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Köln: Kampf ums Belgische Viertel – den einen zu laut, den anderen bald zu leise


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Kritik am Veedel-Plan
Zwischen Party und Wohngebiet – der Kampf ums Belgische Viertel


04.04.2021Lesedauer: 4 Min.
Graffiti an einer Hauswand im Belgischen Viertel: Gegen den Bebauungsplan der Stadt gibt es Widerstand.Vergrößern des Bildes
Graffiti an einer Hauswand im Belgischen Viertel: Gegen den Bebauungsplan der Stadt gibt es Widerstand. (Quelle: Joko/imago-images-bilder)
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Partylärm und hinterlassener Müll sorgen im Belgischen Viertel für Ärger. Die Stadt Köln will mit einem Bebauungsplan Ruhe schaffen – doch Anwohner fürchten, dass es dadurch zu ruhig in ihrem Veedel werden könnte.

Das Belgische Viertel ist ein Hotspots des sozialen Lebens in Köln. Besonders an lauen Sommerabenden füllt sich das Veedel mit jungen Menschen, die sich vor allem am Brüsseler Platz und auf dem "Mäuerchen" am Stadtgarten niederlassen. Erwartungsgemäß geht es dabei nicht immer ruhig zu, bis in die Nachtstunden hinein wird getrunken und gelärmt.

Daraus hat sich schon vor Jahren ein Streit entwickelt, in dessen Fokus die Frage steht, wie man die Lage vor Ort beruhigen könnte. Eine Antwort erhofft sich die Stadt Köln von einem Bebauungsplan, dessen Durchsetzungsverfahren bereits seit 2016 läuft. Der Plan soll rechtsverbindlich festsetzen, dass das Belgische Viertel primär als Wohngebiet zu nutzen ist.

Der Einzug neuer gastronomischer Angebote im Veedel wäre damit unmöglich. Bestehende Kneipen, Gaststätten und Kioske sollen zwar erhalten bleiben, Konzessionen sollen nach Ablauf des Vertrages aber nicht verlängert werden. Somit wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Gastronomie aus dem Viertel verschwunden und dasselbige trockengelegt wäre.

"Es ist ein klassischer Gentrifizierungsschritt"

Die Pläne der Stadt, durch einen Bebauungsplan Ordnung ins Belgische Viertel zu bringen, werden aus vielen Richtungen kritisiert: Gastronomen wehren sich gegen das Kneipensterben auf Raten, aber auch Anwohner und Stimmen aus der Politik beanstanden das Vorhaben der Stadt. Die Sorge: Das Veedel verliere durch einen solchen Bebauungsplan seine Lebhaftigkeit.

Das befürchtet auch Matthias Seling, der seit 21 Jahren im Belgischen Viertel lebt. Der 52-jährige Kabarettist, Autor und Musiker rief eine Petition ins Leben, um gegen die Pläne der Stadt vorzugehen. Binnen weniger Tage wurde die Petition von 8.000 Menschen unterzeichnet, 500 von diesen, so erzählt Seling, stammten selbst aus dem Belgischen Viertel: "Es ist ein klassischer Gentrifizierungsschritt des Nachtlebens: Es wird eine Glasglocke über das Veedel gestülpt, um es komplett ruhig zu machen. Das wollen viele Leute nicht".

"Organischer Prozess"

So sieht der Bebauungsplan unter anderem vor, dass im Viertel zukünftig nur noch Gastronomie zur Nahversorgung gewünscht ist und keine, die Strahlkraft über das Viertel hinaus hat: "Ich befürchte, dass es dann in viereinhalb Jahren ein ganz ruhiges Viertel ist. Niemand ist ein Fan von den Partykarawanen, die am Wochenende hier sind, aber das ist nicht durch einen Bebauungsplan zu lösen", so Seling. Schließlich sei es ein organischer Prozess, wie die Menschen den urbanen Raum besetzen würden.

Dass an den Wochenende viele Menschen an den Brüsseler Platz oder den Stadtgarten kommen, sei laut Seling vielmehr das Resultat einer städtebaulichen Fehlplanung: Köln habe zu wenig attraktive Plätze zu bieten, weshalb sich die Aktivitäten dann auf die wenigen vorhandenen Orte konzentrieren würden: "Außerdem hat sich in den letzten Jahren auch die Ausgehkultur verändert. Das ist der zweite Punkt, der mich am Bebauungsplan stört: Es ist ein sechs Jahre altes Konzept, was die jetzt nach dem Motto 'Hurra, vorwärts in die Vergangenheit' vorantreiben wollen."

Verhaltens-Charta für Partykarawanen

Seine Petition habe Seling gezeigt, dass das Gros der Anwohner des Belgischen Viertels gegen den Bebauungsplan sei. Die Beschwerden wegen Belästigungen, die sich aus dem aktiven Nachtleben ergeben, würden hingegen nur von einer kleinen Gruppe geäußert werden: "Da ist es eine Unverhältnismäßigkeit, das komplette Viertel in Geiselhaft zu nehmen."

Dennoch habe Seling auch Verständnis für diejenigen, die sich von den nächtlichen Umtrünken gestört fühlen. Auch er appelliert an die Feiernden, ihren Müll zu entsorgen und in den späten Abendstunden die Lautstärke zu reduzieren.

Die Lösung für das Problem sei hier aber nicht der Holzhammer, sondern der Dialog: Seling, der auch in der Interessengemeinschaft "Belgisches Viertel" aktiv ist, fordert ein Mitspracherecht der Anwohner und Gewerbetreibenden, für das im Bebauungsplan der Stadt kein Platz reserviert ist: "Ich würde mir wünschen, dass wir eine Verhaltens-Charta für die Partykarawanen durchsetzen könnten, sprich Eigenverantwortlichkeit: take your trash away und verhalte dich so, wie du dich auch in deiner eigenen Wohnung verhalten würdest."

Eigenverantwortung statt Bebauungsplan

Wenn man den Leuten das Gefühl geben könnte, ein Teil des Viertels zu sein und so die Identifikation mit dem Veedel fördere, könne das die Rücksichtnahme der Feiernden erhöhen: "Den Leuten muss klar sein, dass sie den urbanen Raum nicht einfach wie einen Cheeseburger konsumieren und dann wegwerfen können", so Seling.

Eigenverantwortung statt Bebauungsplan, Rücksichtnahme statt Stilllegung. Schließlich, so erklärt der Kabarettist weiter, würde das auch dem Kölner Lebensgefühl gerechter werden: "Man kann nicht von sich sagen, man wäre die nördlichste Stadt Italiens und sich dann einmauern wie ein protestantisches Kaff in Ostwestfalen."

Der Stadt rast die Zeit davon

Am 23. März hatte der Stadtrat eine Entscheidung hinsichtlich des Bebauungsplan treffen wollen. Vertreter der Volt-Partei aber meldeten Beratungsbedarf zum Thema an, der Entschluss wurde verschoben. Dabei rieseln mit Blick auf den Erlass momentan die letzten Sandkörner durch das Stundenglas: Seit 2017 gilt für das Belgische Viertel eine Veränderungssperre, die nun ausläuft. Eine solche Sperre verbietet bauliche Veränderungen im betroffenen Gebiet, darf aber nur für maximal vier Jahre verhängt werden. Somit müsste die Stadt Köln jetzt wieder Bauanträge sowie grundlegende Veränderungen für und im Veedel zulassen.

Die Zeit für die Stadt Köln wird also knapp. Das wird auch aus einer Stellungnahme der Verwaltung deutlich, mit der Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf eine Anfrage der Ratsgruppe GUT reagierte: "Letztlich ist aus Sicht der Verwaltung zu befürchten, dass der vorgelegte Bebauungsplan nicht mehr in dieser ausgearbeiteten Fassung zur Rechtskraft gebracht werden könnte."

Verwendete Quellen
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