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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit um Tüte in Köln eskaliert Angeklagter gesteht Messerstiche auf Domplatz
Nach einer Messerstecherei auf dem Kölner Domplatz im Sommer steht der geständige Täter seit Dienstag wegen versuchten Totschlags vor Gericht.
Der gepflegte junge Mann, der am Dienstag vor der 11. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichtes saß, wirkte alles andere als brutal. Mit ruhiger Stimme und präzise artikulierten Sätzen beantwortete er die Fragen der Vorsitzenden Richterin. Gelegentlich fragte er höflich nach: "Entschuldigung, wie meinen Sie das?", um kurz darauf erneut zu Antworten anzusetzen, die sein Verhalten weder erkennbar beschönigten noch es in Abrede stellten. Angeklagt ist er wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.
Lebensgefährlicher Stich in die Niere
"Ich kann das heute vor mir auch nicht mehr rechtfertigen", bekannte er zu der Tat, für die er sich verantworten muss: In den frühen Morgenstunden des 22. August 2020 hat er vor einem Fast-Food-Lokal in unmittelbarer Nachbarschaft des Doms einen anderen Mann mit einem Messer angegriffen. Ein Stich ging in dessen Gesäß, ein anderer verletzte ihn lebensgefährlich im Nierenbereich. Das Opfer überlebte.
Die Tat gibt der 27-Jährige zu. "Die Anklage ist fast richtig", so Rechtsanwalt Gerd Meister, der zusammen mit Gottfried Reims als Verteidiger auftritt: "Mein Mandant hat noch in der Nacht entschieden, sich zu stellen, ist mit mir nach Köln gefahren und hat sich da mit einem kleinen Köfferchen gestellt." Das "Köfferchen" konnte der Angeklagte brauchen: Seither sitzt er in Köln in Untersuchungshaft – und könnte nicht weiter weg sein von seinem einstigen Ziel: "Ich war auf dem besten Wege, Fußballer zu werden. Mein Trainer hatte Großes mit mir vor, ich sollte ins Ausland. Aber meine Eltern wollten das nicht."
Stattdessen folgten Jahre, die von wechselnden Jobs ohne viel Perspektive geprägt waren. Eine Anstellung im Einzelhandel gab er auf, weil er den neuen Chef nicht mochte. Danach arbeitete er an einer Tankstelle, in einem Wettbüro, zuletzt betrieb er einen Kiosk. "Ich war mit meiner Person, mit meinem eigenen Ich teilweise nicht zufrieden", schilderte er.
Beleidigungen in "Jungssprache"
In acht Verhandlungstagen will die Kammer herausfinden, was genau sich in den Minuten ereignet hat, bevor der Angeklagte in jener Sommernacht sein Messer zog. Unstreitig ist, dass er mit einem Freund und dessen Partnerin vor dem Lokal stand, als drei andere sich näherten, die eine Tüte mit Essen über den Boden kickten. Darüber brach ein Streit unter den jungen Leuten aus, weil – wie der Angeklagte sagte, die Tüte die Freundin seines Bekannten am Bein getroffen habe. "Sie ist direkt mit ihrer Laune von null auf hundert gestiegen, hat sich aufgeregt und gefragt: 'Was machst du da?'"
Zunächst folgte eine verbale Auseinandersetzung. "Die redeten in ihrer Sprache", so der Angeklagte. Welche Sprache das gewesen sei, wollte die Vorsitzende wissen. "Jungssprache", war die Antwort: "Hure, Schlampe, das Übliche." Einige der Worte wolle er im Gerichtssaal nicht wiederholen. Unbeeindruckt erklärte ihm Richterin Sabine Kretzschmar (61), die in ihrer Kammer regelmäßig mit gewalttägigen Auseinandersetzungen zu tun hat: "Ich habe hier schon einiges gehört. Es würde mich wundern, wenn etwas Neues dabei wäre.".
"Ich wollte nur eine Ansage machen"
Wie es dann weiterging, wird im Laufe der Verhandlungen zu klären sein.. Der Angeklagte behauptet: "Sie haben immer wieder angefangen, uns zu beleidigen und zu pöbeln.“ Zunächst soll dann der Freund des Angeklagten diesen vom Geschehen weggezogen haben. Laut Anklage kehrte der 27-Jährige völlig unvermittelt zurück und stach zu. Die Verteidigung hingegen behauptet, vom späteren Opfer und dessen Begleitern seien vorher noch weitere Provokationen gekommen, während die anderen sich bereits abgewendet hatten.
"Mein Mandant hat im Gehen gehört, wie sie ihm etwas nachriefen", so Rechtsanwalt Meister. So gab es auch der Angeklagte wieder und erklärte: "Ich habe das Messer aufgeklappt und bin hingegangen, aber nur, um denen eine Ansage zu machen." Mit Gesten und Abmessungen an der eigenen Hand beschrieb er ein aufklappbares Taschenmesser, "etwas größer als der kleine Finger, etwas kleiner als der Ringfinger." Das habe er öfter einmal bei sich gehabt, weil er es bei der Arbeit im Kiosk zum Beispiel brauchte, um Pakete aufzuschneiden. Erst, nachdem er unerwartet einen Schlag bekommen habe, habe er das Messer gegen einen der Kontrahenten eingesetzt. "Wollten Sie ihn töten?", fragte Kretzschmar. "Auf keinen Fall!", versicherte der Angeklagte: „Wenn ich das vorgehabt hätte, hätte ich ihn ins Herz gestochen."
- Besuch des Gerichtsprozesses