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Türkei-Wahl – Wie groß ist der Einfluss der Wähler in Deutschland?


Türkische Wähler in Deutschland
"Von den Ditib-Moscheen zur Urne kutschiert"

Von t-online, olf

Aktualisiert am 15.05.2023Lesedauer: 5 Min.
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Erdoğan gegen Kılıçdaroğlu: Der amtierende türkische Präsident hat vor der Wahl an Zustimmung verloren, (Quelle: reuters)

Die Türkei stimmt über Präsident und Parlament ab. Welchen Einfluss die Ditib auf türkische Wähler in Deutschland hat, erklärt eine Expertin im Interview.

In der Türkei finden am Sonntag die Präsidentschaftswahlen statt. Rund 61 Millionen Menschen sind dazu aufgerufen, über ein neues Parlament und den Präsidenten abzustimmen. Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan muss nach 20 Jahren an der Macht um seine Wiederwahl bangen.

Rund 1,5 Millionen wahlberechtigte Türkeistämmige leben in Deutschland – es ist eine richtungsweisende Wahl. Wird Präsident Erdoğan nach 20 Jahren im Amt wiedergewählt oder wird Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu, Vorsitzender der CHP, der neue Präsident der Türkei? Gibt es ein "weiter wie bisher" oder eine neue Zukunft für die Türkei?

Die AKP schnitt in früheren Wahlen in Deutschland überdurchschnittlich gut ab. Somit haben die Wahlberechtigten in Deutschland einen großen Einfluss auf den Ausgang der Wahl und somit auch die Zukunft des Landes.

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Die Politikwissenschaftlerin Inci Öykü Yener-Roderburg von der Universität Duisburg-Essen hat 160 Wahlberechtigte in Deutschland und 50 in Frankreich befragt. t-online sprach mit ihr über die Ergebnisse ihrer Untersuchung.

t-online: Wie blicken Sie als Expertin auf die Wahlen in der Türkei?

Inci Öykü Yener-Roderburg: Die Wahlen sind für mich besonders spannend, da ich selber türkische Staatsbürgerin bin und zu eben diesen Wahlen forsche. Vorab möchte ich aber betonen, dass ich es als Politikwissenschaftlerin und Anhängerin der Demokratie befürworte, dass Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft aus dem Ausland wie Deutschland an den Wahlen in der Türkei teilnehmen können. So viel dazu.

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die Wahl?

Es geht um nichts weniger als das Schicksal der Türkei. Darum, ob sich das Regime ändern wird und wie die Türkei in Zukunft aussehen wird. So wird diese Wahl meiner Meinung nach auch im Ausland wahrgenommen.

Nehmen Wähler in Deutschland und der Türkei die Wahl unterschiedlich wahr?

Die Menschen sind hier stärker polarisiert als in der Türkei, zumindest ist die Polarisierung hier sichtbarer. Kurden können in Deutschland zum Beispiel offen sagen, dass sie Kurden sind und auch kurdisch sprechen. Aleviten — eine Glaubensrichtung, der viele Menschen in der Türkei angehören — werden hier aufgrund ihrer Religion nicht ausgegrenzt. In der Türkei sind Aleviten nicht einmal als Religion anerkannt. In Deutschland können diese Menschen also so sein, wie sie sind. Das macht sie sichtbarer und damit auch politisch lauter.

Wie nehmen Türkischstämmige in Deutschland die Wahlen in der Türkei wahr?

Zuerst ist es wichtig festzustellen, dass viele derjenigen, die in Deutschland an der Wahl in der Türkei teilnehmen dürfen, als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen und das insbesondere nach NRW. Knapp ein Drittel der aus der Türkei stammenden Menschen in Deutschland leben in NRW, deshalb sind hier auch die meisten Wahllokale zu finden. Von den 17 Wahllokalen sind allein 5 hier.

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Diese Menschen haben bei den vergangenen Wahlen mehrheitlich für die AKP und Erdoğan gestimmt. Woran liegt das?

Die erste große Gruppe der Migranten kam in den 1960er Jahren. Diese Menschen sind konservativ, allerdings nicht, weil sie aus der Türkei stammen. Es liegt vielmehr daran, dass sie als unqualifizierte Arbeiter ins Ausland geschickt wurden. Dieses Phänomen sehen wir auch bei Menschen, die aus anderen Ländern stammen.

Und bis zum heutigen Tag sind diese konservativen Wähler den anderen türkeistämmigen Gruppen, die aufgrund ihrer Politisierung eher die Opposition wählen, zahlenmäßig überlegen. Auch, weil sie schon in der dritten Generation in Deutschland leben. Denn diese Gruppe ist nicht etwa wegen der Gastarbeiter selbst so groß, sondern wegen ihrer Familien. Von den späten 1960er Jahren an kamen ungefähr eine Million Menschen allein durch die Familienzusammenführung aus der Türkei nach Deutschland.

Zusätzlich informieren sich viele der türkeistämmigen Menschen, auch noch in der dritten Generation, über Fernsehkanäle, Zeitungen und ähnliches, die der AKP positiv gegenüber stehen. Dadurch werden sie beeinflusst.

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Welchen Einfluss haben Moscheen?

Der Einfluss der Ditib-Moscheen auf die Wähler in Deutschland ist groß. Seit 2018 finanziert Deutschland die Ditib-Moscheen nicht mehr. Das heißt, diese Moscheen finanzieren sich entweder durch die Spenden ihrer Mitglieder oder eben durch den türkischen Staat. Der Hauptgrund, warum Deutschland aufgehört hat, diese Moscheen finanziell zu unterstützen, war die enge Verbindung zwischen Ditib und AKP. Insbesondere die Imame hatten die AKP in ihren Reden und Predigten immer wieder positiv hervorgehoben oder sogar beworben. Und das hat bis heute nicht aufgehört. Wir wissen, dass Ditib ungefähr 800.000 Menschen in Deutschland erreicht, und sie haben um die 1.000 Moscheen in Deutschland.

Wie wirkt sich das konkret bei diesen Wahlen aus?

Die Ditib-Moscheen mobilisieren zahlreiche Menschen für die Wahlen und kutschieren sie sogar zu den Wahllokalen. Ein Shuttlebus nach dem anderen fährt dort ein und ermöglicht es den Menschen, leicht zu den Wahllokalen zu kommen. Diese Wahlen sind durch die Ditib-Moscheen extrem zentralisiert und organisiert. Die Menschen, die in diese Moscheen gehen, können nicht einfach sagen: "Ich bin raus."

Wieso können sie das nicht sagen?

Diese Menschen sind in diese Kreise geboren und dort sozialisiert worden. Dort sind Familie, enge Freunde, Schulfreunde, im Prinzip alles Wichtige, vereint. Diese Menschen wählen also nicht einfach nur für die AKP, sie wählen für ihre eigenen sozialen Kreise. Das ist auch der Grund, warum das Wahlverhalten der meisten nicht von dem Erdbeben oder der Missachtung der Menschenrechte in der Türkei beeinflusst wird. Das, was deren Wahlverhalten beeinflusst – zumindest sind dies die meisten Antworten in meiner Abfrage der Wähler –, ist, die Angst, ihr einzigartiges Netzwerk in Deutschland zu verlieren.

Warum ist der Einfluss dieses Netzwerkes auch nach vielen Jahren in Deutschland immer noch so groß?

Dieses Netzwerk ist häufig das Einzige, was sie haben. Denn Deutschland hat es nicht geschafft, diese Menschen an der deutschen Gesellschaft teilhaben zu lassen. Hierdurch ist eine große Lücke entstanden, die gerne von den Ditib-Moscheen gefüllt wurde. Damit konnte sie zum größten Instrument der türkischen Regierung im Ausland werden. Und das ist der Grund, warum wir so viele AKP-Wähler in Deutschland haben.

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Was ist Ihre Prognose für die Wahl?

Ich glaube, die Wahlergebnisse in Deutschland und der Türkei werden sich maßgeblich unterscheiden. Während für die Türkei ein Rückgang der AKP-Stimmen erwartet wird, wird sich das Ergebnis der AKP in Deutschland verbessern. Denn es konnten mehr Wähler mobilisiert werden als in den Jahren zuvor.

An den letzten Wahlen haben etwa 46 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland teilgenommen und mehr als die Hälfte dieser Wähler hat die AKP unterstützt. In diesem Jahr wird mit einer Wahlbeteiligung von 55 Prozent gerechnet, und diese Menschen werden höchstwahrscheinlich für die AKP und nicht für die Opposition stimmen.

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Warum ist die Opposition in Deutschland so unbeliebt?

Das liegt daran, dass die Opposition nicht über einen so zentralisierten Mobilisierungsapparat und so viele engagierte Wähler verfügt wie die AKP. Die AKP setzt fast so viele Ressourcen für die Wählermobilisierung in Deutschland ein wie in der Türkei. Die anderen türkischen Parteien, wie die wichtigsten Oppositionsparteien CHP und YSP, verfügen schlicht nicht über die Mittel, ihre Sympathisanten so strukturiert zu erreichen, wie die AKP es kann.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dr. Inci Öykü Yener-Roderburg
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