Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Impfpflicht im Gesundheitswesen "Ich will mich nicht erpressen lassen"
Am 15. März tritt in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen die Corona-Impfpflicht für Beschäftigte in Kraft. Grund genug, dass sich bisher Ungeimpfte doch noch für eine Immunisierung entscheiden? Drei Betroffene erzählen, welche Auswirkungen der Beschluss auf ihr Leben hat.
Isabell T. ist Gesundheits- und Krankenpflegerin in einem niedersächsischen Klinikum. Ob die 38-Jährige ihren Job auf einer neurologischen Station weiterhin ausüben darf, ist aktuell ungewiss, denn sie gehört zu den Mitarbeitenden, die sich trotz der bevorstehenden Teil-Impfpflicht nicht gegen das Coronavirus impfen lassen wollen.
Einrichtungsbezogene Impfpflicht: Beschäftigte in den Einrichtungen des Gesundheits- und Pflegebereichs müssen ab dem 15. März nachweisen, dass sie gegen Covid-19 geimpft sind. Von der Regelung sind neben Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen auch Beschäftigte von Tageskliniken, Rettungsdiensten, Arztpraxen und sozialpädagogische Zentren betroffen. Auf die Umsetzung haben sich Bund und Länder Mitte Februar geeinigt. Die Teil-Impfpflicht soll dem Schutz "besonders vulnerabler Gruppen" dienen, ist zugleich aber umstritten. Wie sie umgesetzt wird, dafür ist jedes Bundesland selbst verantwortlich. Im schlimmsten Fall droht ein Beschäftigungsverbot.
"Ich will mich nicht erpressen lassen"
Bei aller Liebe zu ihrem Beruf ist die neue Regelung für T. kein Grund, ihre Meinung zu ändern. "Ich will mich nicht erpressen lassen", sagt sie. "Wenn ich mich impfen lasse, will ich das freiwillig tun, weil ich dem Impfstoff vertraue und nicht, weil ich sonst meinen Job verliere oder so dargestellt werde, als sei ich ohne Impfung ein schlechter Mensch."
Von Anfang an sei sie unsicher gewesen, ob der Impfstoff nach so kurzer Zeit richtig erprobt sei. Diese Skepsis habe sich in den vergangenen Monaten verstärkt. "Es wurde immer wieder zurückgerudert und der Kurs gewechselt. Das hat bei mir Misstrauen erzeugt", sagt sie. "Dazu kam, dass ich direkt mit einigen Impfgeschädigten zu tun hatte, die bei mir auf der Station lagen."
Sie habe sich immer wieder Vorwürfe anhören müssen – von Kollegen, aus ihrem Umfeld, auch die öffentliche Diskussion empfinde sie zum Teil als stigmatisierend. "Man wird schnell als Schwurbler abgestempelt. Ich würde in einem Beruf arbeiten, der forschungsbasiert sei und wenn man der Forschung nicht vertraue, dann wäre man dort falsch, hieß es. Außerdem sei ich egoistisch und unsolidarisch. Ich bin schockiert, wie Menschen inzwischen miteinander umgehen. Wenn ich ein egoistischer Mensch wäre, würde ich nicht in der Pflege arbeiten", so die 38-Jährige.
Sie sei keine grundsätzliche Impfgegnerin, verfüge über alle Standardimpfungen. "Ich will niemandem die Corona-Impfung ausreden, aber jeder sollte das selbst entscheiden dürfen."
Ungeimpfte müssen allein Pause machen
Die Stimmung auf ihrer eigenen Station sei zunehmend bedrückend geworden, als ungeimpfte Pflegekraft habe sie sich ausgegrenzt gefühlt. "Wir durften beispielsweise nur noch allein Pause machen und sollten eine farbige Karte tragen", sagt sie.
Weil die Situation für T. zur Belastung wurde, hat sie Anfang Februar ihre restlichen sechs Monate Elternzeit genommen. Sie will Zeit gewinnen und beobachten, wie es ihren ungeimpften Kollegen ergeht. Sollte ihr tatsächlich ein Beschäftigungsverbot drohen, will sie der Branche den Rücken kehren und als Fotografin arbeiten. Dieses Standbein baut sie nebenberuflich aus, um nach dem Ende der Elternzeit nicht ohne Job dazustehen.
Ergotherapeuting: Angst vor Kündigung
Eine berufliche Alternative hat Sina Gerstmann* für sich nicht gesehen. Die 45-Jährige arbeitet als Ergotherapeutin in der Nähe von Hamburg. Sie habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, sich impfen zu lassen, die Gesetzesänderung sei dann jedoch der ausschlaggebende Punkt gewesen. "Ich habe nichts anderes gelernt und möchte in meinem Alter nicht eine neue Ausbildung beginnen oder mich bis zur Rente mit Aushilfsjobs über Wasser halten", sagt sie.
Ihre kritische Einstellung gegenüber der Impfpflicht hat Gerstmann dennoch behalten. "So etwas sollte jeder selbst abwägen dürfen", sagt sie. "Ich habe zwar die meisten Standardimpfungen und habe meine Kinder impfen lassen, schaue aber immer, welche naturheilpraktischen Alternativen es noch gibt", sagt sie. Gerade zu Beginn der Pandemie seien bei ihr die Angst vor den möglichen Nebenwirkungen und Spätfolgen der Corona-Impfung stärker gewesen als die Angst vor der Krankheit selbst.
Ihre erste Impfung habe sie Ende Januar bekommen, Anfang März ist die zweite fällig. Gerstmann suchte sich dafür einen Hausarzt, weil sie hoffte, er könne besser auf ihre Bedenken eingehen. Das Gegenteil war der Fall: "Das war Massenabfertigung. Keiner hat gefragt, wie es mir geht oder mich aufgeklärt. Ich war froh, dass ich mich vorab selbst schon informiert habe", sagt die 45-Jährige.
Ungeimpfte Kollegin fühlt sich nach Impfung verraten
Das Gefühl nach der Spritze sei jedoch in Ordnung gewesen. Bis auf einen leichten Schmerz an der Einstichstelle habe sie keine Beschwerden gehabt. Auch die Gedanken an mögliche Spätfolgen seien nicht so präsent gewesen wie erwartet: "Ich gehe entspannter damit um, als ich gedacht hätte."
Von den etwa 20 Mitarbeitenden in Gerstmanns Praxis seien vier Mitarbeiter ungeimpft. Die Ergotherapeutin ist nach eigenen Angaben die einzige, die sich aufgrund der Impfpflicht umentschieden hat. Das kam nicht bei allen gut an: "Eine andere Kollegin hat sich während der Zeit zu einer strikten Impfgegnerin entwickelt und war richtig böse auf mich. Sie hat so getan, als hätte ich sie verraten. Das kann ich wiederum auch nicht nachvollziehen und ist für mich genauso der falsche Weg", sagt Gerstmann.
Studie sieht Versorgungsprobleme durch Teil-Impfpflicht
Wie viele Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich bundesweit ungeimpft sind, lässt sich nur schwer ermitteln. Wissenschaftler der Alice Salomon Hochschule (ASH) Berlin befragten im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zuletzt rund 1.800 Einrichtungen und Dienste des Gesundheitswesens. Die Ergebnisse der Online-Studie zeigen, dass Pflegende in hohem Maße bereits geimpft sind. Die Impfquote liegt demnach bei über 82 Prozent.
Zwar gehen die befragten Leitungskräfte davon aus, dass die Impfquote noch weiter steigen wird, allerdings wird sie den Schätzungen zufolge unter 90 Prozent bleiben. Laut der ASH könnte eine konsequente Umsetzung des Betretungsverbotes für ungeimpfte Beschäftigte Auswirkungen auf die Versorgungskapazität haben. Möglich sei ein Versorgungsdefizit von durchschnittlich 15,3 Prozent.
Bundesländer arbeiten an Meldesystemen
Dass es ab Mitte März sofort zu flächendeckenden Beschäftigungsverboten kommen wird, davon ist nicht auszugehen. Die Gesundheitsämter der Länder haben ein Ermessen bei der Umsetzung der Maßnahmen. Ein Betretungsverbot stellt die letzte Stufe dar. Mehrere Bundesländer sind derzeit dabei, digitale Meldeplattformen aufzubauen, über die die Einrichtungen ungeimpftes Personal an die Gesundheitsämter melden können.
Auch in Bremen steht die Einführung einer solchen Plattform bevor. "Beschäftigungsverbote wird es ab dem 16. März nicht geben, da beginnt erst der Verwaltungsakt", kündigt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Bremer Gesundheitsbehörde, an. "Die Beschäftigten, die uns als nicht geimpft gemeldet werden, erhalten von uns im ersten Schritt eine Aufforderung ihren Impfstatus nachzuweisen. Passiert das nicht, wird diese Aufforderung wiederholt und das Beschäftigungsverbot wird angedroht. Somit gibt es mehrwöchige Fristen, erst danach wird das Verbot ausgesprochen."
Angst vor Thrombose hemmt alleinerziehende Mutter
Das Bremer Gesundheitsressort geht von rund 60.000 Beschäftigten aus, die in der Stadt Bremen unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht fallen. Geschätzt sind bis zu zehn Prozent, also 6.000 Personen, nicht geimpft.
Dazu zählt auch Mareike B., die als Pflegefachkraft in einer Demenz-WG arbeitet. Die Bremerin hat sich bisher nicht impfen lassen, da sie Angst vor einer Sinusvenenthrombose hat. "Vor drei Jahren bestand bei mir schon einmal der Verdacht darauf", sagt die 30-Jährige. "Da ich alleinerziehend bin, habe ich wahnsinnige Angst davor, dass mir etwas passiert und ich nicht mehr für meine Tochter da sein kann", sagt sie.
Bei Corona-Impfungen mit den Impfstoffen von Astrazeneca und Johnson & Johnson traten in seltenen Fällen Blutgerinnsel auf, die zum Beispiel zu einer Sinusvenenthrombose oder einer Lungenembolie führten.
"Ich finde den Ton unmöglich"
Nachdem B. vor einigen Wochen selbst an Corona erkrankte, sei sie noch immer krankgeschrieben. "Obwohl mein CT-Wert hoch genug ist. Ich bin nicht mehr ansteckend und könnte arbeiten, doch mein Arbeitgeber verlangt einen negativen PCR-Test. Das ist für mich Schikane", sagt sie. Nach einer überstandenen Corona-Infektion gilt Mareike B. als Ungeimpfte für drei Monate als genesen. Wie es danach beruflich für sie weitergeht, weiß sie kurz vor dem Einsetzen der Teil-Impfpflicht noch nicht. "Sobald ich wieder zur Arbeit kann, steht ein Gespräch mit der Personalabteilung an."
Ein Schreiben ihres Arbeitgebers, das ihr von Kollegen weitergeleitet wurde, verspricht nichts Gutes: "Wir haben immer wieder versucht, Kollegen für eine Impfung zu gewinnen. Dies ist uns leider in einigen Fällen nicht gelungen. Diese Fahrlässigkeit werden wir nicht länger hinnehmen. Wir werden alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, sodass nur noch geimpfte Menschen bei uns beschäftigt werden können", heißt es in dem Brief, der t-online vorliegt. "Ich finde den Ton unmöglich", sagt Mareike B.
Wenn es hart auf hart kommt, will sich die 30-Jährige einen neuen Job suchen. "Ich schaue mich nebenbei schon um", sagt sie. Leicht falle ihr die Entscheidung nicht: "Mir bereitet die Arbeit mit den Menschen Freude und ich bin gut darin. Der Pflegebereich ist derart am Boden. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man die Mitarbeiter so leichtfertig ziehen lassen will."
*Name von der Redaktion geändert
- Interviews mit Isabell T., Sina Gerstmann und Mareike B.
- Online-Studie der ASH
- Anfrage bei der Bremer Gesundheitsbehörde
- Einsicht in internes Schreiben einer Pflegeeinrichtung