- und Einfamilienhäuser das Straßenbild, die Bevölkerung gilt als stark überaltert. Hier soll auf das Betreiben von drei Bürgervereinen der näheren Umgebung hin eine gemeinsame Impfpraxis für den gesamten Bezirk ihren Dienst aufnehmen. Dieter Höhnen, der Vorsitzende des Bürgervereins Heimersdorf/Seeberg-Süd, macht sich bereits seit Beginn des Jahres bei Politik und Verwaltung für den Aufbau von Test- und Impfeinrichtungen im Kölner Norden stark.
"Die Impfaktion auf dem Liverpooler Platz war sehr willkommen, aber nicht nachhaltig", sagt er. "Auch in anderen Stadtteilen des Bezirks waren die Inzidenzwerte sehr hoch und liegen auch jetzt noch weit über dem Kölner Durchschnitt, so etwa in Roggendorf/Thenhoven".
So hatten Höhnen und seine Mitstreiter vor Ort auch schnell Unterstützung gefunden: Die katholische Kirchengemeinde Papst Johannes Paul XXIII stellte als Räumlichkeit den Saal des Taborzentrums zur Verfügung. Michael Kapp, Facharzt für Innere Medizin, der unweit seine Praxis betreibt, übernimmt die Organisation des ärztlichen Bereichs. Inzwischen haben sich 15 im Bezirk ansässige Hausärzte gefunden, die ihre Impfbemühungen in der gemeinsamen Praxis vereinen wollen. "Wenn wir alle jeweils in der eigenen Praxis impfen, dürfen sich unter den geltenden Hygienebestimmungen maximal sechs Patienten in der Praxis aufhalten, das verlangsamt die Sache sehr. In einer gemeinsamen Einrichtung könnten wir in einer Woche sicherlich 100 Menschen impfen", erklärt Kapp den Vorteil.
"Wir hängen in der Luft"
Doch die Eröffnung der Impfpraxis musste nun bereits zum dritten Mal verschoben werden, denn der nötige Impfstoff fehlt. "Es fehlt an einem Weg für die gemeinsame Impfstoffbestellung", schreibt Kapp in einem offenen Brief an Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker und die Gesundheitsminister von Bund und Land. "Das Kölner Impfzentrum liefert uns nichts und die lokalen Apotheken können nur Einzelpraxen in begrenztem Umfang beliefern. So hängen wir in der Luft."
Das bürgerschaftlich organisierte Projekt scheint durch das Raster der Impfstoffverteilung zu fallen – dabei weiß Kapp zu berichten, "dass ähnliche Projekte in Burscheid und Leichlingen längst nach diesem Modell aktiv sind."
Corona-Leugner und Impfskeptiker durch Formalien abgeschreckt
Noch ein Viertel weiter, in Lindweiler, fördern die Bemühungen zur Erhöhung der Impfquote andere Probleme zutage. Hier sind die Mehrfamilienhäuser zwar nicht so hoch wie in Chorweiler, doch auch dieser Stadtteil gilt als Brennpunkt.
Als soziale Anlaufstelle für Familien und Arbeitslose dient hier der Lindweiler Treff. "Hier gibt es ein Milieu, in dem man viele Pandemie-Leugner und Impfskeptiker findet", weiß Melek Henze zu berichten, die Leiterin der Einrichtung. "Aber die Mehrzahl würde sich eigentlich gerne impfen lassen, um etwa wieder ihre Enkel sehen zu können."
Doch auf dem Weg zum Impftermin würden hier viele durch sprachliche und technische Barrieren abgeschreckt, sagt Sylvia Wacker, Pfarrerin in der evangelischen Kirchengemeinde Köln-Pesch.
"Die Formulare zur Aufklärung und Einverständniserklärung, die man unterschrieben mitbringen muss, setzen eine gewisse Souveränität im Umgang mit langen Texten voraus. Und man findet sie weder auf Russisch oder Arabisch, noch in leichter Sprache". Auch verfügten hier viele Haushalte nicht über das technische Equipment, um die nötigen Unterlagen selbst auszudrucken.
Wacker und Henze hatten sich darum gemeinsam mit weiteren Ehrenamtlichen als "Impflotsen" angeboten, um Impfwillige durch den Prozess der Anmeldung zu leiten – doch an dem angekündigten Termin blieben die Helfer unter sich. "Möglicherweise ist die Hürde, hierher zu kommen, um Hilfe zu suchen, noch zu groß", mutmaßt Wacker über die Gründe. "Oder vielleicht glauben viele angesichts der Meldungen über die Impfstoffknappheit, dass es im Moment aussichtslos ist, es zu versuchen."
Prinzipiell wollen Henze und Wacker das Beratungsangebot aufrechterhalten, aber nicht mehr als einzelne Veranstaltung. "Wir werden Aushänge machen und dann mit den Interessenten einen Termin ausmachen", sagt Henze.
In Heimersdorf plant man derweil den nächsten Anlauf zum Start der Impfpraxis für den 21. Juni. "Im Moment haben wir uns darauf verständigt, dass jeder Arzt individuell Impfstoff bestellt – jeweils 200 Dosen Biontech, mit dem Verweis auf die geplante Verwendung in der gemeinsamen Impfpraxis. Mal sehen, ob man uns das durchgehen lässt", sagt Kapp. Sollte es tatsächlich irgendwann losgehen können, soll jedenfalls eines gesichert sein: "Wir werden niemanden aus dem Bezirk abweisen", stellt Dieter Höhnen klar.
- Gespräche mit Dieter Höhnen, Michael Kapp, Melek Henze und Sylvia Wacker
- Eigene Recherche
- Einblick in den Offenen Brief an die Stadt Köln