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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schlagstöcke und Pfefferspray in Berlin Scharfe Kritik nach Polizeieinsatz: Beamter stößt Mann zu Boden
Insgesamt verliefen die Demonstrationen am 1. Mai in Berlin laut Senat friedlich. Zu einigen Ausschreitungen kam es dennoch – insbesondere in der Oranienstraße.
Am Abend nach dem offiziellen Ende der "Revolutionären 1. Mai Demonstration" herrschte auf der Oranienstraße in Kreuzberg ausgelassene Stimmung. Auf Höhe der Location "SO36" lag sich das Partyvolk in den Armen. Musik dröhnte aus Boxen durch den Kiez, Demoteilnehmer und andere Interessierte tranken gemeinsam Bier. Provokationen der anwesenden Polizei seitens der Passanten waren hier zunächst nicht zu sehen. Trotzdem kam es am späten Abend zu teils heftigen Ausschreitungen. Die Beamten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein.
Der Grund: Die Polizisten wollten die Fahrbahn der Oranienstraße räumen. Sie begründeten dies damit, dass sich Personen auf der Straße befanden, die offiziell nicht gesperrt war. Die Feiernden saßen nicht nur vor den Cafés und Kneipen, sondern liefen auch auf der Fahrbahn umher. "Da können wir als Polizei nicht einfach danebenstehen", sagte Polizeisprecher Martin Halweg dem "Tagesspiegel". Die Situation sei durch fahrende Autos zu gefährlich. "Gefahrenabwehr" nennt die Polizei das.
Die Stimmung schlug um, als die Polizei die Passanten von der Fahrbahn beförderte – teilweise mit voller Härte. Es kam immer wieder zu starken Rangeleien zwischen den Einsatzkräften und den Feiernden. "Ganz Berlin hasst die Polizei" und "Wir sind friedlich, was seid ihr?" schallte durch die Straßen. Die Beamten wirkten in der Folge teils überfordert.
Auf Twitter verbreitete sich am Montagabend ein Video, das zeigt, wie mehrere Beamte in der Oranienstraße auf einen Passanten zugehen, der auf der Straße steht. Er wird von einem Polizisten zunächst mit Pfefferspray besprüht und anschließend geschubst. Der Mann, der sich nicht wehrt, fällt zu Boden, seine Bierflasche zerbricht.
In den sozialen Medien mehrt sich die Kritik, dass dieses Vorgehen unverhältnismäßig sei. Eine Anfrage von t-online an die Berliner Polizei blieb bisher unbeantwortet. Im "Tagesspiegel" äußert sich der Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft, Benjamin Jendro: "Ja, das sieht martialisch aus, aber man muss vorsichtig sein mit der Beurteilung des Videos." Es sei nicht klar, was vorher und hinterher passiert sei und ob die Maßnahme wirklich überzogen gewesen sei. Jendro sagt, dass bei solchen Videos auf Social Media oft der Kontext fehle. Eine Anzeige von Amts wegen sei dennoch möglich.
Zuvor war es bereits während der Demonstration an der umstrittenen neuen Polizeiwache am Kottbusser Tor unruhig unter den Teilnehmenden geworden. Die Polizei hatte den Bereich um das Hochhaus über der Adalbertstraße mit Gittern und vielen Polizisten geschützt.
- t-online-Liveblog: So verlief der 1. Mai in Berlin
Als die Spitze des Zugs etwa auf Höhe der Oranienstraße ankam, herrschte Stillstand. Unter den Demonstranten gab es daraufhin Gedränge und Unmut darüber, dass die Menschen nicht aus der Menge herauskamen. Eine junge Frau, die in dem Nadelöhr offenbar Platzangst bekam, brach in Tränen aus. Einige der Demonstrierenden stiegen daraufhin über das Gatter aus dem Demonstrationszug heraus. Anschließend beruhigte sich die Lage.
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Kurz darauf wurde die Demonstration durch die Veranstalter früher als erwartet beendet. Grund dafür sei die hohe Polizeipräsenz am Oranienplatz gewesen, sagte eine Polizeisprecherin. Ursprünglich hatte die Demo bis dorthin gehen sollen. Nach Angaben der Polizei waren etwa 12.000 Personen dabei, die Veranstalter sprachen von 20.000 Teilnehmenden. Insgesamt waren 7.100 Polizeikräfte im Einsatz.
Die Polizei meldete zunächst neun Festnahmen bei der traditionellen Demonstration linker und linksextremistischer Gruppen. Am Dienstagmittag wurden diese Zahlen nach oben korrigiert. Demnach wurden insgesamt 58 Männer und neun Frauen vorläufig festgenommen. Es seien 99 Verfahren (Stand: 2. Mai, 3.30 Uhr) eingeleitet worden. Dabei gehe es um Vorwürfe wie Landfriedensbruch, Widerstands gegen und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, Gefangenenbefreiung oder Sachbeschädigung und gefährlicher Körperverletzung.
Nachdem es zunächst geheißen hatte, dass lediglich ein Polizist verletzt wurde, sind es am Tag danach insgesamt neun Beamte, wie die Polizei mitteilt. Meist hätten sie Prellungen davon getragen. Fast alle Vorfälle ereigneten sich demnach im Zusammenhang mit der sogenannten revolutionären 1. Mai-Demonstration.
Dennoch: "Es deutet sich an, dass es seit 1987 der friedlichste Mai war", teilte ein Polizeisprecher am Montagabend kurz vor Mitternacht mit. Zwar war die Stimmung zum Teil aggressiv und polizeifeindlich. Aber anders als früher wurde die Polizei nicht angegriffen – auch weil die Gruppen von schwarz gekleideten Linksautonomen eher klein waren und die Polizei sehr stark vertreten war.
- Reporter vor Ort
- twitter.com: Tweet von @focus4bkn
- twitter.com: Tweet von @PolizeiEinsatz_B
- Anfrage an die Polizei Berlin
- tagesspiegel.de: "Newsblog zum 1. Mai in Berlin"
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa