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Ukraine-Flüchtlinge: Familie will sie aufnehmen – und scheitert an Berlin


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"Die Situation ist unmenschlich"
Eine Familie will Ukrainer aufnehmen – und scheitert an Berlins Bürokratie

Von Janek Kronsteiner

30.03.2022Lesedauer: 4 Min.
Marko Lepka, seine Frau Aline sowie die Kinder Florine (11), und Enrik (7): Die beiden Kinder wollen sich ein Zimmer teilen, damit Platz für Geflüchtete in der Wohnung ist.Vergrößern des Bildes
Marko und Aline Lepka sowie die Kinder Florine (11) und Enrik (7): Die beiden Kinder wollen sich ein Zimmer teilen, damit in der Wohnung Platz für Geflüchtete ist. (Quelle: Marko Lepka)
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Zehntausende Ukrainer sind bereits vor Krieg und Gewalt in die deutsche Hauptstadt geflüchtet. Viele Berliner wollen ihnen helfen und sie bei sich zu Hause aufnehmen. Doch das ist nicht immer so einfach.

Mit einem Pappschild stehen Marko und Aline Lepka an einem Freitag Mitte März am Berliner Hauptbahnhof. Zwischen Hunderten Geflüchteten aus der Ukraine und noch mal so vielen Helferinnen und Helfern wirken die Eltern von zwei Kindern ein wenig verloren. Sie wollen Solidarität zeigen und eine ukrainische Familie aufnehmen. Schon seit Längerem haben sie diesen Plan. Nur wie sie ihn umsetzten können, wissen sie noch nicht genau.

Bevor Marko und Aline sich mit einem Schild an den Berliner Hauptbahnhof gestellt haben, hatten sie ihre Wohnung zunächst bei einigen offiziellen Stellen angeboten. Dass die Umsetzung ihrer Idee zu helfen so schwierig werden würde, hat die Familie da noch nicht gewusst. Auch bei der Stadt Berlin meldeten sie sich. Doch die lehnte ab, Familie Lepka lebt in Mahlow. Das liegt in Brandenburg, rund 500 Meter von der Berliner Stadtgrenze entfernt, gut angebunden durch die S2. Offiziell jedoch ein Teil von Luckenwalde. Also komme die Familie nicht infrage, um Geflüchtete aus Berlin aufzunehmen.

Marko Lepka versteht das nicht. Die Familie fährt täglich nach Berlin, bestreitet ihr gesamtes Leben dort. Deswegen könnten sie eine ukrainische Familie auch bei Amtsgängen in der Stadt unterstützen. Doch die bürokratischen Hürden sind hoch.

Das Kinderzimmer ist geräumt – für Geflüchtete

Auch den Kindern ist der Krieg bewusst. Um Geflüchtete aufzunehmen, hat Tochter Florine (11) ihr Zimmer geräumt. Für sie sei es kein Problem, einige Zeit bei ihrem kleinen Bruder Enrik (7) im Zimmer zu schlafen. Mutter Aline schwärmt davon, was sie ukrainischen Geflüchteten bieten könnten. Ein Klavier, vielleicht Tanzstunden, viel Spielzeug. Es gibt ein Gästebad. Doch das Zimmer ist noch immer nicht vermittelt.

Deswegen suchen sie nun mit ihrem Pappschild am Hauptbahnhof nach Menschen, die spontan einziehen wollen. Als die ersten Geflüchteten ankamen, waren solche Hilfen gern gesehen. Doch seitdem bekannt ist, dass Menschenhändler eine ähnliche Taktik nutzen, um Geflüchtete zu entführen, ist es verpönt, sie am Berliner Hauptbahnhof direkt anzusprechen.

An diesem Freitag werden Marko und Aline im Bahnhof hin und her geschickt. Heute finden sie niemanden, der bei ihnen einziehen möchte. Sie wollen es am Wochenende noch einmal probieren.

"Es fühlt sich an wie in einer WG"

Stephi Lemke hingegen musste nur einmal zum Hauptbahnhof. Über die Facebook-Gruppe "Hilfe Ukraine Havelland" meldete sie ihren freien Wohnraum in Falkensee. Der Organisator der Gruppe vermittelte ihr die Nummer einer ukrainischen Mutter mit zwei Kindern. Zusammen mit einem Freund beschloss Stephi, sie aufzunehmen. Schon lange bevor die Ukrainerin in Deutschland ankommt, haben die Frauen Kontakt über WhatsApp.

An einem kalten Tag hat sie Victoria [Name von der Redaktion geändert] direkt am Bahnsteig abgeholt. Sie zieht in Stephis Gästezimmer, der andere Teil der Familie zieht zu einem Freund von Stephi, der mehr Platz in seiner Wohnung hat. In den ersten Tagen verbringt sie viel Zeit mit ihrem neuen Gast. "Es fühlt sich an wie in einer WG", sagt sie. Manchmal zeigt Victoria Bilder aus ihrer Heimat. Sie hält Kontakt mit Familienmitgliedern und Freunden, die noch vor Ort sind. So ist auch für Stephi der Krieg plötzlich ganz nah.

Noch sei alles neu und aufregend in der kleinen Wohngemeinschaft. Doch bald geht es an die ganzen Behördengänge. "Mein Gast will bald arbeiten gehen, es ist sonst schnell todlangweilig hier", erklärt Stephi und lacht.

Warten mit Pappschild sei verboten – wegen Menschenhändlern

Auch an ihrem zweiten Tag am Hauptbahnhof finden Marko und Aline niemanden, der ihr freies Zimmer bezieht. Schon früh werden sie von der Polizei weggeschickt. Geflüchtete einfach am Bahnhof anzusprechen, sei inzwischen verboten. Zu viele Menschenhändler nutzen die Not der Geflüchteten aus. Um das zu verhindern, soll die Vermittlung nun ausschließlich über Hilfsorganisationen laufen.

Dass alles vorschriftlich abläuft, ist auch Marko und Aline wichtig. Also warten sie, bis eine Hilfsorganisation auf ihr Angebot für Wohnraum zurückkommt. Tage vergehen. Schließlich erhalten sie eine Zusage von einem kleinen Verein – die Kontaktdaten einer ukrainischen Familie werden übermittelt. Marko und Alines Hilfsbereitschaft scheint endlich angenommen zu werden.

Doch am nächsten Morgen folgt der Dämpfer: Der Verein hat unrechtmäßig auf offizielle Daten zugegriffen. Die Vermittlung wird abgebrochen. Marko und Aline treffen die andere Familie nie.

"Die Situation ist unmenschlich"

Das viele Hin und Her frustriert Marko: "Die Situation ist unmenschlich und schlimm. Und die Hilfsbereitschaft, die ja da ist, wird nicht richtig organisiert."

Mit dieser Kritik ist der Familienvater nicht allein. In den vergangenen Wochen haben mehrere Hilfsorganisationen der Plattform "Unterkunft Ukraine" in einem offenen Brief vorgeworfen, die Vermittlung zu verschleppen. Dort heißt es: "Täglich bekommen wir Dutzende Anfragen von Personen, die sich bei euch registriert haben und nie wieder von euch hören". Unterzeichner sind unter anderem "Ukraine-Hilfe Berlin", "Berlin Hilft" und "Vitsche Berlin".

Die zentrale Forderung der Vereine: "Unterkunft Ukraine" solle die Datensätze für andere Vereine freigeben, damit das sogenannte Matching zwischen Suchenden und aufnehmenden Haushalten leichter werde. "Unterkunft Ukraine" verzeichnet nach eigenen Angaben über 360.000 Schlafmöglichkeit für Geflüchtete.

Laut rbb24 wies "Unterkunft Ukraine" die Kritik an der fehlenden Datenvermittlung auf Twitter zurück. Zwar könne man die Erwartung und Ungeduld gut verstehen, jedoch habe man "Daten ab Tag 1 mit Partnern geteilt". Der Plattform sei Sicherheit jedoch wichtiger als Schnelligkeit. Dennoch versprach "Unterkunft Ukraine": "Wir wollen schneller werden, um gemeinsam zu helfen – nicht nur kurzfristig, sondern über einen langen Zeitraum."

Familie Lepka – Nacht für Nacht auf Abruf

Familie Lepka aus Mahlow steht immer noch auf Listen verschiedener Hilfsorganisationen. Am meisten vertraut Marko Lepka dem Verein "Karuna". Dessen Aufgabe ist es, besonders gefährdete Geflüchtete, etwa Schwangere, aus den Erstaufnahmehallen an Privathaushalte zu vermitteln. Wenn etwa das Behelfszelt am Hauptbahnhof nachts überfüllt ist, sei diese Vermittlung ein Weg, damit Betroffene nicht am Hauptbahnhof übernachten müssen.

Deswegen ist Marko jede Nacht bereit, schnell ins Auto zu steigen und zum Berliner Hauptbahnhof zu fahren. Florine hält ihr Kinderzimmer noch immer frei.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • Eigene Recherche
  • Offener Brief an "Ukraine Unterkunft"
  • rbb24: Hilfsorganisationen kritisieren schleppende Vermittlung von Privatunterkünften an Geflüchtete
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