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Berlin: Wie der Wohnungsmarkt durch Enteignungen verbessert werden kann


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Experte über Wohnungsmarkt
"Enteignungen würden Berlin voranbringen"

InterviewVon Farhad Salmanian

Aktualisiert am 17.11.2023Lesedauer: 7 Min.
Pärchen vor Wohnungsanzeigen (Symbolbild): Die Lage ist verzweifelt.Vergrößern des Bildes
Pärchen vor Wohnungsanzeigen (Symbolbild): Die Lage ist verzweifelt. (Quelle: Ute Grabowsky/photothek.net / IMAGO)
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In Berlin fehlt Wohnraum – das sorgt für Diskussionen, Aktionen und Proteste. Der Experte Andrej Holm analysiert im Interview mit t-online die aktuelle Lage.

Andrej Holm
Andrej Holm. Der zurückgetretene Berliner Staatssekretär Andrej Holm. (Quelle: Jörg Carstensen/dpa)

Andrej Holm

Der deutsche Sozialwissenschaftler (53) arbeitet mit den Themenschwerpunkten Stadterneuerung, Gentrifizierung und Wohnungs- bzw. Europäische Stadtpolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Die Wohnungsnot in Berlin ist groß: Laut einer Analyse des Immobilien-Onlineportals Immoscout24 bewarben sich hier im April 2023 auf eine Zweizimmerwohnung mit 59 Quadratmetern und einer Kaltmiete von 554 Euro im Schnitt pro Tag 636 Menschen. Und die Preise gehen immer weiter nach oben: Nach Angaben des Berliner Senats stiegen Vergleichsmieten (2022) um 5,4 Prozent gegenüber dem vorherigen Mietspiegel von 2021.

Um den Herausforderungen zu begegnen, hat der Berliner Senat verschiedene Maßnahmen ergriffen: Der mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht gekippte Mietendeckel, der Ankauf von Wohnungen, der soziale Wohnungsbau und die Erschließung von Bauland für Neubauten gehören dazu.

Auch das bürgerschaftliche Engagement spielt neben den Regierungsmaßnahmen eine wichtige Rolle: Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" verkündete vergangene Woche, dass die Finanzierung stehe, um ihren Gesetzentwurf zur Enteignung großer Immobilienunternehmen zu erarbeiten. Wie wirksam sind solche Lösungen, um die Wohnungsnot in Berlin zu bekämpfen?

Bei einem von dieser Initiative vorausgegangenen Volksentscheid am 26. September 2021 hatten gut 59 Prozent der Stimmberechtigten – mehr als eine Million Menschen – dafür gestimmt, gegen eine Entschädigung alle privaten Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin zu enteignen.

Bald soll es einen zweiten Volksentscheid geben. Über dieses und weitere Themen rund um die deutsche Hauptstadt hat t-online mit dem Experten für Wohnungspolitik, Andrej Holm, gesprochen.

t-online: Herr Dr. Holm, wo steht Berlin derzeit im europäischen Vergleich bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum?

Im 20. Jahrhundert hat es in fast allen westeuropäischen Ländern einen ausgeprägten Sektor des öffentlichen und sozialen Wohnungsbaus gegeben und ein Großteil der Mietwohnungen wurde nach sozialen Kriterien bewirtschaftet. Doch in fast allen Ländern wurden in den letzten Dekaden die Förderprogramme gekürzt und öffentliche Wohnungen privatisiert. Ausnahme ist hier eigentlich nur die Stadt Wien, in der immer noch fast die Hälfte aller Mietwohnungen im öffentlichen Besitz sind oder von gemeinnützigen Wohnbauträgern verwaltet werden.

Und wie steht es um andere europäische Hauptstädte?

In Amsterdam wohnen 35 Prozent der Haushalte in regulierten Wohnungen der gemeinnützigen Wohnungsvereinigungen, in London beträgt der Anteil des öffentlichen Council Housings etwa 23 Prozent und in Stockholm werden 30 Prozent der Wohnungen durch die Kommune vermietet. Der Anteil der 360.000 landeseigenen Wohnungen in Berlin beträgt gerade mal 18 Prozent und ist damit kleiner als in den anderen benannten Städten. Obwohl all diese Städte einen größeren öffentlichen Sektor als Berlin haben, gibt es dort ein übergreifendes Thema: Der Anteil an bezahlbaren Wohnungen ist immer zu klein, da die soziale Wohnversorgung eine Daueraufgabe ist und private Unternehmen fast nie einen Beitrag zu ihrer Lösung leisten. Die Umsetzung der Vergesellschaftung würde Berlin zumindest an das öffentliche Versorgungsniveau anderer europäischer Metropolen heranführen.

Die Wohnungsnot in Berlin ist sehr groß. Was sind die Gründe dafür?

Charakteristisch für die Wohnungsnot ist vor allem der eklatante Mangel an günstigen Mietwohnungen. Gerade weil die Neuvermietungsmieten so stark über den Bestandsmieten liegen, gibt es so gut wie keine Anreize für Umzüge, sodass sogenannte Lock-in-Effekte – also eine Art funktionale Kundenbindung – entstehen. Viele Haushalte bleiben auch dann in ihren Wohnungen, wenn sie gar nicht mehr zu den Lebensbedingungen passen, also viel zu klein oder auch viel zu groß geworden sind. Der rasante Anstieg der Mietpreise blockiert so auch die Verteilungspotenziale, die es in großen Mietwohnungsmärkten wie in Berlin gibt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Neben dem insgesamt knappen Angebot sind vor allem das drastische Abschmelzen der Sozialwohnungen und eine weitgehende Privatisierung der Wohnungsbestände für die soziale Wohnversorgungskrise verantwortlich.

Können Sie das bitte erklären?

In den 1990er-Jahre gab es noch über 350.000 Sozialwohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen. Heute sind es nicht einmal mehr 100.000 – Tendenz weiter fallend. Im gleichen Zeitraum wurden über 300.000 vormals öffentliche Wohnungen privatisiert.

Wie schätzen Sie generell die Lage der Vermietungen ein?

Aktuell werden über zwei Drittel der Mietwohnungen in Berlin von Privatpersonen oder Unternehmen vermietet. In einer Marktwirtschaft werden privat und unternehmerisch verwaltete Wohnungen vor allem aus einer ökonomischen Perspektive betrachtet und die kalkulatorische Logik orientiert sich an den potenziell möglichen Mieteinnahmen. Neuvermietungsmieten von über 12 Euro pro Quadratmeter netto kalt wecken dabei Erwartungen, die von vielen Mieterinnen und Mietern in Berlin gar nicht gezahlt werden können.

Um solche Probleme anzugehen, hat der Berliner Senat bereits bis 2030 angekündigt, 200.000 neue Wohnungen bauen zu wollen. Wie realistisch ist diese Zielsetzung?

Die ambitionierten Neubauziele wurden schon in den vergangenen Jahren nicht erreicht. Trotz großer Ankündigungen und vieler Bemühungen sind im Durchschnitt der letzten fünf Jahre nur etwa 17.000 Wohnungen im Jahr fertiggestellt worden. Durch gestiegene Baukosten und höhere Zinsen wird sich die Zahl in den kommenden Jahren noch deutlich verringern.

Warum ist das so?

Vor allem für private Investoren lohnt es sich unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr, Wohnungen zu planen und zu bauen. Eine Reihe von Immobilienfirmen hat schon angekündigt, selbst geplante Baumaßnahmen zu verschieben oder ganz einzustellen. Halbwegs verlässlich einzuschätzen sind eigentlich nur die Neubauprojekte der öffentlichen Wohnungsunternehmen, die ja über Fördermittel und auch Eigenkapitalzuführungen vom Land Berlin direkt unterstützt werden können. Seit ein paar Jahren wird Wohnungspolitik durch eine Ankündigungspolitik ersetzt. Der Staat verspricht Zielzahlen, deren Erreichen er selbst nicht in der Hand hat. Früher bezogen sich die Versprechen in Koalitionsverträgen auf den Bau von Sozialwohnungen oder von öffentlichen Wohnungen – also auf Bereiche, die unmittelbar durch politische Entscheidungen gesteuert werden konnten.

Ist "mehr Bauen" die effektivste Lösung in der aktuellen Situation?

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Auch wenn die Knappheit fast alle Einkommensgruppen betrifft – der Kern der Wohnungsnot besteht im Mangel von bezahlbaren und durch öffentliche Mittel geförderten Wohnungen, mit denen Haushalte mit mittleren und unterdurchschnittlichen Einkommen versorgt werden können. Aus einer sozialpolitischen Perspektive sollte niemand mehr als 30 Prozent des Einkommens für die Miete ausgeben – schon jetzt überschreitet fast die Hälfte aller Berliner Miethaushalte diese Leistbarkeitsgrenze. Neubau erhöht zwar die Zahl der Wohnungen, hat aber keinen direkten Effekt auf die Mietpreise in der Stadt. Die Vorstellung, dass viel Neubau das Angebot erhöht und dadurch den Preisdruck verringert, trifft leider nicht zu.

Inwieweit ist "immer mehr Bauen" als Lösung für die Mittelschicht geeignet?

Ein frei finanzierter Neubau hat keinen positiven Effekt für die soziale Wohnversorgung. Zum einen sind Neubauten wegen der hohen Erstellungskosten sehr teuer, zum anderen wirken sich Preisnachlässe vor allem im Bereich der Spitzenpreise aus, weil die extrem überteuerten Mietangebote dann mit den nicht ganz so teuren Neubauwohnungen konkurrieren. Mehr bezahlbare Wohnungen gibt es nur durch den Bau von Sozialwohnungen oder ein öffentliches Investitionsprogramm für den öffentlichen Wohnungsbau.

Nach einer neuen Regelung, die ab 2024 in Kraft tritt, sollen Alleinstehende in Berlin nur noch "kleine Wohnungen" beziehen dürfen. Dabei gibt es keine genauen Vorgaben pro Wohnungsgröße zur Anzahl der Mieter. Wie effektiv sind solche Lösungsansätze?

Diese Vermietungsregelung gilt nur für die landeseigenen Wohnungsunternehmen, also nicht für alle Wohnungen. Ähnliche Vorgaben gibt es auch im Sozialwohnungsbau, wo es schon immer Flächenbegrenzungen für die verschiedenen Haushaltsgrößen gibt. Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass in öffentlichen oder öffentlich finanzierten Wohnungen auf eine effiziente Nutzung geachtet wird. Es wäre auch klimapolitisch nicht sinnvoll, einen üppigen Wohnflächenverbrauch öffentlich zu fördern. Der sparsame Umgang mit den knappen Ressourcen ist grundsätzlich sinnvoll. In Berlin und vielen anderen Städten haben wir jedoch das Problem, dass es durch den demografischen Wandel der letzten Dekaden deutlich mehr Einpersonenhaushalte als kleine Wohnungen gibt.

Wie groß ist der Anteil solcher Haushalte?

In Berlin stehen fast 50 Prozent Single-Haushalte nur etwa 15 Prozent an kleinen Wohnungen mit weniger als 45 Quadratmeter gegenüber. Die Vorgaben für ein flächensparendes Wohnen lassen sich also schon rein rechnerisch nicht umsetzen.

Wie wirksam sind die Aktionen wie die der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", die mit Volksentscheiden eine Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen erzwingen wollen?

Das geforderte Instrument einer Vergesellschaftung von großen Wohnungsunternehmen hat ein großes Potenzial, eine Reihe der sozialen Wohnversorgungsprobleme in der Stadt zumindest zu mildern. Die Vorstellung, auf einen Schlag den öffentlichen und damit sozial bewirtschafteten Wohnungsbestand um mehrere Hunderttausend Wohnungen zu erhöhen, klingt wie eine Chance, die fatale Privatisierung der 1990er- und 2000er-Jahre wieder rückgängig zu machen.

Obwohl fast alle Parteien in Berlin den Verkauf von öffentlichen Wohnungen rückblickend als Fehler ansehen, gibt es für die Vergesellschaftung keine politische Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Die Verzögerung und Verhinderung der Umsetzung des erfolgreichen Referendums zur Vergesellschaftung ist somit nicht nur eine wohnungspolitisch verpasste Chance, sondern trägt auch zur politischen Desillusionierung bei. Über eine Million Ja-Stimmen bei einem Volksentscheid weitgehend zu ignorieren, ist keine Werbung für unsere Demokratie.

Von welchen Zahlen sollen wir ausgehen, wenn die "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" von der Enteignung großer Wohnungsunternehmen spricht? Um wie viele Großunternehmen geht es da?

Die Initiative schlägt vor, die Wohnbestände von allen großen kommerziellen Wohnungsunternehmen in Gemeineigentum zu überführen. Als "groß" gelten dabei alle Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen im Bestand. In einer Kostenschätzung des Senats wurden 2019 neun Unternehmen mit etwa 240.000 Wohnungen identifiziert – andere Schätzungen gehen von bis zu 350.000 Wohnungen aus. Es ist schon jetzt klar, dass es sich um einen sehr großen Wohnungsbestand handeln wird, der in die soziale Bewirtschaftung überführt werden soll.

Herr Dr. Holm, vielen Dank für Ihre Zeit!

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit Andrej Holm
  • Nachrichtenagentur dpa
  • immobilienscout24.de: "Die meistgesuchte Mietwohnung Deutschlands"
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