Gab er Infos ans Kokain-Kartell? Neue Details zum verhafteten Staatsanwalt
Ein Staatsanwalt aus Hannover soll Mitglieder eines Kokain-Kartells gegen Geld mit Informationen versorgt haben. Die CDU fordert eine schonungslose Aufklärung.
Ein 39 Jahre alter Staatsanwalt aus Hannover soll ein Kokain-Kartell gegen Geld mit Informationen versorgt haben. Führende Köpfe des Kartells flüchteten nach Dubai. Der Staatsanwalt hingegen sitzt seit Ende Oktober in Niedersachsen in Untersuchungshaft.
Als Spediteur der Kokain-Bande wurde ein Mann aus dem Harz verurteilt. An diesem Montag entscheidet der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Leipzig, ob das Urteil gegen ihn aufgehoben wird, denn sein Rechtsanwalt Pascal Ackermann ist sich sicher: "Mein Mandant hatte kein faires Verfahren."
Der Grund: Der Vertreter der Anklage war in dem Prozess Anfang 2023 ausgerechnet jener Staatsanwalt, der inzwischen unter anderem wegen des Verdachts der Bestechlichkeit in Haft sitzt. Der Spediteur sagte bereits vor dem Prozess im Oktober 2022 in einer Vernehmung durch einen LKA-Beamten aus, eben jener Staatsanwalt habe in der Vergangenheit die Drogenhändler mit Informationen versorgt. Seiner Kenntnis nach gebe es in einem Chat Hinweise auf einen involvierten Staatsanwalt, sagte der Spediteur.
Im schriftlichen Urteil vom 14. März 2023 wird diese Aussage erwähnt. Gegen den sachbearbeitenden Staatsanwalt und Sitzungsvertreter sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, das noch laufe, heißt es in dem Urteil.
Beschuldigter Staatsanwalt der "Cop" aus den Chats?
Sollte der BGH das Urteil gegen den Spediteur der Kokain-Bande aufheben, muss eine andere Kammer des Landgerichts Hannover über den Fall entscheiden. Der damals 37-Jährige hatte wegen bandenmäßigen Drogenhandels eine Gefängnisstrafe von zwölfeinhalb Jahren erhalten.
Rechtsanwalt Ackermann, der Verteidiger des verurteilten Spediteurs, sieht in dem Fall des beschuldigten Staatsanwalts viele Fragen offen. In den entschlüsselten Chat-Protokollen sei im Zusammenhang mit Haftbefehlen von einem "Cop" die Rede. Der Verteidiger hält es für wahrscheinlich, dass mit "Cop" der beschuldigte Staatsanwalt gemeint sein soll. Außerdem wird ein "Coach" erwähnt, dieser sei bisher nicht identifiziert. Gibt es weitere Lecks bei den Behörden?
Die oppositionelle CDU macht Druck auf Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD). "Die Enthüllungen rund um diesen Justizskandal erschüttern die Justiz und das Vertrauen der Menschen in unseren Rechtsstaat", sagt die parlamentarische Geschäftsführerin der CDU-Fraktion, Carina Hermann im Landtag. Zwar könne es immer und überall schwarze Schafe geben, auch der Staatsdienst sei davor nicht gefeit. "Sobald sie aber bekannt sind, muss das klar benannt, konsequent verfolgt und auch vollständig aufgeklärt werden", forderte Hermann. Der Rechtsstaat dürfe nicht zum Spielball der organisierten Kriminalität werden.
CDU kritisiert das Justizministerium
In einer Kleinen Anfrage hat die CDU 146 Fragen an das Justizministerium gestellt. "Das Ministerium hat es über zwei Jahre einfach laufen lassen und sich nicht gekümmert", kritisiert Hermann.
Wahlmann weist die Kritik zurück. Das Verfahren gegen den Staatsanwalt sei im Oktober 2023 zunächst mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. "Kurz zuvor wurde mir der Vorgang erstmals vorgelegt. Weil das Verfahren eingestellt wurde, bestand für mich zunächst kein weiterer Anlass, mich mit dieser Frage näher zu befassen", sagt die Ministerin im dpa-Interview. Erst Ende Oktober dieses Jahres sei ihr mündlich mitgeteilt worden, dass neue Erkenntnisse gegen den Staatsanwalt vorlägen und er verhaftet werden solle.
Inzwischen hat die Ministerin entschieden, dass in derartigen Fällen in Niedersachsen nicht mehr Staatsanwaltschaften gegen Kollegen aus der eigenen Behörde am selben Ort ermitteln. Der Fall ging vor Kurzem an die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg, die wiederum das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Osnabrück übertrug.
Laut Justizministerium wurde die bisherige Ermittlungsführerin aus Hannover für einen Monat nach Osnabrück abgeordnet, um den dortigen Oberstaatsanwalt einzuarbeiten. Dies sei notwendig gewesen, weil in der Woche nach Abgabe des Verfahrens ein Haftprüfungstermin angestanden habe. Dabei musste entschieden werden, ob der verdächtige Staatsanwalt weiterhin in Haft bleibt. Darüber hatten mehrere Medien berichtet.
Verdächtiger war nach Hannover versetzt worden
Ministerin Wahlmann betont, sie habe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft Hannover im konkreten Fall nicht ordnungsgemäß ermittelt habe. "Es ist die absolute Regel, dass das Ministerium nicht in laufende Ermittlungen eingreift. Die Ermittlungsakte zu dem Staatsanwalt kenne ich daher nach wie vor nicht persönlich."
Nach Überzeugung des Justizministeriums handelt es sich bei dem Verdacht gegen den Staatsanwalt um einen Einzelfall. "Von einem 'Justizskandal' zu sprechen, halte ich für falsch", sagt Wahlmann. "Ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Osnabrück die Ermittlungen nun zügig vorantreibt und so bestenfalls schon Anfang 2025 Anklage erhoben werden kann."
Für den inhaftierten Staatsanwalt gilt die Unschuldsvermutung. Unterdessen hat Wahlmann eine weitere Änderung eingeführt, um die niedersächsische Justiz zu schützen. Bei Neueinstellungen sei bisher immer ein Auszug aus dem Bundeszentralregister (BZR-Auszug) angefordert worden, nicht aber bei Versetzungen, erläutert die Ministerin.
Der verdächtige Jurist war vor einigen Jahren aus Berlin nach Hannover versetzt worden. "Ein Bundeszentralregisterauszug wurde zum damaligen Zeitpunkt nach unserem derzeitigen Kenntnisstand nicht eingeholt", sagt Wahlmann. "Diese Praxis haben wir jetzt geändert." Im BZR-Auszug sind alle rechtskräftigen Verurteilungen eingetragen, auch wenn es sich dabei nur um Geldstrafen handelt. Er geht über ein Führungszeugnis hinaus. Zu der Frage, ob der Verdächtige einen Eintrag im BZR hat, sagt die Ministerin im Landtag nichts.
- Nachrichtenagentur dpa