Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Entführung von Peter Lorenz Vor 50 Jahren: Eine Tat, die die Bundesrepublik veränderte

Am 27. Februar 1975 wurde der CDU-Mann Peter Lorenz von linken Terroristen entführt. Danach kam es zu einer umstrittenen Entscheidung der Regierung.
Ein Mann sitzt auf einer Art Bett, mit strubbeligen Haaren und einem ausdruckslosen Blick. Um seinen Hals hängt ein Pappschild, auf dem steht: "Peter Lorenz – Gefangener der Bewegung 2. Juni". Das Foto des damaligen CDU-Landesvorsitzenden von Berlin schickten seine Entführer 24 Stunden nach Beginn der Geiselnahme an die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Es ist eine Aufnahme, die die Republik am 28. Februar 1975 erschütterte und die sich in das kollektive Gedächtnis einbrannte.
Einen Tag zuvor, am 27. Februar 1975, kam es gegen 9 Uhr im Bezirk Steglitz-Zehlendorf im Quermatenweg Ecke Ithweg zum Überfall auf den CDU-Politiker. Drei Tage später sollte Lorenz als Spitzenkandidat zur Abgeordnetenhauswahl antreten.
Entführer brachten Lorenz in einen Kreuzberger Keller
Ein Lkw stellte sich dem Dienstwagen von Lorenz in den Weg. Sein Chauffeur machte mit dem Mercedes eine Vollbremsung. Ein zweiter Pkw, ebenfalls gesteuert von den Entführern, krachte in die Limousine. Anschließend schlugen die Geiselnehmer den Fahrer nieder. Die Entführer überwältigten auch Lorenz, der sich zu wehren versuchte. Doch die Angreifer betäubten ihn mit einer Spritze. Sie kaperten den Dienstwagen und rasten mit zerborstener Windschutzscheibe in Richtung Mitte. Danach brachten sie Lorenz in einen Kellerraum in Kreuzberg, den sie als "Volksgefängnis" bezeichneten. Hier entstand am nächsten Morgen das Foto des Opfers.
Bei den Entführern handelte es sich um Linksterroristen der "Bewegung 2. Juni". Der Name der Entführer-Gruppierung bezog sich auf den Studenten Benno Ohnesorg. Dieser war am 2. Juni 1967 in Berlin bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien durch den Polizisten Karl-Heinz Kurras getötet worden. Die Extremisten legten dem an die dpa geschickten Foto des Entführten ein Schreiben bei. Darin forderten sie von der Bundesregierung die Freilassung sechs inhaftierter Mitglieder ihrer eigenen Gruppierung sowie der "Roten Armee Fraktion" (RAF): Horst Mahler, Ingrid Siepmann, Rolf Heißler, Rolf Pohle, Verena Becker und Gabriele Kröcher-Tiedemann.
Die Polizei löste nach der Entführung eine Großfahndung aus. Zur Ergreifung der Täter boten sie Informanten eine Belohnung von 100.000 D-Mark. Am Abend des 28. Februar bildete die Regierung in Bonn unter Vorsitz von SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt mehrere Krisenstäbe zur Bewältigung der Situation. Sie mussten abwägen, sich als Staat erpressen zu lassen oder möglicherweise ein Menschenleben zu verlieren.
Innerhalb des Krisenstabs gab es verschiedene Meinungen dazu. Am Ende entschloss sich die Regierung, auf die Forderungen der Entführer einzugehen. Denn zwischenzeitlich war es den Ermittlern nicht gelungen, das Versteck in Kreuzberg zu finden.
"Der Staat war nunmehr erpressbar geworden"
Der damalige Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland, sagte dazu auf einer Gedenkveranstaltung im Oktober 2019: "Peter Lorenz rettete diese Entscheidung das Leben. Aber der Staat Bundesrepublik Deutschland war nunmehr erpressbar geworden." Wieland bezeichnete den Vorfall als "amoralische Tiefe der Geschichte Berlins" und als "Anschlag, der die damalige Bundesrepublik verändern sollte".
Denn bereits damals sei klar gewesen, dass weitere Politiker oder einflussreiche Menschen nach dem Vorbild dieser Aktion entführt werden würden. Und so kam es auch, beispielsweise im Herbst 1977. Damals kidnappte die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer – und tötete ihn. Denn es lief anders als bei Lorenz: Die Bundesregierung ließ sich auf keinen Deal mehr ein. Sie ließ sich nicht mehr erpressen.
Am 3. März 1975 flog die Regierung die von der "Bewegung 2. Juni" genannten Gefangenen – bis auf Mahler, der nicht wollte – in den Südjemen aus. Den Flug begleitete der ehemalige Regierende Bürgermeister der Stadt Berlin, Pastor Heinrich Albertz. Bei seiner Rückkehr in die Hauptstadt verlas er am folgenden Tag im Fernsehen die zuvor mit den Linksterroristen verabredeten Worte "So ein Tag, so wunderschön wie heute". Es war der Hinweis an die Geiselnehmer, Lorenz freizulassen – was diese auch taten.
Lorenz erklärte, der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge, nach der Tat auf einer Pressekonferenz: "Ich hatte Gottvertrauen, aber natürlich auch Angst." Demnach sei er von den Geiselnehmern korrekt behandelt worden. Laut Adenauer-Stiftung war es das erste und einzige Mal, dass Lorenz öffentlich über die sechs Tage in der Gefangenschaft sprach. Sie hätten einen tiefen Einschnitt in seinem Leben hinterlassen.
Spätere Entführungen setzten Lorenz "erheblich zu"
Eberhard Diepgen, ehemaliger CDU-Bürgermeister in Berlin, sagte der "Berliner Morgenpost" über Peter Lorenz 2015: "Das Thema hat ihn persönlich immer ein Stück belastet, ganz freigekommen ist er davon wohl nie." Demnach habe ihn insbesondere die Diskussion nach der Schleyer-Entführung, bei der die Regierung im Jahr 1977 einen Deal ablehnte, "erheblich zugesetzt". Lorenz verstarb kurz vor seinem 65. Geburtstag am 6. Dezember 1987 an Herzversagen.
Sieben Jahre zuvor, im Oktober 1980, hatte das Berliner Kammergericht fünf an der Geiselnahme beteiligte Personen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Lorenz-Entführung gilt als die einzige erfolgreiche Freipressungsaktion bundesdeutscher Linksterroristen.
- kas.de: Informationen zu Peter Lorenz
- berlin.de: Pressemitteilung vom 11. Oktober 2019
- parlament-berlin.de: Ansprache des Abgeordnetenhaus-Präsidenten Ralf Wieland zur Entführung von Peter Lorenz im Oktober 2019
- morgenpost.de: "Wie die Entführung von Peter Lorenz die Republik veränderte"
- deutschlandfunk.de: Die terroristische Entführung von Peter Lorenz
- tagesspiegel.de: "Entführungsfall Lorenz: Fünf Tage im 'Volksgefängnis' in Kreuzberg"
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa