Halle (Saale) Trotz Babyklappe und anonymer Geburt: Mehr Wissen nötig
Nach dem Fund einer toten Neugeborenen und eines nur wenige Stunden alten Mädchens in Halle sehen Experten Verbesserungsbedarf bei der Information über Hilfsangebote für werdende Eltern. "Damit kann man nicht früh genug anfangen", sagte Ursula Gasch von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie der Deutschen Presse-Agentur. Es sei wichtig, bereits in der Schule über die Möglichkeiten anonymer und vertraulicher Geburten sowie auch über Babyklappen fundiert zu informieren. "Es muss über das ganze Prozedere aufgeklärt werden, wie es funktioniert", sagte die Gerichts- und Kriminalpsychologin. Spätestens mit der Pubertät sei dies ganz wichtig, für Mädchen und Jungen gleichermaßen.
Auch sehr junge Menschen können Eltern werden. "Das Thema muss aus der Tabuzone geholt werden", sagte die promovierte Psychologin. Leider gebe es noch immer viel zu viel Halbwissen oder fehlendes Wissen über Hilfsangebote, auch für Notsituationen. Hinzu komme für ungewollt Schwangere die Angst, etwa vor dem Alleinsein, vor der Abkehr oder vor Gewalt des Partners, vor der Familie oder aus religiösen Gründen. Dies alles könne dazu führen, dass Mädchen und Frauen ihre Schwangerschaft negieren, verdrängen, heimlich entbinden und spätestens bei der Geburt in Panik geraten. Schlimmstenfalls sei es dann für das Baby zu spät, werde es seinem Schicksal überlassen, überlebe nicht oder werde getötet.
In Halle war nach den Weihnachtsfeiertagen ein totes Neugeborenes am Zaun eines Wertstoffhofs entdeckt worden. Kriminalisten fanden an einem nahen Papierkorb Blutspuren. Das Mädchen hatte laut Rechtsmedizin nach der Geburt gelebt. Die Ermittler gehen von einem Tötungsverbrechen aus. Zwei Tage später wurde in Halle-Neustadt in einem Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses ein Neugeborenes lebend gefunden. Es war laut Rechtsmedizin nur wenige Stunden alt. Das Mädchen lag in einem Fußsack, der normalerweise in einem Kinderwagen benutzt wird. Bei den Säuglingen handelt es sich laut Polizei nicht um Geschwister. Die Ermittler suchten in beiden Fällen mit Hilfe der Öffentlichkeit nach Hinweisen zu den Müttern beziehungsweise den Eltern der Säuglinge.
Unterdessen gibt es in Sachsen-Anhalt seit Jahren die Möglichkeit anonymer und vertraulicher Geburten. Hinzu kommen sogenannte Babyklappen an Krankenhäusern in Halle, Magdeburg, Dessau-Roßlau sowie im Gesundheitszentrum Bitterfeld-Wolfen. Müttern werde damit - straffrei - wie mit dem "Babynest" am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle die Möglichkeit gegeben, anonym ihr Neugeborenes in die Obhut der Medizin zu geben, teilte ein Sprecher mit.
Dieser Schritt muss keine endgültige Entscheidung sein. In Bitterfeld beispielsweise habe eine Mutter ihr Baby kurze Zeit später wieder zu sich geholt, nachdem sie es in die Babyklappe gelegt hatte, sagte eine Sprecherin des Gesundheitszentrums. Landesweit wurden seit Beginn der statistischen Erfassung im Jahr 2001 bis 2020 den Adoptionsvermittlungsstellen sieben Kinder bekannt, die in Babyklappen abgegeben wurden, wie das Landesverwaltungsamt mitteilte. 2020 wurden in Sachsen-Anhalt sechs anonym geborene Kinder zur Adoption vermittelt, seit 2014 wurden 21 vertrauliche Geburten erfasst.