Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger Gespaltene Meinungen zu geplanter Bürgergeldreform
Bürgergeldempfänger aus Essen könnten schon bald dazu verpflichtet werden, gemeinnützige Arbeit zu leisten. Doch was halten Vereine und Politiker von der Idee?
Die Stadt Essen plant, eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger einzuführen. Leistungen sollen gekürzt werden, wenn Empfänger nicht in gemeinnützigen Einrichtungen arbeiten. "Hintergrund ist, dass es eine Bürgergeldreform geben soll. Aus Essen kommt ein Konzeptpapier, das einen sogenannten 'Work First-Ansatz' nach niederländischem Vorbild vorsieht", erklärt eine Stadtsprecherin dazu auf t-online-Nachfrage.
Diejenigen, die im Leistungsbezug, aber erwerbsfähig sind, sollen demnach trotzdem etwas leisten – und zwar für das Gemeinwohl. Jeder, der eine Leistung bekommt und drei Stunden am Tag arbeiten kann, soll dazu verpflichtet werden, eine vom Jobcenter zugewiesene gemeinnützige Arbeitsgelegenheit anzunehmen.
Doch was halten diejenigen davon, die direkt davon betroffen sind? Begrüßen gemeinnützige Träger die zusätzliche Hilfe, die ihnen durch die Änderung zuteilwerden würde, oder fürchten sie den zusätzlichen Aufwand und durch die Unfreiwilligkeit entstehende Probleme? t-online hat sich bei Vereinen und Organisationen umgehört und ein gemischtes Stimmungsbild erhalten.
So erklärt das Essener Albert-Schweitzer-Tierheim auf Nachfrage unserer Redaktion, den Vorschlag prinzipiell gut zu finden, aufgrund vorheriger Erfahrungen aber Bedenken zu haben. "Grundsätzlich würden wir so eine Reform begrüßen, allerdings haben wir tatsächlich schlechte Erfahrungen gemacht. Zwar mit Menschen, die Sozialstunden ableisten müssen, das ist aber vom Prinzip das Gleiche", teilt ein Sprecher des gemeinnützigen Vereins mit.
Auch Björn Enno Hermans, Direktor des Caritasverbands für die Stadt Essen e.V., sieht den Vorschlag der Stadt Essen zwiegespalten. "Ich halte die Vorschläge für ein sozialpolitisch komplexes Thema und möchte zu einer differenzierten Betrachtung und Abwägung anregen", betont er. Es dürfe nicht passieren, dass Menschen, die aus gesundheitlichen und vor allem auch aus psychischen Gründen Hilfen erhalten, zu etwas gedrängt bzw. gezwungen werden, was ihnen potenziell schaden könnte. "Der Grundsatz, dass wer staatliche Leistungen in Form von Bürgergeld empfängt, der Gesellschaft auch etwas von seiner Zeit zur Verfügung stellt, ist aus meiner Sicht durchaus vertretbar", erklärt er aber.
Ihm sei bewusst, dass es schwierig ist, Menschen gegen ihren Willen und ohne Eigenmotivation zu Tätigkeiten zu bewegen. "Gerade im sozialen Bereich und der Wohlfahrtspflege kann das hinderlich und schwierig sein", so Hermans. Dennoch sieht er für Erwerbslose durch die Regelung auch eine Chance, positive Erfahrungen zu machen, die eigene Selbstwirksamkeit, eine bessere Tagesstruktur und auch positives Feedback zu erhalten.
Die Linke lehnt den Vorschlag ab
Auch die örtliche Politik ist sich indes uneinig darüber, ob eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger eine gute Idee ist. So bezeichnet Die Linke verpflichtende Gemeinwohlarbeit für Bürgergeldempfänger und eine Senkung des Bürgergeldes als "verheerende gesellschaftspolitische Signale." Ihrer Ansicht nach würde die Arbeitspflicht die Betroffenen stigmatisieren und die soziale Ausgrenzung verstärken, da so alle Bürgergeldempfänger als arbeitsunwillig oder unsolidarisch dargestellt werden würden.
Die Fraktionsvorsitzende Heike Kretschmer fordert daher: "Statt einer Arbeitspflicht für niedrige Tätigkeiten sollten Qualifizierungsmaßnahmen, Weiterbildung und Unterstützung beim Einstieg in nachhaltige Beschäftigung im Vordergrund stehen."
FDP begrüßt den Vorstoß
Anders sieht das die FDP-Fraktion im Rat der Stadt Essen, die eigenen Angaben nach den Vorstoß begrüßt. Hans-Peter Schöneweiß, Fraktionsvorsitzender der Essener FDP, lobt: "Die Idee hinter ‚Work First‘, dass Menschen, die staatliche Unterstützung erhalten, einen klaren und sinnstiftenden Beitrag leisten, entspricht dem Grundsatz der Eigenverantwortung und Solidarität."
Seiner Meinung nach schaffe die Arbeitspflicht zudem Anreize, Menschen zur Teilnahme auf dem Arbeitsmarkt zu motivieren und gebe ihnen eine Möglichkeit, durch sinnvolle Tätigkeiten einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Die FDP-Fraktion betont dabei, dass die Einführung einer solchen Arbeitsverpflichtung unter Berücksichtigung individueller Fähigkeiten und Bedürfnisse gestaltet werden muss.
- wdr.de: "Essen will Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger"
- Eigene Berichterstattung zum Thema auf t-online.de
- Anfrage beim Essener Tierheim am 16. Januar 2025
- Anfrage bei der Caritas am 16. Januar 2025
- Pressemitteilung von Die Linke am 16. Januar 2025 (per E-Mail)
- Pressemitteilung der FDP am 16. Januar 2025 (per E-Mail)