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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Drogenpolitik am Kölner Neumarkt "Ab dem Nachmittag wird es ungemütlich"
Wirbel um den festen Drogenkonsumraum am Neumarkt: Seit der Eröffnung Ende Mai hat sich die Situation nicht beruhigt. Anlieger werfen der Stadt vor, nicht genug zu tun.
Walter Schuch zeigt zurückhaltend auf die kleine Seitenstraße am Neumarkt. "Jetzt ist da wenig los, aber ab dem Nachmittag wird es hier ungemütlich", erzählt der Geschäftsführer des Sanitätshauses Stortz. Er engagiert sich in der Bürgerinitiative "Zukunft Neumarkt" und beklagt, dass die Drogenszene rund um sein Geschäft immer drastischer werde. "Viele Kundinnen und Kunden trauen sich nicht mehr zu uns", berichtet er empört: "Wir bekommen deshalb immer mehr Anfragen, ob wir unsere Waren auch nach Hause liefern."
Wenige Stunden vor dem Gespräch hatte es mal wieder einen Polizei-Einsatz am Neumarkt gegeben. Zwei Männer sollen sich gestritten haben, der eine wurde dabei am Kopf verletzt, der zückte ein Messer. "Der mehrfachen Aufforderung der zwischenzeitlich eingetroffenen Einsatzkräfte auf der Cäcilienstraße, das Messer abzulegen, kam der mutmaßlich unter Drogeneinfluss stehende Mann nicht nach", heißt es später im Polizeibericht. Daraufhin setzten die Polizisten einen sogenannten Taser ein. Mit dem Elektrogerät wurde der Verdächtige überwältigt.
Köln: Nur wenige Abhängige sind auffällig
So etwas sei Alltag, meint Walter Schuch. "Die überwiegende Zahl der Abhängigen ist zwar optisch auffällig, aber nicht wirklich problematisch. Aber drei bis fünf Prozent der Süchtigen benehmen sich einfach daneben." Beschaffungskriminalität, aggressives Betteln und gewalttätige Angriffe innerhalb der Szene seien Alltag. Hinzu kämen Müll und Schmutz im ganzen Viertel. "Hier muss endlich ein Konzept gemacht werden, das diese Auffälligkeiten der Szene nachhaltig eindämmt."
Am Neumarkt gebe es zu wenig soziale Kontrolle, meint Walter Schuch: "Hier ist jede Nacht Theater." Der Drogenkonsumraum sollte mehr Angebote für Betroffene bieten, der Neumarkt müsse mit Gastronomie und Veranstaltungen belebt werden. Die bisher begrenzten Öffnungszeiten des Konsumraums sollten verlängert werden.
Perspektivisch solle man darüber nachdenken, dort nicht nur die Möglichkeit zum Gebrauch selbst mitgebrachter Drogen zu geben, sondern "reinen Stoff" auszugeben. Schließlich entstünden viele Probleme durch verunreinigte Drogen, die illegal auf der Straße verkauft würden.
Stadt Köln wehrt sich gegen Vorwürfe
Gespräche mit Stadt und Politik würden bisher wenig bringen, meint Schuch: "Das ist eher ein städtisches Beschäftigungsprogramm für engagierte Bürger." Als Unternehmer sei er es gewohnt, an Ergebnissen interessiert zu sein. Dem widerspricht man im Kölner Rathaus deutlich. Man habe schon viel unternommen, schildert eine Sprecherin der Stadt.
In einem dem Konsumraum angegliederten "Kontaktladen" stünden Sozialarbeiter für Beratung und Vermittlung in weiterführende Hilfen zur Verfügung. Weitere Angebote sind Getränke und Essen, Wäsche waschen, Duschen, Spritzentausch und Drogennotfallschulung. Der Mobile Medizinische Dienst (MMD) unterstütze den Drogenkonsumraum mit regelmäßiger ärztlicher Sprechstunde.
Darüber hinaus seien Mitarbeitende des "Aufsuchenden Suchtclearings" (ASC) der Stadt Köln am Neumarkt unterwegs. Sie unterstützen Betroffene dabei, Hilfen bei Ämtern zu finden und begleiten sie bei Bedarf. Seit Mai seien auch zwei neue "Kümmerer" auf dem Neumarkt im Einsatz. Sie seien erste Ansprechpersonen bei Problemen und böten pragmatische Hilfe an. Zusammen mit Personal der KVB würden etwa Kontrollgänge gemacht.
Drogen-Konsumraum soll bald länger öffnen
Der Neumarkt werde häufiger gereinigt, neue Mülleimer und Entsorgungsbehälter für Drogenutensilien seien aufgestellt worden. In der Krebsgasse am Neumarkt sei die dortige Toilettenanlage "ertüchtigt" worden, außerdem werde sie nun bewacht.
Um abends und nachts mehr Licht auf den Platz zu bringen, seien die Beleuchtungsmasten von fünf auf acht Meter erhöht und mit helleren LED-Lampen ausgestattet worden. Um den Neumarkt zu beleben, gebe es "kontinuierlich Kultur- sowie Sportveranstaltungen".
Ab Mitte August solle die Betriebszeit des Konsumraums "sukzessive erweitert" werden, heißt es von der Stadt Köln. Die Suche nach qualifiziertem Personal sei jedoch aufwendig. Mittelfristig solle ein 14-Stunden-Betrieb von montags bis sonntags eingerichtet werden.
Polizei mit "starker Präsenz"
Die Polizei erklärt unterdessen, man begegne der nach wie vor angespannten Situation am Neumarkt "mit starker offener und verdeckter Präsenz". Dazu gehöre jedoch nicht, Drogenabhängige zu verdrängen. Nach Eröffnung des stationären Drogenkonsumraums am 20. Mai 2022 habe sich keine besondere Änderung ergeben.
"Besucherinnen und Besucher der Einrichtungen sind aufgrund ihrer physischen Verfassung teilweise nicht in der Lage, weite Wege zurückzulegen und halten sich daher oftmals im Nahbereich auf", beschreibt der Polizeisprecher. Jedoch: "Die Anwesenheit von Nutzern der örtlichen Drogenhilfeeinrichtungen führt aber auch dazu, dass sich dort drogenabhängige Menschen einfinden, die sich dort mit anderen Drogenkonsumenten treffen oder keine andere Bleibe haben."
Die Umgebung des Neumarkts sei gerade im Sommer sehr belebt, weshalb Dealer in der Menge untertauchen könnten und "mit nun geringerem Entdeckungsrisiko den illegalen Geschäften nachgehen" könnten. Man arbeite daran, negative Entwicklungen, wie aggressives Verhalten sowie "Vermüllung und Verschmutzung durch Drogenutensilien und Exkremente", gemeinsam mit Streetworkern und Stadt zu reduzieren.
Polizei sieht keine Zunahme von Straftaten
Bei den Einsatzzahlen der Polizei in der direkten Umgebung habe sich in jüngster Zeit "kein nennenswerter Anstieg" ergeben. Wenn man die Monate der Vorjahre zugrunde lege, gebe es zwar eine steigende Tendenz, räumt der Polizeisprecher ein: "Ein Vergleich ist aber alleine durch die veränderten Bedingungen in Pandemiezeiten nicht aussagekräftig."
Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Kölner Stadtrat, Ralf Unna (Grüne), setzt sich ebenfalls für eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität am Neumarkt ein. Die offene Drogenszene sei "ein Problem, und es ist über die Jahre immer schlimmer geworden", räumt Unna ein. Letztlich sei es aber nicht möglich gewesen, größere Räume für den Drogenkonsumraum zu finden, in denen auch mehr Hilfsangebote gemacht worden wären.
Immerhin sei es gelungen, das Klientel aus Tiefgaragen, U-Bahnen und Hauseingängen zu holen. Von außerhalb seien seiner Ansicht nach auch keine Süchtigen durch das Angebot "angelockt" worden, wie Kritiker behaupten: "Dafür gibt es keine Belege. Wir werden dieser Frage im Gesundheitsausschuss mit Experten nachgehen, um das Vorurteil endlich auszuräumen."
- Interview vor Ort mit Walter Schuch, Telefon-Interview Ralf Unna
- Presseanfragen an Stadtverwaltung Köln und Polizei Köln