Von Kokain-Bande bestochen? Prozess gegen korrupten Staatsanwalt beginnt nach Ostern

Dutzende Drogenhändler und Rauschgiftkuriere brachte er hinter Gitter. Seit Oktober sitzt ein Staatsanwalt aus Hannover selbst in Untersuchungshaft. Nun kommt er vor Gericht.
Laut Justizministerium bearbeitete er 247 Drogenverfahren – nun ist er selbst angeklagt. Ein 39 Jahre alter Jurist aus Hannover steht ab Mittwoch (23. April) wegen mutmaßlicher Bestechlichkeit und Geheimnisverrats vor Gericht.
Er war bis Februar 2024 als Staatsanwalt in der Betäubungsmittelabteilung tätig. In dieser Funktion soll er gegen Bezahlung einer international agierenden Kokainbande vertrauliche Informationen zugespielt und sie sogar vor einer geplanten Razzia gewarnt haben. Nach Angaben der Ermittler flüchteten daraufhin führende Mitglieder der Bande ins Ausland und sind bis heute nicht gefasst.
Der Prozess findet unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen im Landgericht Hannover statt. Laut Anklage wirft die Staatsanwaltschaft dem Mann insgesamt 14 Fälle von besonders schwerer Bestechlichkeit, Verletzung des Dienstgeheimnisses und Strafvereitelung im Amt vor. Die mutmaßlichen Taten sollen sich zwischen Juni 2020 und März 2021 ereignet haben.
Angeklagter bestreitet Vorwürfe – Boxtrainer mitangeklagt
Konkret werden dem 39-Jährigen 14 Fälle von besonders schwerer Bestechlichkeit sowie Verletzung des Dienstgeheimnisses und Strafvereitelung im Amt vorgeworfen.
Mitangeklagt ist ein 41 Jahre alter Boxtrainer, der in zwölf Fällen als Mittelsmann fungiert und Informationen an die Kokain-Bande weitergegeben haben soll. Tatzeitraum war laut Anklage Juni 2020 und März 2021. Insgesamt soll der Jurist 65.000 Euro für seine Dienste erhalten haben.
Der inhaftierte Staatsanwalt bestreitet alle in der Anklage vorgeworfenen Taten. "Mein Mandant wird sich in der anstehenden Hauptverhandlung vollumfänglich einlassen", sagte der Rechtsanwalt des 39-Jährigen, Timo Rahn, der Deutschen Presse-Agentur. "Aus der Sicht der Verteidigung werden sich die erhobenen Vorwürfe bei der gebotenen objektiven Betrachtung aller vorliegenden Fakten und Beweismittel nicht bestätigen." Es gilt die Unschuldsvermutung.
Laut niedersächsischem Justizministerium gab die Entschlüsslung der Chats von Kriminellen über Drogengeschäfte den Ausschlag für die Verhaftung des mutmaßlich korrupten Beamten. In den Chats ist laut dpa-Informationen von einem "Cop" und einem "Coach" die Rede: Der "Cop" soll der Staatsanwalt sein, der "Coach" der Boxtrainer.
Schon 2021 gab es Hinweise auf "Maulwurf" in Behörden
Im Februar 2021 waren 16 Tonnen Kokain im Hamburger Hafen entdeckt worden – ein Rekordfund. Wenig später organisierte das niedersächsische Landeskriminalamt eine bundesweite Razzia, jedoch war eine Vielzahl der Beschuldigten verschwunden. Ein Hauptverdächtiger setzte sich nach Dubai ab. Schon damals gab es dem Justizministerium in Hannover zufolge Hinweise auf einen "Maulwurf", also Informanten, in den Behörden.
Ende 2022 wurden die Wohnung und die Diensträume des verdächtigen Juristen von der Staatsanwaltschaft Hannover durchsucht, das Verfahren gegen ihn wurde aber im Oktober 2023 vorerst eingestellt und erst im Juni 2024 wieder aufgenommen.
Druck auf Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann
Die oppositionelle CDU bezeichnete den Fall bereits als "Justizskandal" und will wissen, warum ein erstes Verfahren gegen den verdächtigen Staatsanwalt eingestellt wurde. Der Verdacht war auch Thema in der Hauptverhandlung gegen den Spediteur der Kokain-Bande Anfang 2023. Schon im Oktober 2022 hatte dieser inzwischen verurteilte Mann in einer polizeilichen Vernehmung von dem mutmaßlichen Informanten berichtet und auf belastende Chats verwiesen.
Die CDU macht in dem Fall Druck auf Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD). Die Ministerin habe die Sache zwei Jahre laufenlassen und sich nicht gekümmert, sagen Unions-Politiker. Wahlmann weist diesen Vorwurf zurück.
Lange ermittelte die Staatsanwaltschaft Hannover gegen den eigenen Kollegen. Erst Ende 2024 übernahm die Staatsanwaltschaft Osnabrück das Verfahren. Justizministerin Wahlmann veranlasste, dass künftig immer eine andere Staatsanwaltschaft derartige Ermittlungen übernimmt.
Mutmaßlich korrupter Staatsanwalt war versetzt worden
Ein Angehöriger des angeklagten 39-Jährigen erhielt 2021 wegen Drogendelikten eine Haftstrafe. Der Staatsanwalt wurde aber erst im Februar 2024 von der Drogen-Abteilung in die Abteilung Kapitaldelikte versetzt – laut Ministerium auch aus Fürsorgegründen und um den Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden.
Obwohl ab Juni 2024 erneut gegen ihn ermittelt wurde, durfte der Staatsanwalt in dem Verfahrenskomplex "Adios", in dem es um die 16 Tonnen Kokain ging, noch eine Anklage verfassen und im Sommer 2024 als Sitzungsvertreter in dem Prozess auftreten. Am Mittwoch wird der Jurist eine Verhandlung erstmals von der anderen Seite aus erleben, nämlich auf der Anklagebank.
- Nachrichtenagentur dpa
- Dieser Text wurde teilweise mit maschineller Unterstützung erstellt und redaktionell geprüft. Wir freuen uns über Hinweise an t-online@stroeer.de.