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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Partei erstattet Strafanzeige Fake-Plakate gegen Grüne in Großstädten
In mehreren niedersächsischen Städten tauchen plötzlich Wahlplakate der Grünen auf – doch es ist kein Wahlkampf. Die Partei geht auf Distanz und erwägt rechtliche Schritte.
"Ich glaube nicht, dass Volker Wissing der einzige Minister sein möchte, der es nicht geschafft hat, die Klimaschutzlücke zu schließen", prangt auf einem Plakat einer Braunschweiger Bushaltestelle neben einem Foto von Robert Habeck (Grüne). Geht der Wirtschaftsminister jetzt etwa öffentlich per Plakatkampagne auf seinen Koalitionspartner los?
Nein – zumindest nicht in dieser Form. Zwar wählte Bundesklimaschutzminister Habeck auf der Grünen-Klausurtagung des Fraktionsvorstands am 12. Januar ebendiese Worte und machte damit ordentlich Druck auf seinen Kabinettskollegen von der FDP. Die Plakate, die am Montag an einigen Außenwerbekästen in mehreren Städten zu bestaunen waren, stammen allerdings nicht von den Grünen selbst. Das erklärte unter anderem der Kreisverband der Grünen Lüneburg, wo ebenfalls mehrere Fake-Plakate an Bushaltestellen entdeckt wurden. Doch auch der Landesverband geht auf Distanz.
Niedersachsens Grüne erstatten Strafanzeige
Die Fake-Plakate waren auch anderswo aufgetaucht. So etwa nach t-online-Informationen am Klagesmarkt in der Landeshauptstadt Hannover und in Osnabrück. Neben Habeck zieren die hochwertigen Plakate auch Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg. Sie wird zitiert mit dem Satz: "VW steht für Verkehrswende." Der Satz lässt sich nicht im Zusammenhang mit der stellvertretenden Ministerpräsidentin finden. Allerdings sitzt Hamburg für die Landesregierung im Aufsichtsrat des Volkswagenkonzerns.
"Da hat sich jemand viel Mühe gegeben, um den Grünen Niedersachsen Aussagen unterzuschieben, die gar nicht von uns stammen", schreiben die Grünen in Lüneburg auf ihrer Webseite. Zudem seien in Lüneburg auch gefälschte Pressemitteilungen und E-Mails aufgetaucht, so der Landesverband weiter. Auf t-online-Nachfrage sagt ein Sprecher der Grünen Niedersachsen: "Wir haben nichts mit den Plakaten zu tun".
Laut Informationen der Nachrichtenagentur dpa hat die Partei bereits am Dienstag Strafanzeige erstattet.
Täuschend echte Webseite – mit klaren Forderungen
Teilweise sind extra auch Werbekästen des Unternehmens Ströer geöffnet worden, um die Plakate darin zu platzieren. Auf Anfrage der "Landeszeitung", die zuvor über die Plakate in Lüneburg berichteten, sagt Ströer-Sprecher Marc Sausen: "Es gab keine Buchungen der betroffenen Kästen für Plakate der Grünen in Lüneburg." Die Fremdnutzung von Werbeflächen sei ein branchenweites Problem, so Sausen gegenüber der Zeitung.
In vielen Fällen handelt es sich dabei um "Adbusting". das in den vergangenen Monaten bundesweit vermehrt aufgetreten ist. Dabei wird Werbung überklebt, verfremdet oder umgestaltet, um eine gesellschaftliche und politische Botschaft zu senden. Für Schlagzeilen sorgte so auch ein gefälschtes Plakat mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
Ebenfalls auf den gefälschten Grünen-Plakaten: Der Link zu einer Webseite im grünen Corporate Design der Partei, die auch von ihren Inhalten her täuschend echt wirkt.
"Wir sind Fake-Kampagnen vom rechten Rand gewohnt, doch diese hier hat eine ganz andere Qualität", so die Grünen in Lüneburg. Die mutmaßen: Aktivisten wollen die Landesgrünen zu einer bestimmten Politik drängen, ihnen sogar einen Vorstandsbeschluss unterschieben, der nie getroffen wurde.
Gleich auf der Startseite der gefälschten Webseite ist ein vermeintlicher Beschluss vom 30. Januar aufgeführt, der einleitet, dass Niedersachsen im gemeinsamen Kampf gegen die Klimakrise das bundesweite Schlusslicht im Bereich Verkehr sei. Nun wolle Niedersachsen mit einem "Startpaket" Vorreiter werden. Daher hätten Niedersachsens Grüne beschlossen, den Ausbau der Autobahnen A20, A33 und A39 zu beenden. Auch Forderungen nach einer raschen Umsetzung zur Mobilitätswende inklusive angeführten Äußerungen Grüner Spitzenpolitiker sind zu lesen.
Grüne-Plakat-Kampagne: Steckt Jan Böhmermann dahinter?
Auf einer Unterseite wird auch die Plakat-Kampagne selbst erklärt. Allerdings so, als ob es sich tatsächlich um den Startschuss für eine offizielle Parteikampagne handele. Dazu passt auch das Impressum: Anne Kura und Hans-Joachim Janßen werden als Verantwortliche aufgeführt – die Landesvorsitzenden der Partei.
Noch kurioser: Die Webseite wurde laut dem Grünen-Sprecher auf den Namen "Jan Böhmermann" angemeldet. In der Partei glaube man aber nicht, dass der Entertainer tatsächlich dahinter steckt: "Dafür ist die Aktion doch ein paar Nummern zu klein", sagt er. Für eine endgültige Klärung war Böhmermann für t-online am Mittwoch bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen. So bleibt der Urheber vorerst unbekannt.
Doch für die Grünen in Lüneburg steht indes fest: "Es ist weder eine Satire noch eine künstlerische Aktion erkennbar." Und weiter: "Wenn Menschen anfangen, die Außendarstellung demokratischer Parteien zu kapern, um eigene Botschaften zu verbreiten, haben wir alle ein Problem. Das geht so nicht."
Mittlerweile wurden die Plakate durch Ströer entfernt.
Transparenzhinweis: Das Nachrichtenportal t-online gehört zum Unternehmen Ströer.
- landeszeitung.de: "Fake-Kampagne mit falschen Plakaten gegen die Grünen auch in Lüneburg"
- Eigene Recherche
- Telefonat mit der Pressestelle des Grünen Landesverbandes in Niedersachsen
- gruene-lueneburg.de: Statement vom 31. Januar 2023
- grüne-nds.de Website der Fake-Kampagne
- Telefonische Anfrage beim ZDF