Antisemitismus in Berlin Immer mehr Straftaten: Jüdisches Leben massiv beeinträchtigt
Seit Jahresbeginn haben in Berlin antisemitische Vorfälle stark zugenommen. Es wurden 1.383 Vorfälle dokumentiert, der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen.
In Berlin haben antisemitische Vorfälle in der ersten Jahreshälfte 2024 ein noch höheres Ausmaß erreicht. Wie die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) berichtet, wurden von Januar bis Juni 1.383 Vorfälle dokumentiert – mehr als in jedem gesamten Kalenderjahr seit Beginn der Aufzeichnungen 2015. Pro Tag ereigneten sich demnach durchschnittlich sieben bis acht Vorfälle, von antisemitischen Schmierereien über verbale und physische Angriffe bis hin zu Sachbeschädigungen.
Die Eskalation folgt offensichtlich auf den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und den daraufhin ausgebrochenen Krieg zwischen Israel und der Hamas in Gaza. Der Bericht zeigt, dass antisemitische Äußerungen und Handlungen, oft in Form von israelbezogenem Antisemitismus, seitdem sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Intensität zugenommen haben. Über 71 % der Vorfälle waren von Israel-Bezügen geprägt, häufig kombiniert mit Verschwörungsmythen oder einer Verharmlosung der Shoah.
Antisemitismus in Berlin: Bericht dokumentiert Angriffe auf Juden
Der Bericht dokumentiert antisemitische Angriffe an Schulen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf der Straße. Kinder wurden bedroht und geschlagen, Studierende an Universitäten antisemitisch beleidigt und jüdische Institutionen mit Hassbotschaften überschwemmt. Allein 715 antisemitische Vorfälle fanden online statt, viele davon waren gegen jüdische oder israelische Organisationen gerichtet.
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Weitere 427 der antisemitischen Vorfälle spielten sich auf der Straße oder in Bussen und Bahnen ab. An Bildungseinrichtungen wurden 74 antisemitische Vorfälle dokumentiert, darunter 27 an Schulen. Jüdische oder israelische Kinder seien von Mitschülern geschlagen, bespuckt, bedroht und angefeindet worden. Auch bei Versammlungen zeigt sich die neue Dynamik: Von 96 dokumentierten Protesten in Berlin hatten 87 einen antisemitischen Hintergrund, darunter offene Vernichtungsaufrufe und die Glorifizierung der Hamas.
Zu den 1.383 Vorfällen gehörten 25 Gewalttaten, zwei davon mit schweren Verletzungen der Opfer. Nach der RIAS-Statistik kamen 37 gezielte Sachbeschädigungen, 28 Bedrohungen und 1.240 Fälle von Beleidigungen oder Beschimpfungen, außerdem 53 "Massenzuschriften" etwa per Mail hinzu.
Antisemtische Vorfälle mit schweren Verletzungen in Berlin
Zwei Vorfälle mit schweren Verletzungen verdeutlichen die akute Gefahr, der jüdische Menschen ausgesetzt sind: Am 3. Februar wurde ein jüdischer Student in Berlin-Mitte von einem Kommilitonen brutal angegriffen, nachdem er aus einer Kneipe heraus verfolgt worden war. Der Täter schlug ihm mehrfach ins Gesicht und trat ihn am Boden liegend weiter, sodass das Opfer mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus eingeliefert und operiert werden musste. Hintergrund des Angriffs war die politische Arbeit des Opfers, das sich gegen Antisemitismus engagiert hatte und online gezielt als "Feind" markiert worden war.
Ein weiterer Vorfall ereignete sich am 3. Mai ebenfalls in Berlin-Mitte: Ein jüdischer Ukrainer wurde auf dem Weg zur Synagoge von einem Unbekannten attackiert. Der Täter beleidigte ihn antisemitisch, warf ihn zu Boden und verletzte ihn mit einem E-Roller so schwer, dass er mit einem gebrochenen Handknochen ins Krankenhaus musste. Trotz der Anwesenheit mehrerer Passanten schritt niemand ein.
RIAS Berlin warnt vor einer zunehmenden Normalisierung antisemitischer Äußerungen und einem wachsenden gesellschaftlichen Schweigen angesichts dieser Entwicklung. "Die Sicherheit jüdischer Menschen ist akut gefährdet", so die Einschätzung. Der Bericht fordert Politik, Zivilgesellschaft und Institutionen auf, konsequent gegen diese Entwicklung vorzugehen und die Betroffenen stärker zu schützen.
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- Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin "Antisemitische Vorfälle in Berlin – Januar bis Juni 2024"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa