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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gedenkgottesdienst in Solingen "Wir wollten drei Tage feiern – nun stehen wir hier"
In Solingen herrscht nach dem Anschlag mit drei Toten große Betroffenheit. Am Abend fand eine Trauerfeier statt – auf der Bühne, die eigentlich für das Stadtfest gedacht war.
Einen Tag nach der tödlichen Messerattacke auf der 650-Jahr-Feier der Stadt Solingen am Freitagabend ist der Täter weiterhin flüchtig. Am Samstagnachmittag gab die Polizei auf einer Pressekonferenz im benachbarten Wuppertal Details bekannt. Ein terroristischer Hintergrund könne nicht ausgeschlossen werden.
Simone Henn-Pausch, Notfallseelsorgerin der Evangelischen Kirche in Solingen, fasste am Samstagnachmittag ihre Eindrücke für t-online zusammen. Die Menschen seien heute "still, nachdenklich und in sich gekehrt", sagte sie. Sie nehme eine Fassungs- und Ratlosigkeit angesichts der Gewalttaten von Freitag und aus der Vergangenheit wahr, sagt sie. "Manche Menschen sagen: 'Solingen kommt nicht zur Ruhe'". Als nachmittags eine harmlose Alarmanlage eines Autos schrillte, schauten sich die Menschen panisch um, standen von ihren Café-Stühlen in der Innenstadt auf und es wurde ganz still.
"Gut, dass ihr da seid"
Die Stadt hatte nachmittags über ihre Website und ihren Facebook-Kanal für 18.15 Uhr zu einer Trauerfeier auf den Neumarkt geladen – und funktionierte die Bühne, die eigentlich für das Stadtfest gedacht war, kurzerhand zur Freiluft-Kirche um. Nach einem Musikstück eröffnete Ilka Werner, Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises, die Gedenkfeier. "Wir wollten drei Tage lang feiern, stattdessen stehen wir nun hier. Gut, dass ihr da seid", sagte sie vor dem vollbesetzten Platz.
Danach trat Stadtdechant Michael Mohr auf die Bühne, musste aber zugeben: "Es ist nahezu unmöglich, Worte zu finden. Solingen ist eine andere Stadt als es gestern war." Man habe den Menschen eine Möglichkeit geben wollen, zusammenzukommen und noch einmal an prominenter Stelle in der Stadt Blumen abzulegen, mehr könne man gerade nicht tun.
Auch Sylvia Löhrmann, ehemalige Bildungsministerin von NRW, war unter den Gästen der Trauerfeier. Sie lebt in Solingen und war am Freitagabend auf dem Neumarkt, nur wenige Meter vom Tatort entfernt. Sie hoffe, dass Deutschland nun nicht mit dem Finger auf Solingen zeige. "Wenn es hier passieren kann, kann es überall passieren", so die Grünen-Politikerin. Keine demokratische Partei dürfe die Geschehnisse in ihrer Heimatstadt für politische Zwecke instrumentalisieren, mahnte sie.
Nach der Trauerfeier herrschte minutenlang vollkommene Stille auf dem vollbesetzten Platz. Mitarbeiter der evangelischen Kirche verteilten Kerzen. Nur langsam löste sich die Menge auf dem Platz auf, viele lagen sich in den Armen.
- Reporterin vor Ort