Bizarres Denkmal In diesem Abwasserkanal hängt ein Kronleuchter
Kronleuchter baumeln in Theatern oder Schlössern von der Decke. In Köln hängt einer in der Kanalisation. Er sollte einst einen besonderen Gast erfreuen.
Immer wieder haben sich Schriftsteller unbekannte Welten ausgemalt, die tief in der Erde verborgen liegen. Wenn man in Köln an einer Stelle in die Kanalisation hinabsteigt, scheint eine solche Fantasie Wirklichkeit zu werden: Ein Gewölbe tut sich auf, gemauert wie eine gotische Kapelle. Ein Wappen schmückt die Wand – und von der Decke baumelt ein Kronleuchter. Mit diesem Leuchter hat es etwas Besonderes auf sich. Er wartet auf einen sehr speziellen Gast – Kaiser Wilhelm II.
Der unterirdische Saal ist so beeindruckend, dass er regelmäßig von Touristengruppen besucht wird. Für dieses Jahr ist schon alles ausgebucht. Eine an der Wand angebrachte Tafel aus der damaligen Zeit bezeugt, dass der Saal im Jahr 1890 fertiggestellt wurde. Warum er so aufwendig angelegt wurde, ist ein Rätsel.
Die Ingenieure von der Kölner Stadtentwässerung müssen damals wahnsinnig stolz gewesen sein: Ihre Kanalisation war "State of the Art" – neuester Stand der Technik. Und so verfielen sie im Überschwang der Begeisterung wohl auf die Idee, den Kaiser selbst hierhin einzuladen, auf dass er sich an diesem Beispiel für "Made in Germany" erfreue. Vielleicht wussten sie, dass der Kaiser – der auf politischem Gebiet extrem borniert war – ein großes Faible für Technik und Wissenschaft hatte.
Zwei Kronleuchter auf historischem Plan eingezeichnet
Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches sollte also in die Kölner Unterwelt gelockt werden. "Zu diesem Zweck wurden damals zwei Kronleuchter angebracht, noch richtig schön mit Kerzen", erzählt Stefan Schmitz von den Stadtentwässerungsbetrieben Köln. Auf einem historischen Plan sind die beiden Kronleuchter eingezeichnet. Daneben gibt es noch eine zweite Version der Geschichte, wonach der Kaiser der Stadt umgekehrt die Leuchter geschenkt hat.
Das hält Schmitz allerdings für wenig wahrscheinlich, denn dann hätten sie nachträglich in die Zeichnung eingefügt werden müssen. Er geht davon aus, dass die Leuchter angebracht wurden, um den hohen Gast standesgemäß empfangen zu können. Er sollte sich fühlen wie im Stadtschloss zu Berlin.
Der Mann mit der Pickelhaube scheute den Gang in die Unterwelt
"Was wir genau wissen, ist: Der Kaiser ist nie hier gewesen." Als er Köln am 5. Mai 1891 besuchte, unternahm er zwar eine abendliche Fahrt durch die Stadt, bei der der gerade erst fertiggestellte Dom mit bengalischen Feuern beleuchtet wurde, speiste mit seiner Gemahlin Auguste Viktoria im Festsaal Gürzenich – wo heute die Karnevalsfeiern stattfinden – und ließ sich ausgiebig von seinen rheinischen Untertanen bejubeln. Aber die Kölner Kanalisation ignorierte der sehr auf sein Image bedachte Herrscher mit der Pickelhaube und dem gezwirbelten Schnauzbart.
Stefan Schmitz hat Verständnis dafür: "Jetzt mal unter uns: Wenn ich Kaiser wäre, würde ich auch nicht in so 'nen Kanal gehen. Ich trage ihm das nicht nach." Deutsche Technik hin oder her, direkt unterhalb des Leuchters treiben nun mal die Hinterlassenschaften der Kölner Bürgerinnen und Bürger vorbei, damals wie heute, und das ist nicht gerade ein erhebender Anblick.
Wilhelm betrachtete sich noch als von Gott selbst inthronisiert. Aber natürlich musste auch er täglich eine andere Art von Thron in Anspruch nehmen – davon kann man sich heute noch auf seinem späteren Exilsitz Haus Doorn in den Niederlanden überzeugen: Dort hat sich seine Toilette originalgetreu erhalten. Und die sieht aus, wie jede andere auch, ohne goldene Klobrille.
Idealer Drehort für alles mit Gruselfaktor
Betreten hat "Wilhelm Zwo" den Kronleuchtersaal also nie. Die beiden Original-Leuchter gingen mit der Zeit bis auf die Halterungen verloren, der jetzige ist eine Kopie. Jedes Jahr im Oktober wird er abgehangen und wieder aufgemöbelt für die nächste Besuchersaison.
Die damaligen Ingenieure hätten sich sicher nicht träumen lassen, dass sie etwas geschaffen hatten, was im übernächsten Jahrhundert noch viel Wertschätzung erfahren würde. Die Monarchie ist schon eine Ewigkeit passé, aber den Saal gibt es immer noch. Unter der Erde überstand er sowohl die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs als auch die darauffolgende Abrisswut Kölner Stadtplaner.
Alles hier unten ist noch unverändert. Mitunter kommen Filmteams – der Saal ist ideal für Krimis und alles, was gruselig ist. Die Mauern glänzen von der Feuchtigkeit des Abwasserkanals, der Leuchter taucht die Szenerie in schummriges Licht. Der Boden ist glatt, man muss etwas aufpassen, dass man nicht ausrutscht.
Gute Akustik, aber schlechter Geruch
Jeder Schritt hallt von den Wänden. Die Akustik ist ungeheuer gut: Man kann zwei Leute, die sich in 30 Metern Entfernung miteinander unterhalten, so gut verstehen, als stünden sie fast neben einem. Deshalb finden im denkmalgeschützten Kronleuchtersaal sogar Konzerte für zahlendes Publikum statt. Die Menschen, die gerade oberirdisch vorbeigehen, hören dann Klänge, die sie nicht zuordnen können. Mysteriöse Musik aus der Tiefe.
Der einzige Nachteil für die Konzertbesucher: Es riecht ziemlich streng. Eine kaiserliche Nase wäre damit sicherlich überfordert gewesen.
- Nachrichtenagentur dpa (Christoph Driessen)