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Zum journalistischen Leitbild von t-online.BSW jubelt, Grüne schwitzen So verschieden kann eine Wahlnacht verlaufen
Das Bündnis Sahra Wagenknecht feiert einen beispiellosen Sieg. Bei den Grünen ist die Stimmung hingegen angespannt – es geht um nicht weniger als den Einzug in den Landtag.
Tosender Applaus erfüllt den Raum, als klar wird, dass die Grünen in Thüringen aus dem Landtag ausscheiden. Als bekannt wird, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Sachsen 12 Prozent der Stimmen geholt hat, gibt es gar kein Halten mehr. Über eine Minute dauert es, bis die beiden BSW-Spitzenkandidaten erste Worte an ihre Unterstützer richten können.
Jörg Scheibe, BSW-Vorsitzender und Nummer zwei auf der Landesliste, reckt erst beide Fäuste nach oben, dann sagt er: "Es ist nicht übertrieben, dieses Ergebnis als historisch zu bezeichnen. Wann gab es das schon einmal, dass eine Partei, die vor acht Monaten noch nicht mal gegründet war und nun ein gutes zweistelliges Ergebnis einfährt."
Koalitionsverhandlungen? "Werden nicht der Steigbügelhalter"
Außerdem stellte er hohe Ansprüche für Koalitionsverhandlungen. "Wir werden nicht der Steigbügelhalter für Kretschmer. Mit uns wird es nur etwas geben, wenn sich auch deutlich etwas verändert."
Sabine Zimmermann geht in ihrer Rede nach der Verkündung der Prognose darauf ein, dass all das ohne einen großen Parteiapparat geschafft wurde. "Wir alle hier sind ehrenamtlich unterwegs. Lasst uns heute gemeinsam feiern. Morgen müssen wir dann hart arbeiten, dass wir für die Menschen in Sachsen etwas verändern."
Einer von denen, die ab morgen etwas verändern möchten, ist Matthias Aberle – noch ganz elektrisiert vom Wahlergebnis. Schließlich ist es fast 30 Jahre her, dass er sich das letzte Mal mit den Inhalten einer Partei identifizieren konnte. Damals, als die "Anzugträger" noch nicht den Kurs der Grünen übernommen hätten.
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Deshalb empfand er im ersten Moment auch eine gewisse Genugtuung, die Grünen im Nachbarland aus dem Landtag ausscheiden zu sehen. "Aber ich sehe natürlich auch die Menschen dahinter: Auf lokaler Ebene sind die Grünen nämlich ein anderer, engagierter Schlag als auf Bundesebene", räumt er ein.
Vor allem, wenn es um die Waffenlieferungen an die Ukraine geht, wünscht sich Aberle ein Umsteuern. Bei Themen, bei denen das BSW im Landtag tatsächlich etwas verändern könnte, treibt ihn besonders die Bildungspolitik um. Die Schulen müssten mehr Geld bekommen, außerdem müsste es anders verteilt werden, fordert er.
Völliges Kontrastprogramm bei den Grünen
Bei der Wahlbeobachtung der Grünen ist die Stimmung hingegen schon gedämpft, als noch gar nicht klar ist, dass die Partei an der Fünfprozenthürde schrammt.
Für Grünen-Mitglied Anne Zimmermann aus Dresden geht es an diesem Abend ohnehin weniger um das Abschneiden der eigenen Partei als darum, wie die Demokratie letzten Endes dasteht. "Wenn wir weiter eine solche starke Rechte haben, müssen wir uns wirklich Gedanken machen, ob sich SPD, Linke und Grünen künftig nicht vielleicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen."
Ein Lichtblick für die versammelten Grünen war, als klar wurde, dass das zumindest in der Dresdner Neustadt noch nicht nötig ist. Thomas Löser konnte sein Direktmandat mit 36,4 Prozent suverän gegen Barbara Oehlke (CDU) verteidigen.
Löser zeigt sich erleichtert: "Es war ganz vielen Leuten wirklich wichtig, dass dieses Viertel nicht schwarz oder blau wird. Viele queere, alternative Menschen fühlen sich selbst in der Neustadt nicht mehr sicher: Deshalb war es ein enorm wichtiges Zeichen, zu zeigen, dass die Pforte der Neustadt grün bleibt." Zusammen mit dem Direktmandat von Claudia Maicher in Leipzig ziehen die Grünen in den Landtag ein – ganz ohne auf fünf Prozent hoffen zu müssen.
- Reporter vor Ort
- Telefonat mit Thomas Löser (Grüne)